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Ein letztes Mal kontrollierte ich mein Aussehen im Spiegel und versuchte mich selbst davon zu überzeugen, dass ich mich nicht umziehen musste. Ich trug das rückenfreie schwarze Kleid, das ich zusammen mit Sophia für ihren heutigen Geburtstag gekauft hatte. Genauso wie im Laden passte es perfekt, aber diese Unsicherheit wegen der Narben an meinem Rücken ließ sich nicht ganz runterschlucken. Entschlossen straffte ich die Schultern und musterte meine Haare, die ich mir trotz der Kürze so gut wie möglich hochgesteckt hatte, und das Make-Up, mit dem ich es heute absichtlich ein klein wenig übertrieben hatte. Meine Lippen hatte ich mit einem matten, dunkelroten Lippenstift bemalt und zusätzlich zur Wimperntusche ein bisschen Lidschatten benutzt. Es war ein wenig ungewohnt, so chic auszusehen, aber es gefiel mir und erinnerte mich, dass ich noch vor ein paar Jahren öfter so ausgesehen hatte. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich dringend los musste, weshalb ich schnell in meine schwarzen High Heels schlüpfte und nach meiner Clutch griff, bevor ich das Haus verließ. Kaum stand ich auf dem Bürgersteig, fuhr auch schon Svens Auto vor, denn er und Laura würden mich mitnehmen. Ich stieg ein und begrüßte die beiden lächelnd, dann fuhren wir zu der Location, die Sophia gemietet hatte. Ich musterte meinen Bruder und meine beste Freundin, die gerade erzählten, wie schwer es gewesen war, einen Babysitter für den Abend zu finden. Sven war komplett in Weiß gekleidet, Laura trug ein roséfarbenes Kleid und, soweit ich es erspähen konnte, weiße Schuhe. Damit passten sie hervorragend zum Motto, das Sophia der Party gegeben hatte, nämlich Black, White and Rosé. Auf die Idee war sie relativ kurzfristig gekommen, aber glücklicherweise hatte mein neues Kleid ja dazu gepasst. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als wir unser Ziel errichten und ich große Augen bekam. "Wow, das sieht unglaublich aus!" Wir stiegen aus und Sven und Laura stimmten mir zu, denn die langsam untergehende Sonne schuf ein traumhaftes Licht und die ganze Atmosphäre erschien magisch. Es waren schon einige Leute da, trotzdem entdeckt Sophia uns sofort und kam auf uns zu. In ihrem neuen Kleid sah sie umwerfend aus und das Lächeln, das sie trug, passte perfekt dazu. Ich umarmte sie und gratulierte ihr überschwänglich zum Geburtstag, dann taten Sven und Laura es mir gleich. "Wie schön, dass ihr da seid. Geschenke könnt ihr auf dem Tisch da drüben loswerden, falls ihr welche habt. Ich wollte ja eigentlich keine, aber Kai hat auf diesen Tisch bestanden und er ist tatsächlich schon ganz schön voll." "Natürlich bekommst du Geschenke!", entgegnete ich schmunzelnd und steuerte auf besagten Tisch zu. Auf dem Weg dorthin begegnete ich schon ein paar Leuten, die ich kannte und begrüßte sie alle, dann erreichte ich den Geschenketisch und wollte gerade den Umschlag hinlegen, in dem sich ein Gutschein für ein Wellnesswochenende zu zweit befand, als mir eine Hand in die Quere kam. "Oh sorry, ich- Emily?" Ich sah auf und blickte direkt in Julians überraschte Augen. "Hi", murmelte ich ein wenig überfordert. Nervös fuhr Julian sich durch die Haare und brachte ein nicht wirklich überzeugendes Lächeln zustande. "Ich hätte wissen müssen, dass du auch hier sein wirst und trotzdem- trotzdem kam das gerade unerwartet." "Geht mir genauso", erwiderte ich und bemühte mich angestrengt, mein wild pochendes Herz zu beruhigen. "Was ist dein Geschenk?", erkundigte ich mich auf der verzweifelten Suche nach einem Thema für Smalltalk. "Ein Pandora-Gutschein. Unkreativ, ich weiß." "Nein, sie wird sich bestimmt freuen", widersprach ich und lächelte schwach, "Ich werd mich dann mal ein wenig unter die Leute mischen." Mit diesen Worten drehte ich mich um und wollte gerade gehen, als Julian mich aufhielt. "Warte!" Überrascht drehte ich mich zu ihm um und sah ihn fragend an. Sein Blick glitt zu meiner Hüfte und plötzlich legte er seine Hand darauf. Ich hielt instinktiv die Luft an, dann spürte ich, wie seine angenehm warme Hand zu meinem Rücken glitt und schließlich sanft über die Narben strich. Ich bekam auf dem ganzen Körper Gänsehaut und war wie elektrisiert. Julian war mir so nah, dass ich sein Aftershave riechen und durch seine besorgten Augen bis auf den Grund seiner Seele schauen konnte. "Woher hast du diese Narben?" Seine Stimme war vor Sorge ganz rau und ich schluckte, konnte meine Augen nicht von seinen abwenden. "Von der Explosion. Es waren zwei Glasscherben." Für eine gefühlte Ewigkeit herrschte Schweigen, dann glitt Julians Hand langsam zurück zu meiner Hüfte und löste sich schließlich von meinem Körper. "Das tut mir Leid." "Muss es nicht. Dich hat es so viel schlimmer erwischt." Mein Blick glitt unweigerlich zu der kleinen Narbe auf seiner Stirn, die mir schon vor Monaten aufgefallen war, als ich Fotos von ihm in der Presse gesehen hatte, die kurz nach der Explosion entstanden waren. Julians Hand zuckte kurz, als ob er sich instinktiv an die Narbe greifen wollte, dann hielt er sich zurück und grinste schief. "Hat was von Harry Potter, oder?" Ich musste schmunzeln und nickte leicht. "Wir haben wirklich wahnsinniges Glück gehabt." "Ja, haben wir", stimmte er mir mit ernster Miene zu, dann räusperte er sich und lächelte schwach. "Also dann, du wolltest dich ja eigentlich unter die Leute mischen. Sorry fürs Aufhalten." "Kein Ding. Wir- wir sehen uns bestimmt nochmal im Laufe der Feier." "Ja, bestimmt." Mit diesen Worten drehte er sich um und ich sah ihm nach, während ich mich fragte, ob unsere Gespräche wohl für immer so verlaufen würde, dass jeder schnell das Weite suchen wollte. "Was. War. Das?", erklang plötzlich eine Stimme hinter mir und ich drehte mich erschrocken zu einer grinsenden Sophia um. "Was war was?" "Na, du und Julian. Die Funken zwischen euch waren förmlich zu sehen. Seid ihr wieder zusammen?" "Nein, sind wir nicht. Er hat nur gefragt, woher ich die Narben am Rücken hab." "Das hat aber nach mehr ausgesehen", entgegnete Sophia hartnäckig, woraufhin mir ein Seufzen entfuhr. "Bitte lass es gut sein. Wir sind nicht mehr zusammen und daran wird sich auch nichts ändern." Jetzt sah die Brünette mich mitfühlend an. "Willst du mir nicht irgendwann mal erzählen, was genau zwischen euch vorgefallen ist? Du hast noch mit niemandem darüber gesprochen und ich weiß von Kai, dass auch Julian absolutes Stillschweigen darüber bewahrt." Ich schluckte und bemühte mich, nicht zu weinen. "Das sollte euch beiden Indiz genug sein, dass es sehr schmerzhaft für Julian und mich war und wir das einfach nur vergessen und hinter uns lassen wollen. Okay?" "Okay. Aber falls du deine Meinung änderst, hab ich immer ein offenes Ohr für dich, ja?" Ich nickte lächelnd. "Gut, dann sollte ich mich jetzt wohl mal wieder meinen anderen Gästen widmen." "Mach das." Sophia drehte sich um und ging, doch ich hielt sie auf. "Sophia?" Überrascht drehte sie sich halb in meine Richtung. "Ja?" Liebevoll lächelte ich sie an. "Danke."

Plötzlich zwei Leben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt