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Aus Gründen, die ich selbst nicht verstand, erzählte ich niemandem von dem Blumenstrauß, der Karte und den Pralinen, die vor wenigen Tagen vor meiner Wohnungstür gelegen hatte. Meine Lieblingssorte Pralinen, wohlgemerkt. Um nicht weiter über diese Dinge nachdenken zu müssen, hatte ich mich mit dem Training und der Stiftung abgelenkt und einige Male was mit Laura oder Sophia unternommen. Mit Laura begann ich langsam, ihre Hochzeit zu planen, denn mein Bruder hatte es endlich geschafft, ihr einen Heiratsantrag zu machen und natürlich hatte sie ihn angenommen. Am liebsten wollten sie noch dieses Jahr heiraten und obwohl ich das etwas unrealistisch fand, gab ich mein Bestes, um sie in diesem Plan zu unterstützen. Heute stand einer der für Laura wichtigsten Termine an, nämlich die Suche nach einem Brautkleid. Ich wusste, dass Sven sie auch in Jogginghose und Schlabbershirt heiraten würde, aber ich wollt, dass ihm die Augen aus dem Kopf fielen, wenn er sie sah. Gemeinsam mit meiner besten Freundin und ihrer Mutter machte ich mich jetzt also auf den Weg zu einem Brautmodengeschäft, wo wir zur Begrüßung ein Glas Sekt bekamen. Laura hatte sogar schon einige Ideen, aber erstmal durften wir drei durch die Reihen gehen und Kleider aussuchen, die uns gefielen. Ich wurde schnell fündig und fand das perfekte Kleid für meine beste Freundin und auch Laura und ihre Mutter Christina fanden etwas. Mit vier Kleidern schickten wir Laura in die Umkleide, in die die Verkäuferin in ihr folgte, dann begann das Warten bis sich der Vorhang öffnete und ich große Augen bekam. "Wow. Du siehst umwerfend aus, Laura!" Christina stimmte mir zu, während Laura sich vor uns drehte und dann auf ein kleines Podest stieg. "Die Träger stören mich irgendwie, ansonsten finde ich den oberen Teil toll. Aber beim Rock ist es zu viel Glitzer, oder was meint ihr?" Fragend sah sie uns an und auf den zweiten Blick musste ich ihr zustimmen. Also verschwand sie wieder in der Umkleide und die nächsten zwei Stunden probierte sie unzählige Kleider an und ich trank jede Menge Sekt. Irgendwann seufzte meine beste Freundin resigniert und sah die Verkäuferin entschuldigend an. "Es tut mir Leid, ich bin wahrscheinlich keine leichte Kundin." Die Frau lächelte verständnisvoll. "Sie haben Ansprüche, das ist gut. Warten Sie einen Moment, ich hole ein Kleid, was erst gestern geliefert wurde. Das könnte vielleicht etwas für Sie sein. Allerdings hat es ein wenig Glitzer am Oberteil." "Ich probiere es trotzdem an", entschied Laura und als sie wenige Minuten später mit besagtem Kleid aus der Umkleide kam und mich anstrahlte, konnte ich nicht anders, als es zu erwidern. Sie sah wunderschön aus. Das Oberteil bestand aus Chiffon-Raffungen und in den Rillen blitzte vereinzelt ein wenig Glitzer auf, dann fiel das Kleid in einem recht weiten Rock, dessen Oberrock ebenfalls aus Chiffon bestand, allerdings mit vereinzelten Spitze-Applikationen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Christina Tränen in den Augen hatte und auch ich musste sie mir stark verkneifen. "Du strahlst", stellte ich fest und Laura nickte glücklich. "Das Kleid ist perfekt. Der Glitzer ist nicht zu viel und nicht zu wenig und ich liebe diese Spitze am Rock." Die Verkäuferin lief kurz in einen Nebenraum und kam mit einem Schleier zurück, den sie Laura ins Haar steckte und der ihr bis zur Mitte des Rückens reichte. Ich musterte meine beste Freundin, die das letzte Mal so gestrahlt hatte, als Lennard auf die Welt gekommen war. "Es ist perfekt", murmelte sie glücklich, "Dieses Kleid nehm ich." Gesagt, getan und wenige Minuten war sie die stolze Besitzerin ihres Traumkleides. Da ich einiges an Sekt getrunken hatte, fuhr Laura mich noch nach Hause. Dort angekommen bedankte ich mich für den schönen gemeinsamen Tag und lief dann ins Haus und hoch zu meiner Wohnung. Zu meiner Überraschung stand eine Geschenktüte vor meiner Wohnungstür und als ich einen Blick hineinwarf, entdeckte ich ein Buch. Ich holte es raus und betrat gleichzeitig meine Wohnung, wo ich mir die Schuhe von den Füßen streifte und Titel und Klappentext meines Geschenks inspizierte. Es war ein historischer Roman, also ein Buch aus einem meiner Lieblingsgenre. Als ich es aufklappte, entdeckte ich einige mit Kugelschreiber geschriebene Zeilen.
Liebe Emily,
als ich dieses Buch gesehen habe, musste ich sofort an dich denken! Ich hoffe, dass es dein Herz schneller schlagen lässt, so wie meins, wenn ich dich sehe.
Viel Spaß beim Lesen und vergiss nicht, dass ich dich liebe!
Ich seufzte leise. Offensichtlich war das ein weiteres Geschenk von meinem heimlichen Verehrer und langsam aber sicher wurde es mir unheimlich. Dass ich gerne historische Romane las, war kein Geheimnis, aber meine Lieblingsblumen, meine Lieblingspralinen und eine Postkarte von dem Ort, zu dem ich in diesem Sommer zum ersten Mal gereist war, weil es schon lange mein Traum gewesen war? Das waren doch keine Zufälle mehr! Aber was sollte ich jetzt tun? Julian darauf ansprechen? Oder eher nicht, weil ich ja gar nicht sicher sein konnte, ob die Sachen wirklich von ihm waren? Verzweifelt und frustriert raufte ich mir die Haare und beschloss, dass ich auch noch morgen oder im Laufe der Woche eine Entscheidung treffen konnte. Jetzt brauchte ich erstmal dringend ein Mittagsschläfchen, um den Sektrausch auszuschlafen und heute Abend war ich mit Jannis verabredet, um zu hören, wie es ihm mittlerweile so ging. Also zog ich mir eine lockere Jogginghose und ein Top an, schmiss mich auf mein Bett und war innerhalb kürzester Zeit ins Land der Träume abgedriftet.

Plötzlich zwei Leben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt