1 (Prolog)

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Juli 2019

"Emily, hier drüben!" Instinktiv drehte ich meinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme meiner besten Freundin kam und entdeckte sie sofort. Breit grinsend winkte sie mir, während Lennard auf ihrem Arm es ihr gleichtat. Lächelnd griff ich meinen Koffer fester und lief auf die beiden zu. "Hey, schön dass du wieder da bist. Man, bist du braun geworden!" Mit einem breiten Strahlen nahm Laura mich in den Arm und ich sog ihren vertrauten Geruch ein. Als wir uns voneiander gelöst hatten, widmete ich mich Lennard. "Hallo mein Großer, na? Hast du mich auch vermisst?" Der Einjährige nickte und streckte seine kleinen Ärmchen nach mir aus, weshalb ich meinen Rucksack richtete und meinen Neffen dann auf den Arm nahm. Laura griff stattdessen nach meinem Koffer und wir verließen gemeinsam den Bahnhof, um zu ihrem Auto zu laufen. Während der Fahrt berichtete ich ihr bereits von meinen ersten Urlaubseindrücken, dann erreichten wir meine Wohnung. Ich hatte sie mir wenige Wochen nach der Trennung von meinem Exfreund Julian gekauft und war wirklich froh, dass ich sie gekriegt hatte. Besonders der kleine Balkon hatte es mir angetan, auf dem ich im Mai und Juni schon so einige schöne Sommerabende verbracht hatte, bevor ich zu meiner großen Reise aufgebrochen war. Laura parkte vor dem Haus, in dem sich meine Wohnung befand und wir stiegen aus. Schwungvoll hievte ich meinen Koffer aus dem Auto und schulterte meinen Rucksack, dann lächelte ich meine beste Freundin an. "Vielen Dank fürs Fahren. Sehen wir uns dann morgen bei Lars und Nele?" "Klar und kein Ding wegen des Fahrens, hab ich gerne gemacht. Es ist wirklich schön, dass du wieder da bist. Geht's dir denn besser?" Kurz schwieg ich und dachte über ihre Frage nach, dann nickte ich überzeugt und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. "Ja. Es war die richtige Entscheidung, alleine mal hier rauszukommen." "Hast du nochmal von Julian gehört?" "Nein, wir haben seit der Trennung nicht mehr miteinander geschrieben. Ich bekomme nur mit, was die Medien über ihn schreiben." "Denkst du, sein Wechsel hatte mit euch zu tun?", erkundigte Laura sich und ich ahnte, dass ihr diese Frage bereits auf der Zunge lag, seit Julian seinen Wechsel von Bayer Leverkusen zu Borussia Dortmund bekannt gegeben hatte. Ich zuckte die Schultern. "Keine Ahnung. Aber egal, warum er es getan hat, ich bin mir sicher, dass er sich dort gut weiterentwickeln kann. Und wenn er dort glücklich wird, dann freu ich mich für ihn." Während ich diese Worte aussprach wurde mir klar, dass es die Wahrheit war. Julian würde mir immer wichtig sein, auch wenn wir jetzt kein Paar mehr waren. Aber ganz so gefasst, wie ich mich Laura gegenüber gab, war ich nicht. Noch immer hatte ich Momente, in denen ich mir heulend alte Fotos von uns ansah oder bei Liedern im Radio, die ich irgendwie mit ihm verband, den Sender wechselte. Aber insgesamt ging es mir deutlich besser, als noch vor drei Monaten, als unsere Trennung frisch gewesen war. Die Wunde begann langsam zu verheilen und das war gut so.

Ein letztes Mal kontrollierte ich mein Outfit, eine dunkelblaue Hotpants und eine luftige Bluse, dann betätigte ich die Klingel von Lars' und Neles Haus. Schon nach wenigen Sekunden wurde mir die Tür geöffnet und mein ältester Bruder grinste mich an. "Em, wie schön, dass du da bist. Lass dich drücken, Kleine!" Er zog mich schwungvoll in seine Arme und ich genoss das bekannte Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit, das er mir gab. Nachdem wir uns voneinander gelöst hatten, folgte ich Lars in den Garten, wo bereits Nele, Sven, Laura und Lennard saßen. Auch von ihnen wurde ich herzlich begrüßt und in jedermanns Arme geschlossen, dann konnte ich mich endlich hinsetzen und mir eine kühle Johannisbeerschorle gönnen. Nachdem ich den ersten Durst gelöscht hatte, sah ich grinsend in die Runde, aus der mir bereits erwartungsvolle Gesichter entgegenblickten. "Na los, jetzt erzähl schon. Wir sind ganz gespannt auf deine Geschichten", forderte Nele mich auf und ich zog mein Handy aus der Hosentasche, um mit Hilfe der vielen Fotos, die ich in den letzten Wochen gemacht hatte, von meinen Erfahrungen zu berichten. Ich erzählte fast eine Stunde lang, dann begannen wir zu essen. Während ich genüsslich in mein Steak biss, schaute ich in die Runde und stellte fest, wie sehr ich meine Familie in den letzten Wochen vermisst hatte. Die erste Zeit, die ich in Europa unterwegs gewesen war, hatte ich keinen Funken Heimweh oder Sehnsucht nach zu Hause gehabt, aber spätestens in Amerika war mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich sie alle für mehr als eineinhalb Monate nicht sehen würde. In Südamerika hatte ich dann zum ersten Mal Heimweh bekommen und in Afrika hatten mich die ersten Zweifel gepackt, ob es reichen würde, sieben Wochen im Ausland zu verbringen, um mich selbst zu finden und meine gescheiterte Beziehung hinter mir zu lassen. Noch immer hatte ich darauf nicht wirklich eine Antwort gefunden. Ich konnte nur mit Sicherheit sagen, dass es mir besser ging. Die Trennung hatte mir eine Last von den Schultern genommen. Das ständige Aufpassen, was ich sagen konnte und was nicht und die Befürchtung, Julian könne mich für eine Spießerin halten oder ich würde einen neuen Streit entfachen, das hatte mich kaputt gemacht. Und ich war mir sicher, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, Schluss zu machen und nicht stattdessen eine Beziehung mit Niklas einzugehen. Er hatte sich noch ein einziges Mal bei mir gemeldet, um nachzufragen, ob es okay für mich war, wenn er weiterhin bei Bayer arbeitete. Die Tatsache, dass er meinetwegen sogar gekündigt und sich einen neuen Job gesucht hätte, hatte mir schmerzhaft bewusst gemacht, dass er wirklich starke Gefühle hatte und ich ihm sehr am Herzen lag. Trotzdem wäre es falsch gewesen, mit ihm zusammenzukommen und ihm vorzutäuschen, ich hätte ebenso starke Gefühle für ihn. Schallendes Gelächter riss mich aus meinen Gedanken und ich bemerkte, dass ich wohl einen Witz verpasst hatte, weshalb ich mir vornahm, den restlichen Abend keine Gedanken an die Vergangenheit mehr zuzulassen. Ich war mit dem Ziel losgereist, das Alte hinter mir zu lassen und eine neue Zukunft zu beginnen und dafür hatte ich in den letzten sieben Wochen den Grundstein gelegt. Ab jetzt würde ich nur noch zurückschauen, um zu sehen, wie weit ich gekommen war.

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