14. Kapitel (4/4) - Morgengrauen

21 5 0
                                    

Milica folgte den Vampiren zurück ins Haus und sie war nun froh, dass diese Nacht bald zu Ende sein würde. Sie sehnte sich nach einem stillen Plätzchen, an dem sie zur Ruhe kommen und das Erlebte verdauen konnte. Und sie wusste auch schon, welcher Ort das sein sollte.

Auf dem Weg in die Halle kamen ihnen der Theaterdirektor Vesiano und Signora Manfridi entgegen.

„Ich habe dem Jungen und seiner Mutter ein Schlafzimmer zurechtgemacht", teilte ihnen die Haushälterin mit. „Es ist besser, wenn die beiden erst einmal hierbleiben."

„Gut gemacht, Signora", antwortete Dareios. „Wir werden uns um Ihren Sohn kümmern, Signor Vesiano. Sie müssen sich nicht die geringsten Sorgen machen."

Der Impresario sah ihn etwas verwirrt an. Natürlich hatte er jeden Grund, sich Sorgen zu machen.

„Ich danke ihnen", antwortete der Ärmste. „Es tut mir leid, dass wir Ihnen Umstände bereiten."

„Nicht im Geringsten. Glauben Sie mir, es ist in der Tat eher umgekehrt. Die Umstände sind gänzlich unsere Schuld." Dareios klang dabei nicht so, als täte ihm das sonderlich leid. Er schaffte es vielmehr, sich diese Schuld als Verdienst an die Fahne zu heften. Dabei war es vermutlich eher Julien zuzuschreiben, dass sie sich in diesen für Dareios auf einmal so interessanten Schwierigkeiten befanden.

„Wie geht es dem Jungen?", fragte Milica dazwischen.

„Er ist kurz aufgewacht, aber jetzt schläft er", antwortete Vesiano.

„Seien Sie unbesorgt. Wenn Sie morgen Abend kommen, dann ist er wieder ganz der Alte", sagte Signora Manfridi. Milica war davon nicht überzeugt, aber sie hielt es jetzt nicht für sinnvoll, den Mann unnötig zu beunruhigen.

„Und ihre Tochter finden wir auch, wir haben ihre Spur aufgenommen, es ist lediglich eine Frage der Zeit bis wir sie haben", verkündete Dareios in euphorischem Tonfall.

Flavio Vesiano sah ihn für einen Moment überrascht an, dann machte sich die Erleichterung auf seinen Gesichtszügen breit. Er schien zu müde zu sein, um weitere Fragen zu stellen, denn er nickte nur.

„Sagen sie mir, wenn ich etwas beitragen kann. Ich will alles tun, um Cassandra wieder zu finden", sagte Vesiano schließlich.

„Das wird nicht nötig sein", sagte Dareios und klopfte dem Bedauernswerten jovial auf die Schulter.

Dieser setzte nun seinen Hut auf und sah Dareios noch skeptischer an. „Ich werde nun gehen, meinen Leuten verkünden, dass das Theater heute Abend geschlossen bleibt und mich ausschlafen. Morgen komme ich und höre mir ihren Plan genau an. Mi raccomando." Er tippte sich an den Hut und Dareios sah ihm nach, wie er die Treppe hinunterlief. Milica sich fragte währenddessen, wie Dareios vorhatte, diesem Vater zu erklären, dass seine Kinder sich im Bann dunkler Mächte befanden, bedroht von einer bösartig gewordenen Sirene, von der keiner wusste, was sie überhaupt vorhatte. Aber für Dareios war das nicht weiter besorgniserregend. Er machte wieder einmal allzu deutlich, wie weit er schon er sich schon vom Menschsein entfernt hatte. Die Vorstellung, jemanden zu lieben, der lebte und der auch sterben konnte, war ihm völlig fremd geworden.

„Ich habe für heute jedenfalls genug von interessanten Abenteuern", verkündete Milica und verabschiedete sich. Es war nun Zeit nach Julien zu sehen. Das hatte sie schon viel früher tun wollen, aber dann hatten die Ereignisse sich überschlagen. Als sie seine Kammer betrat, lag er immer noch bewegungslos auf seinem Bett und wirkte dabei verkleinert und sehr zerbrechlich. Sie legte ihre Hand auf seine trockenen, eingefallenen Wangen und versuchte etwas zu spüren, das sich einigermaßen nach Leben und Wärme anfühlte. Aber vielleicht war es nur die Wärme ihrer eigenen Haut, die auf seiner zurückblieb. Sie legte sich neben ihn, nahm seine Hand und legte die Ihre um seine skellettartigen Finger. Damit schloss sie die Augen und verfiel in ihre tägliche Starre.

Die Musik auf dem Wasser - Historischer VampirromanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt