15. Kapitel (3/4) Der Besuch des grauen Bruders

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ie beiden Frauen schwiegen einige Augenblicke zusammen. Es war nicht notwendig, viel zu reden. Durch die Stille wurde Elia jedoch wieder unruhig. Er atmete schneller, murmelte vor sich hin und verkroch sich tiefer in seinen Sessel, so als wollte er sich vor etwas verstecken. Annalisa setzte sich neben ihn auf die Kante des Sessels und legte einen Arm um ihn, während sie wieder beruhigend auf ihn einredete. Es half, aber Tag und Nacht auf den Jungen einreden und ihm vorlesen zu müssen, damit er sich nicht zu Tode ängstigte, das konnte doch nicht die Lösung sein. In dem Moment ließen Geräusche am Gang Milica auffahren: „Das sind sie!" Sie sprang auf und lief hinaus auf den Gang. Annalisa war indessen dazu übergegangen, Elia ein Schlaflied zu singen.

Als Milica in die Halle gelaufen kam, waren die drei Vampire soeben eingetreten. In ihrer Begleitung fand sich ein grauhaariger Herr in einem grauen Kapuzenmantel, der ihm von Signora Manfridi soeben abgenommen wurde.

„Milica!", sagte Dareios und deutete schwungvoll auf den Besucher. „Das ist Sior Borromeo Sala, er hat sich bereiterklärt, uns in unserer Angelegenheit behilflich zu sein."

Sie streckte ihm ihre Hand hin, wie das unter Menschen eben üblich war. Und hier hatten sie es doch mit einem Menschen zu tun? Oder was war der nun eigentlich?

„Vielen Dank, dass Sie gekommen sind", sagte sie, wobei sie ihn aufmerksam beobachtete. Auch unter seinem Mantel war er in betont unauffälliges Grau gekleidet, das Haar war glatt und schnörkellos zurückfrisiert und wurde von einem schmalen schwarzen Band ordentlich zusammengehalten. Doch das lenkte nicht von dem seltsamen Ausdruck seiner Augen ab. Milica wusste nicht, was es war, aber man konnte fast nicht wegschauen – durchdringend und melancholisch zugleich.

„Ich werde sehen, was sich tun lässt", sagte er in nüchternem Ton. „Eine Lösung, so wie Sie sich das vielleicht vorstellen, habe ich nicht zu bieten. Man wird die Ombrei nicht einfach los. Aber es gibt Mittel und Wege mit ihnen zu leben."

In Milicas Bauch bildete sich ein Kloß. Der Mann gab sich nicht gerade Mühe ihnen Hoffnungen zu machen. Hatte sie sich etwa vorgestellt, dass er kommen und diese bösen Kräfte einfach mit einem Zauberamulett verscheuchen könnte? Hatte nicht Dareios auch an etwas Derartiges geglaubt? Sie sah ihn an und der Enthusiasmus in Dareios' Augen war ungebrochen. Machte dieser Ombreibruder sich einfach nur wichtig?

„Ich möchte mich zuerst vergewissern, dass keine weiteren Personen befallen sind."

„Vielleicht sollten wir dazu in den Salon gehen", schlug Lajos vor. „Und Signora Manfridi, bringen Sie bitte Signora Vesiano und den Jungen her." Die Haushälterin eilte ins Schlafzimmer, aus dem Milica immer noch Annalisas leises Singen hörte.

Der rote Salon war vorbereitet, im Kamin brannte ein Feuer und durch die Fenster sah man das Glitzern der Lichter auf dem Wasser. Alle hatten auf den im Kreis positionierten Sitzmöbeln Platz genommen, so hatte Borromeo Sala es angeordnet. Milica beobachtete von ihrem Platz aus, wie Annalisa ihren Sohn in den Raum führte. Er leistete keinen Widerstand und die Stimmen und Vorgänge rundherum schienen ihn von seinen inneren Qualen abzulenken. Blinzelnd wandte er sich nach allen Seiten, er schien sie alle wahrzunehmen, er sah die Leute, die hier im Raum versammelt saßen, doch offenbar interessierten sie ihn nicht besonders. Annalisa setzte sich neben Milica auf die Bank und zog Elia auf den Platz neben sich.

Milica ließ den Besucher keinen Augenblick lang aus den Augen, wobei dieser die Sache nun auch noch künstlich in die Länge zog. Er wartete, bis Signora Manfridi den Raum verlassen hatte, dann erhob er sich. Anstatt sich in die Mitte des Kreises zu stellen, blieb er hinter seinem Sessel stehen und stützte sich mit beiden Händen auf dessen Lehne. Er bewegte sich auf eine Art, als wollte er mit Gewalt jedes Aufsehen um seine Person vermeiden. Doch da konnte er sich noch so mausgrau kleiden und tiefstapeln bis er knietief im Kanal stand, es würde ihm nicht gelingen. Schon alleine aufgrund seiner Funktion in diesem Raum. Gleichzeitig hatte er eine Ausstrahlung, die sich kaum kaschieren ließ. Eine tragische Aura, wie Milica fand. Er fuhr sich mit dem Finger unter den Hemdkragen und zog eine silberne Kette mit einem durchsichtig schimmernden Anhänger heraus.

Die Musik auf dem Wasser - Historischer VampirromanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt