Befehl vom Oberhaupt

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"Nach dem Essen. Hier.", wiederholt er mit Nachdruck und deutet dann auf die Tür. Als ich mich wieder außerhalb des Raums befand bemerkte ich, das er mir noch nicht gesagt hatte, ob er mir Unterricht im Fechten geben wird. Wie immer hatte der Zweitälteste nur in Rätseln gesprochen.

"Ai-san, du bist ja wieder da.", bemerkt Kanato, als er den Speiseraum betritt.
"Mh-hm. Schön, dich zu sehen, Kanato-kun. Geht es dir gut?"
Als Antwort nickt er nur, bevor er mich, wie Reiji zuvor, von oben bis unten beäugt.
"Du bist irgendwie anders, Ai-san."
"Anders? Inwiefern?"
"Keine Ahnung. Ich kann es nicht genau beschreiben."
Reiji, der ebenfalls schon am Tisch saß und auf seine Brüder wartete, hatte kein Wort gesagt. Vielleicht hing er einem Gedanken nach, möglicherweise machte er sich sogar Gedanken über den Besuch des Priesters.
Mit ein paar überraschten Blicken stellten auch Subaru, Ayato und Yui fest, das ich wieder im Anwesen bin. Ich warf einen Blick auf das platinblonde Mädchen, das sich neben Ayato setzt. Sie war also nicht tot. Also stimmte Raitos Aussage, das es sich bei dem Besuch des Priesters nicht um die Übergabe einer neuen Opferbraut handeln konnte. Der Hutträger war kurz nach Subaru ins Esszimmer gekommen und hatte mir grinsend zugenickt.
"Ich habe nicht bemerkt, das du wieder da bist.", sagt der Weißhaarige, nachdem er mich ein paar Augenblicke angesehen hatte.
"Da bist du nicht der Einzige."
"Das ist nur seltsam. Das Shû wieder zurück ist, habe ich nämlich bemerkt.", entgegnet er und schaut kurz auf den freien Platz neben mir. Von besagtem Vampir fehlt jede Spur. Der Blonde war schon zehn Minuten zu spät dran und so langsam interessierte es mich, wohin er unmittelbar nach unserer Ankunft verschwunden war.
"Dachtest du, er wäre allein zurückgekommen? Und hätte mich zurückgelassen?" Ich musste schmunzeln. Wenn er mich loswerden wollte, hatte er jetzt genug Zeit gehabt und das er das eben nicht wollte, wusste eigentlich jeder der Anwesenden.
"Das hätte er niemals getan, Ai-chan.", antwortet Raito an Subarus Stelle, "Aber der Punkt ist der: du hast deinen Geruch verloren."
Ich zog eine Augenbraue hoch, "Meinen... Geruch?"
"Ah! Jetzt fällt es mir auch auf. Das ist anders an dir, Ai-san. Du hast keinen Geruch mehr."
"Ah... ja.", ich fange an, an der Spitze der Serviette rumzuspielen und erneut spürte ich das Pochen im Nacken und im Bauch. Und dann wieder der Hunger.
"Das heißt soviel wie: solange man dich nicht sieht oder hört bist du praktisch unsichtbar.", erklärt Reiji.
"Unsichtbar?", wiederhole ich.
"Ja. Deshalb wundert es mich, das du davon nichts weißt. Shû hätte es bemerken und dir sagen müssen."
Gerade als ich zu einer Antwort ansetzen wollte, öffnet sich eine der Flügeltüren und der Butler betritt den Raum, geht zu Reiji und flüstert ihm etwas zu. Der Schwarzhaarige seuftzt und nickt, dann verließ der grauhaarige Angestellte den Raum.
"Fangen wir an.", sagt der Zweitälteste und nimmt das Besteck. Die anderen taten es ihm nach.
Ihr älterer Bruder befindet sich noch in einem Gespräch mit eurem Herrn Vater. Er wird nicht am Essen teilnehmen können.
Manchmal war es von Vorteil, Lippen lesen zu können. Wenigstens wusste ich jetzt, wohin Shû verschwunden war. Ich fing ebenfalls an zu essen, doch konnte ich dadurch meinen Hunger nicht stillen.

"Ich muss mit dir reden, Ai."
Ich zucke zusammen, als ich Shûs Stimme so dicht an meinem Ohr höre, als ich auf dem Weg zu Reiji war. Der Blonde war plötzlich hinter mir aufgetaucht.
"Reiji will auch mit uns reden."
"Uns?" Seine Augenbraue zuckt. Ich nicke und greife nach seiner Hand.
"Ich glaube, es ist wichtig."
"Wir müssen auch über etwas reden, das wichtig ist. Und das hat Vorrang.", den letzten Satz betont er nachdrücklich und drückt meine Hand leicht.
Kurz darauf saß ich in seinem Zimmer auf dem Sofa, während er davor wie eine nervöse Wildkatze auf und ab ging. Er hält kurz an, lässt seinen Blick zu mir wandern und geht dann weiter.
"Shû."
Er sieht mich an, bleibt stehen und sieht mich weiter an, bevor er nickt.
"Ich habe mit... meinem Vater gesprochen. Er lässt in Sachen Erbschaft nicht mit sich reden. Ich habe ihn einen Kompromiss vorgeschlagen, der für mich wohl am angenehmsten wäre, aber ich habe keine Ahnung, ob du von diesem Kompromiss genauso profitierst wie ich. Also, was soll ich tun?"
"Vielleicht erzählst du mir erstmal von diesem Kompromiss?" Ich klopfe neben mich auf das Sofa, aber er schüttelt den Kopf und bleibt an Ort und Stelle stehen. Seine ozeanblauen Augen waren unverändert auf mich gerichtet.
"Er entlässt mich meiner Rolle als nächstes Familienoberhaupt nicht gänzlich, das hat er gesagt. Ich habe ihm vorgeschlagen, das ich im Dienste der Familie bleibe, solange ich an einem Ort leben kann, an dem er keine direkte Kontrolle über mich und... dich hätte. Da hat er teilweise zugestimmt, mit den Worten, er würde sich das durch den Kopf gehen lassen."
"Mit anderen Worten, du willst dieses Haus verlassen, bleibst aber für ihn Abrufbereit?"
"Nicht nur das Haus. Vielleicht auch die Stadt oder das Land, irgendwo, wo es sicherer ist." Er kniet sich vor mich hin, nimmt meine Hände, die in meinem Schoß lagen und drückt sie leicht. Seine Augen lagen bittend auf mir.
"Wenn er zustimmt, würdest du das mitmachen?"
Das war alles?
"Ich bin schonmal nicht damit einverstanden, das er deine Entscheidung nicht akzeptiert. Aber du bist mein Zuhause, Shû. Natürlich komme ich mit dir."
Ihm schien ein Stein vom Herzen zu fallen.

"Und aus welchem Grund gehen wir zu ihm?"
"Keine Ahnung. Er meinte, es wundert ihn nur, das wir noch nichts darüber wissen."
"Ah, na toll. Und warum bist du zuerst allein bei ihm gewesen?"
Weil dir mein Vorhaben wahrscheinlich nicht gefallen hätte und du mich nur davon abhalten würdest, lag es mir auf der Zunge.
"Das wird er dir mit Sicherheit gleich petzen.", antworte ich, biege mit ihm in den Flur zu Reijis Labor und steuere auf die Tür zu.

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ich hoffe ihr habt die Weihnachtsfeiertage gut überstanden ;)

Jetzt, da das Fest der Besinnlichkeit und Nächstenliebe vorbei ist und die Knaller für Silvester noch nicht fliegen, wollte ich euch wenigstens ein Kapitel zum Überbrücken der Zeit geben ^^' auch wenn's nicht allzu lange dauert das zu lesen.

Sollte ich dieses Jahr kein Kapitel mehr rausbringen, so wünsche ich euch schon mal einen guten Rutsch ins neue Jahr und lasst es krachen!

Eure _Sylfaen_

Dance with the starsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt