Erschöpft und müde atmete ich tief durch und schloss die Augen, sobald Julian den Raum verlassen hatte. Meine Erlebnisse während ich im Koma gelegen hatte, waren mir noch so unglaublich präsent, dass ich fast glaubte, ich stünde wieder mit meiner Mutter im Park. Ich hörte, wie die Tür geöffnet wurde und öffnete meine Augen wieder, nur um Bernd zu entdecken, der mich mit großen Augen ansah. "Du bist wach", stellte er fassungslos fest und ich nickte. "Ja, bin ich. Julian hat mir schon erzählt, dass du noch mit deinem Verein telefonieren musstest." "Du bist wach", wiederholte Bernd völlig fertig mit der Welt und erst, als ich lächelnd nickte, begann auch er zu lächeln und ich sah, dass seine Augen glänzten. Mit wenigen Schritten war er bei mir und umarmte mich ganz sanft, um mir auf keinen Fall weh zu tun. "Es ist so schön, dich wieder lebendig zu sehen", nuschelte er in meine Decke und ich nickte zustimmend. Irgendwann ließ Bernd wieder von mir ab und zog sich einen Stuhl an mein Bett heran, auf den er sich setzte. Ernst sah er mich an. "Ich hatte eine Heidenangst um dich, also mach sowas nie wieder, Bender. Ich brauch meine beste Freundin nämlich noch." Überrascht sah ich ihn an. "Deine beste Freundin?" "Natürlich. Du hast mir so gefehlt und ich war ein absoluter Vollidiot, weil ich auf Anna gehört hab und-" "Ich versteh nur Bahnhof", unterbrach ich den blonden Torwart und er seufzte leise. "Anna fand unsere Freundschaft nicht gut und sie hatte Angst, dass zwischen uns mal was passieren könnte, was normale Freunde nicht machen würden. Dann gab es diese Gerüchte, dass du Julian betrügst und da ist bei ihr eine Sicherung durchgebrannt. Wir haben uns einige Male heftig gestritten und weil ich dich immer in Schutz genommen habe, hat sie mir vorgeworfen, in dich verliebt zu sein. Na ja, und als sie es ausgesprochen hat, wurde ich plötzlich auch unsicher. Ich wusste, dass ich dich schrecklich vermisse und ich war mir auf einmal nicht mehr sicher, ob so viel vermissen noch normal für einen Freund ist. Irgendwie hab ich mich da immer mehr reingesteigert, also hab ich dir öfter geschrieben, dass ich keine Zeit zum Telefonieren habe und wenn wir dann doch mal miteinander gesprochen haben, hab ich irgendwie versucht dich abzuwürgen. Es tut mir so Leid, dass ich deine Situation ausgenutzt habe, aber es erschien mir so simpel zu behaupten, du würdest immer nur von dir erzählen. Aber das Ganze hat mich total fertig gemacht und letztendlich hat Anna Schluss gemacht und ich stand da und hatte niemanden mehr und am allerschlimmsten war, dass ich dich vergrault und verletzt hatte. Ich hab mich nicht getraut, dir wieder unter die Augen zu treten und alles zuzugeben. Na ja, irgendwann hab ich es einfach nicht mehr ausgehalten mit dem Vermissen und dich angerufen. Und dann wurdest du entführt und ich hatte dir noch nicht sagen können, wie leid mir das alles tut." Wie ein geprügelter Hund sah Bernd mich an und ich wusste nicht so richtig, was ich jetzt sagen sollte. Nach einigen Sekunden des Schweigens räusperte ich mich und sah ihn fragend an. "Und? Denkst du immer noch, dass du in mich verliebt sein könntest?" Zu meiner grenzenlosen Erleichterung schüttelte er den Kopf. "Seit ich hier in Leverkusen bin und erst Recht seit du wach bist, ist mir klar, dass du wirklich nur meine beste Freundin bist." Jetzt musste ich lächeln. "Na dann ist doch alles in Butter." Überrascht starrte Bernd mich an. "Wie jetzt? Heißt das, du verzeihst mir?" Ich nickte. "Natürlich verzeihe ich dir. Ich hab dich nämlich auch total vermisst, du Volltrottel. Und ich brauche auch direkt deinen freundschaftlichen Rat." "Lass mich raten: Wegen Julian?" "Ja. Während ich im Koma lag, hatte ich so eine Art Traum. Meine Eltern waren da und Julian war auch mal da und es ist glaub ich zu kompliziert, das jetzt alles zu erklären, aber ganz zum Schluss hat meine Mutter mich angeschrien, endlich zuzugeben, dass der Gedanke an Julian mich während der Zeit in Jans Keller davor bewahrt hat, aufzugeben. Ich hab nur durchgehalten, weil ich an ihn gedacht habe. An all die guten Momente, die wir hatten, aber auch an all die schlechten. Weil mir klar geworden ist, dass, egal ob wir uns lieben oder ob wir uns streiten, was auch immer wir tun, alles gut ist, solange wir es gemeinsam tun. Verstehst du was ich meine?" Bernd nickte und grinste mich an. "Ich überlege gerade, wofür du meinen Rat brauchen könntest, wo du doch offensichtlich schon genau weißt, was du willst." Mit einem tiefen Seufzen starrte ich auf die gegenüberliegende Wand. "Ich hab Julian gesagt, dass es noch zu schmerzhaft ist, wieder Zeit mit ihm zu verbringen, weil ich all das Geschehene nicht vergessen kann. Denkst du, ich kann diese Aussage nochmal zurücknehmen und er wird mich nicht für völlig bescheuert halten?" Bernd begann zu lachen und ich sah ihn verwirrt an. "Wieso lachst du?" "Will ich nicht glauben kann, dass du mich das wirklich fragst! Verdammt Emily, Julian liebt dich. Egal was du sagst, das wird niemals etwas an seiner Liebe zu dir ändern. Und er wartet nur darauf, dich endlich wieder küssen zu können." "Wirklich?", hakte ich ungläubig nach und Bernd nickte schmunzelnd. "Ich bin noch keine zwei Wochen in Leverkusen und es ist mir sofort aufgefallen, dass er noch Gefühle für dich hat. Du kannst mir nicht erzählen, dass du es nicht bemerkt hast." Ich wollte mich gerade verteidigen, als es an der Tür klopfte und sie sofort danach geöffnet wurde. Lächelnd sah ich meine Brüder und Laura an, die jetzt den Raum betraten und zu meinem Bett kamen. Meine beste Freundin heulte Rotz und Wasser und schluchzte was das Zeug hielt, was mir ebenfalls Tränen in die Augen trieb. "Hey, nicht weinen. Ich bin doch aufgewacht." "Ja, ich weiß", brachte sie zwischen mehreren Schluchzern hervor und wischte sich über die Augen, "Das sind Freudentränen." Ganz vorsichtig umarmte sie mich und Sven und Lars taten es ihr gleich, dann stand Bernd auf. "Ich lass euch mal allein. Aber so bald wie möglich komme ich wieder, okay?" "Okay. Und danke. Fürs Zuhören und Rat geben." Grinsend nickte er. "Jederzeit gerne." Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und ich wandte meine Aufmerksamkeit meinen Brüdern und Laura zu, obwohl ich hundemüde war und eigentlich gerne geschlafen hätte. Erschöpft lächelte ich sie an. "Schön, dass ihr hier seid." "Schön, dass du es mitkriegst. Bei unseren letzten Besuchen hast du noch geschlafen", entgegnete Lars verschmitzt, was mir ein Schmunzeln entlockte. "Wie fühlst du dich?", erkundigte Sven sich, der Bernds Stuhl übernommen hatte. "Ich bin froh, dass ich lebe, aber ziemlich schlapp." "Hast du Schmerzen?", fragte Laura besorgt und ich schüttelte den Kopf, so gut das mit der Halskrause möglich war. "Nein. Aber ich denke, ich bekomm eine Menge Stoff dagegen. Mal schauen, wie das wird, wenn die Ärzte weniger Medizin in meinen Körper pumpen." "Bis dahin wird es bestimmt noch ein bisschen dauern. Nele lässt übrigens lieb grüßen, sie wurde von ihrem Chef vorgestern zu einer Geschäftsreise verdonnert und konnte nicht hierbleiben. Und Mama liegt noch auf Station wegen der Leber-OP, aber sie wird morgen oder übermorgen entlassen. Und Papa ist auch auf Arbeit, aber wir haben ihm schon geschrieben, dass du aufgewacht bist. Kai und Sophia warten unten, aber wenn du zu müde bist, können Sie natürlich auch wann anders wiederkommen." Wieder schüttelte ich den Kopf. "Ich möchte sie sehen. Wir hatten zuletzt ziemlichen Streit und das möchte ich unbedingt noch klären und dann muss ich noch mit Julian reden und-" Ich stockte, weil mir schwummrig wurde und hörte, wie der Monitor neben mir einen unangenehmen Piepton von sich gab. "Emily?", fragte Laura panisch und dann stand plötzlich eine Krankenschwesterneben dem Bett. "Sie sollten jetzt gehen, Frau Bender braucht dringend Ruhe. Aber keine Sorge, morgen wird sie schon fitter sein." "Okay. Wir kommen morgen wieder, Kleine. Bau bis dahin keinen Mist, ja?" Erschöpft nickte ich und versuchte, den dreien ein Lächeln zu schenken, dann schloss ich die Augen und war innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen.
So, jetzt wissen wir endlich, wieso Bernd sich so verhalten hat. Habt ihr sowas in der Richtung geahnt oder kommt es völlig überraschend? Und hättet ihr ihm an Emilys Stelle auch so schnell verziehen?
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Plötzlich zwei Leben?
FanfictionDritter Teil der "Plötzlich zwei...?"-Trilogie Vier Monate sind vergangen seit Emily und Julian sich getrennt haben. 16 Wochen, in denen beide auf ihre eigene Art versucht haben, mit der neuen Situation leben zu lernen. 112 Tage, die gereicht haben...