Damit wir keine unnötige Aufmerksamkeit auf uns zogen, befahl ich Georgio, uns bereits eine Brücke vor dem Theater aussteigen zu lassen und mich dort zu vereinbartem Zeitpunkt wieder zu erwarten. Es wäre bequemer gewesen die Wasserzufahrt des Theaters zu benützen, doch die Vorstellung musste bereits zu Ende sein, sodass sich eine Ansammlung von Menschen auf dem Vorplatz tummelte. Deshalb zog ich es vor, mit den Kindern durch einen der diskreteren Seiteneingänge ins Gebäude zu schlüpfen. Die beiden Schlingel schienen meinen Gedanken erraten zu haben, denn kaum hatte die Gondel angelegt, hüpften sie an Land und liefen davon. Es war nicht anders zu erwarten gewesen. Und schließlich war ich keine Kinderfrau, die nach geschehener Beaufsichtigung und Erziehung die Bälger wieder geputzt und gewaschen ihrer Mutter zu präsentieren hatte.
So nahm ich ohne Hast den gewohnten Weg zu Annalisas Garderobe. Sie erwartete mich an diesem Abend nicht, allerdings war es auch nichts Ungewöhnliches, dass ich sie unangemeldet besuchte. Die Vorstellung war bereits zu Ende, also fand ich nichts dabei, höflich an ihre Garderobentür zu klopfen. Ihre Stimme drang mit einem etwas kühlen "Ja, bitte?", zu mir hinaus.
"Ich bins", sagte ich einfach. Sie kannte meine Stimme.
Sie öffnete die Garderobentür einen Spalt breit.
"Giulio? Du hier? Was verschafft mir die Ehre?" Ihre dunklen Augen blitzen mich überrascht an, als ihr Gesicht sich im Türspalt zeigte.
"Ach, komm schon rein," sagte sie und ließ mich in das Kämmerchen. Ihre gepuderte und federnbesetzte Bühnenperücke stand bereits auf dem Frisiertischchen. Annalisas eigener Kopf wirkte derangiert, in ihren blonden Locken zeigten sich erste silbrige Fäden und sie standen ihr wirr vom Kopfe ab, was sie allerdings besonders reizend aussehen ließ.
„Du kannst mir ruhig beim Ausziehen helfen, diese Kleider sind eine veritable Plage. Die kluge Wirtin ist mir hundertmal lieber als jede Königin, das kannst du mir glauben. Man kann sich kaum umdrehen."
Dabei musste man feststellen, dass Annalisa als Prinzipalin zumindest eine der geräumigeren Garderoben ihr Eigen nannte.
„Warum lassen sie dich mit diesem altmodischen Ungetüm alleine?", fragte ich und hielt den weiten Brokatrock fest, um ihn ihr über den Kopf zu ziehen, damit sie mit der Krinoline weitermachen konnte.
„Dem Herren des Hauses wurden bei der Fechtszene drei Knöpfe abgetrennt und das erfordert die Aufmerksamkeit aller Kostümmädchen, derer man hier habhaft werden kann. Das muss man wohl verstehen", entgegnete sie ironisch und ich schmunzelte. „Mein Mann ist genau so eine Diva wie du. Ich falle doch immer auf die gleiche Masche herein." Diese Bemerkung wiederum vertrieb mir das Schmunzeln.
„Übrigens - der Grund für mein Hiersein, ist nicht die reine Höflichkeit. Ich habe deine Kinder zufällig auf meinem Dachboden eingesammelt und sie dir zurückgebracht."
„Seit wann bist du auf Dachböden unterwegs", kicherte sie.
Ich seufzte enerviert. Ihr schien es völlig egal zu sein, dass die Kinder sich auf anderer Leute Dachböden herumtrieben. Und wie sollte ich ihr erklären, dass mich ein Geisterkind zu ihnen geführt hatte? Ich verstand das ja selbst nicht.
„Das ist jetzt nicht der springende Punkt", echauffierte ich mich. „Du solltest besser auf sie aufpassen. Nächstes mal laufen sie nicht mir, sondern irgendwelchen Sbirren und deren Spionen in die Arme und dann kannst du sie dir mit etwas Pech aus den Kerkern des Dogenpalasts zurückbetteln."
„Du alter Schwarzseher! Hältst du meine Kinder - deinen Sohn! - für so dumm sich erwischen zu lassen."
„Elia ist nicht dumm, aber ein Guck-in-die-Luft", entgegnete ich. „Er ist zu gescheit, um ihn sein Talent mit Herumstreunen vergeuden zu lassen", ließ ich mich gegen meinen Willen dazu verleiten fortzufahren. „Immerhin ist er fast erwachsen. Was soll sonst aus ihm werden?"
DU LIEST GERADE
Die Musik auf dem Wasser - Historischer Vampirroman
أدب تاريخيVampire ohne Schmalz und ohne Glitzer. Venedig, 1782 Julien ist seit etwa fünfzehn Jahren ein Vampir. Er glaubt verstanden zu haben, was das bedeutet und genießt sein Leben im Venedig des ausgehenden 18. Jahrhunderts, wo die Nächte hell erleuchtet s...