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Ich trank den letzten Schluck von meinem Starbucks-Kaffee und schmiss den leeren Becher in einen Mülleimer, an dem wir vorbeiliefen, während Sophia aufzählte, was sie alles besorgen musste. Da in zwei Wochen ihr Geburtstag anstand und sie zu diesem Anlass eine Party schmeißen wollte, war ich als eine ihrer besten Freundinnen natürlich in der Pflicht, sie bei den Vorbereitungen zu unterstützen. Also hatten wir uns für diesen Vormittag zum Shoppen verabredet und ich hatte definitiv nicht damit gerechnet, dass sie bereits um halb neun am Morgen starten wollte. Jetzt lief ich, dank des Kaffees ein bisschen wacher, neben ihr her und lauschte ihren Plänen. Dabei schweiften meine Gedanken zu Julians Party vor zwei Wochen. Wir hatten seitdem keinen weiteren Kontakt mehr gehabt und ich glaubte, dass es so besser war. Unsere Begegnung hatte mir klargemacht, dass ich bei weitem noch nicht so weit war, wie ich es mir eingeredet hatte. Leise seufzend versuchte ich mich wieder auf Sophia zu konzentrieren und folgte ihr in irgendeine Boutique. "Also, was meinst du? Eher verspielt und süß oder sexy?", erkundigte sie sich, während sie ihren Blick über die Kleiderständer fliegen ließ. "Zieh das an, worin du dich am wohlsten fühlst. Es ist dein Geburtstag, also kannst du tun und lassen, was du willst. Wenn du Lust hast dich sexy anzuziehen, dann mach das. Und wenn nicht, dann eben nicht. Du könntest auch im Penner-Look gehen", schlug ich ihr schmunzelnd vor und sie boxte mich lächelnd gegen die Schulter. "Du bist eine Idiotin, Emily Bender." "Ich weiß", entgegnete ich lachend und nahm eine dunkle Bluse von einem der Ständer. "Was hältst du hiervon?" "Hm, das ist mir irgendwie zu schlicht. Aber- oh mein Gott, was ist das denn?" Mit strahlenden Augen steuerte sie auf ein Kleid zu und musterte es aus der Nähe. "Das muss ich anprobieren!", rief sie begeistert, drückte mir ihre Tasche in die Hand und verschwand in der nächstbesten Umkleide. Ich streifte ein wenig durch die Reihen und blieb schließlich vor einem kurzen schwarzen Kleid stehen. Es hatte lange transparente Ärmel, der Rest war schlichter dunkler Stoff. Ich vermutete, dass es mir bis zur Mitte der Oberschenkel reichen würde, was für meinen Geschmack eigentlich zu kurz war. Trotzdem reizte mich das Kleid irgendwie und ich beschloss es anzuprobieren. Auf dem Weg zur Umkleide entdeckte ich Sophia und blieb mit großen Augen stehen. "Wow, du siehst großartig aus!" "Wirklich? Das ist ja sonst eher nicht so meins." "Du meinst den ganzen Glitzer? Ja, schon, aber es sieht trotzdem gigantisch aus. Und dieser Schnitt ist klasse. Es sieht aus, als wäre es einfach um dich gewickelt." "Ja und es macht einen echt schönen Ausschnitt, oder?" Ich musste schmunzeln. "Oh ja, das auf jeden Fall. Kai wird dir den ganzen Abend nicht in die Augen sehen können, weil ihn was ablenken wird." Kritisch verzog Sophia die Stirn. "Also findest du den Ausschnitt zu extrem?" "Nein, er ist super. Das Kleid ist perfekt, Sophia. Wirklich." Erleichtert atmete sie auf und lächelte. "Dann nehme ich das. Hast du auch was gefunden?" Ich deutete auf das Kleid in meinen Händen. "Mal schauen. Ich dachte, ich probiere mal was anderes als sonst." "Wow, also auf dem Bügel sieht es schonmal mega aus." "Hoffen wir, dass es an mir auch noch so gut aussieht", erwiederte ich grinsend und verschwand in der Umkleide. Nachdem ich meine Klamotten ausgezogen hatte, wollte ich das Kleid anziehen, stockte aber, als ich überlegte, wie ich es anziehen sollte. Erst jetzt fiel mir ein gigantisches Loch auf und dann begriff ich: das Kleid hatte einen offenen Rücken. Von vorne sah es sehr brav aus und war hoch geschnitten. Es hatte einen Rundhalsausschnitt und auch die langen Ärmel hatten mich davon abgelenkt, dass das Kleid abgesehen von einem schmalen Streifen direkt am Nacken meinen kompletten Rücken freigab. Ich seufzte und überlegte, ob ich es direkt wieder zurückhängen sollte, dann gab ich mir einen Ruck. Ich würde es zwar nicht kaufen, aber anprobieren konnte ja nicht schaden. Also schlüpfte ich in das Stretchkleid, welches sich sofort meinem Körper anpasste. Es fühlte sich an wie eine zweite Haut, aber ohne mich einzuengen. Überrascht stellte ich fest, wie bequem es war, dann musterte ich mich im Spiegel. Von vorne sah es schlichtweg schick und elegant aus, dann drehte ich mich ein wenig und betrachtete den offenen Rücken. Wie ich es befürchtet hatte, sah man die Narben, die ich dort hatte. Nachdem Julians und meine Wohnung vor wenigen Monaten durch eine Gasexplosion zerstört worden war, hatte ich ein paar Wochen danach plötzlich starke Rückenschmerzen bekommen und war zum Arzt gegangen. Wie sich herausstellte, hatten sich zwei große Glassplitter in meinen Rücken verirrt und ich hatte sie zunächst nicht bemerkt, weil ich erst voller Adrenalin gewesen war und dann Schmerzmittel für mein kaputtes Knie bekommen hatte. Als die Haut zu heilen begann, hatten sich die Wunden am Rücken entzündet, was die starken Schmerzen verursacht hatte. Also musste ich wieder ins Krankenhaus und die Splitter entfernen lassen, aber jetzt hatte ich davon ziemlich in der Mitte meines Rückens zwei längliche Narben, an die ich mich noch nicht so recht gewöhnt hatte. Ein Seufzen entfuhr mir, während ich mit mir rang und Sophia schien es gehört zu haben. "Was ist los? Passt das Kleid nicht?" "Doch, aber- ach, keine Ahnung." Ich zog den Vorhang beiseite und verließ die Umkleide, damit meine Freundin das Kleid sehen konnte. Ihre Augen wurden augenblicklich so groß wie Untertassen, was mich schmunzeln ließ. "Du siehst mega aus!", entfuhr es Sophia, "Wieso willst du es nicht nehmen?" Verlegen drehte ich mich um, sodass sie einen genauen Blick auf meinen Rücken werfen konnte. "Siehst du die Narben?" "Ja, was hast du denn da angestellt?" Ich seufzte. "Die sind von der Explosion, es waren Glassplitter, aber ich hab sie erst bemerkt, als sich die Schnitte schon entzündet hatten. Wenn ich das Krankenhaus nicht unbedingt so schnell hätte verlassen wollen, hätte ich solche Narben wohl vermeiden können, aber ich war bescheuert und jetzt kann ich nichts mehr dagegen tun. Dieses Kleid präsentiert sie geradezu auf dem Silbertablett. Es ist förmlich eine Einladung, sich die Narben genau anzuschauen!" Erst jetzt merkte ich, dass meine Stimme lauter geworden war und atmete tief durch. Sophia lief entschlossen auf mich zu und zwang mich, sie anzusehen, indem sie ihre Hände auf meine Schultern legte. Durchdringend sah sie mich an. "Emily Bender, du bist eine wunderschöne Frau und diese Narben ändern rein gar nichts daran. Im Gegenteil, sie zeigen, was du schon erlebt hast. Du hättest bei dieser Explosion sterben können, aber diese Narben beweisen, dass du überlebt hast. Bitte komm niemals auf die Idee, sie würden dich in irgendeiner Weise hässlich machen. Du. Bist. Wunderschön. Und zwar mit allem, was zu dir dazu gehört."





Liebe Leser,
am kommenden Freitag (18.9.) wird es eine Lesenacht geben🎉 Beginn ist um 18 Uhr und ein neues Kapitel kommt voraussichtlich immer zur vollen Stunde. Ich hoffe, dass einige von euch live dabei sein und fleißig kommentieren werden😍

Plötzlich zwei Leben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt