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Zur selben Zeit bei Julian:

Müde rieb ich mir die Augen. Eigentlich wäre Bernd jetzt mit mir bei der "Emilywache" dran, aber er musste ein dringendes Telefonat mit seinem Verein führen und so saß ich alleine an ihrem Bett. Mittlerweile durfte man auch ihr Gesicht wieder berühren, musste sich aber vorher die Hände desinfizieren. Genau das tat ich auch, bevor ich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr strich. "Wann wachst du bloß auf, Muffin? Wir warten hier alle auf dich. Also welchen Kampf auch immer du gerade kämpfst, bitte setz noch eine Schippe drauf und gib 110%. Du hast schon so viel durchgestanden, das schaffst du auch noch. Bernd muss dir nämlich unbedingt noch was erklären und Laura will sich noch bei dir entschuldigen, weil sie glaubt, sie hätte dich vernachlässigt. Und ich muss dir auch noch was sagen, also bitte wach auf." Ich umschloss ihre Hand mit meiner und ließ mich neben ihrem Bett auf einen Stuhl sinken, dann atmete ich tief durch und beobachtete Emily einfach nur, wie sie reglos da lag. Ein leises Seufzen verließ meinen Mund. "Ich weiß, ich hab es dir in den letzten Tagen schon öfter gesagt, aber ich war ein Vollidiot. Also, noch vollidiotiger als sonst und das soll schon was heißen bei mir. Aber ich war zu feige, um dir was zu gestehen und ja, ich weiß, ich hab mir vorgenommen dir das erst zu sagen, wenn du aufgewacht bist, aber du lässt dir ja so verdammt viel Zeit damit und ich platze bald, weil ich es dir noch nicht sagen konnte." Ich stockte und starte fassungslos auf meine Hände. "Oh mein Gott. Hast du gerade deine Finger bewegt? Hab ich mir das eingebildet oder hast du es wirklich getan? Wenn ja, kannst du es bitte nochmal machen?" Stumm beobachtete ich ihre Hand und mir traten Tränen in die Augen, als Emilys Finger sich tatsächlich bewegten. Sofort stand ich auf und sah in ihr Gesicht. "Muffin? Hörst du mich?" Mit angehaltenem Atem beobachtete ich, wie ihre Augenlider zuckten und sich ihre Lippen zu bewegen begannen. Zuerst verstand ich nicht, was sie sagte, dann begriff ich, dass es mein Name war. "Julian." Zu Tränen gerührt griff ich wieder nach ihrer Hand und nickte. "Ja, ich bin hier. Ich bin direkt hier bei dir, Emily." Und dann geschah endlich das, worauf wir seit Tagen warteten. Sie öffnete ihre Augen und sah mich direkt an. Ihre Lippen verzogen sich minimal zum Ansatz eines Lächelns und es gab kein Halten mehr für mich. Die Tränen liefen mir in Strömen die Wangen hinunter und ich hätte Emily am liebsten vor Erleichterung ganz fest umarmt und nie wieder losgelassen. "Julian." Dieses Mal klang ihre Stimme schon ein klein wenig fester und ich nickte. "Ja, ich bin's. Wie geht's dir?" "Durst", murmelte sie schwach und sofort kam Bewegung in meinen Körper. "Ich rufe eine Schwester, okay? Dann bekommst du bestimmt was zu trinken." Entschlossen griff ich nach der kleinen Fernbedienung an Emilys Bett und drückte den roten Knopf, dabei ließ ich sie aber keine Sekunde aus den Augen. Lächelnd beobachtete ich, wie sie müde die Augen schloss und sie im nächsten Moment wieder öffnete, um mich direkt anzusehen. Keiner von uns sagte ein Wort, während mir noch immer vor Erleichterung die Tränen liefen und jetzt gerade war einfach alles perfekt. Die Tür wurde geöffnet und mehrere Ärzte und Schwestern betraten den Raum. Sie alle wirkten überrascht und erleichtert, dass Emily mit offenen Augen im Bett lag und sogar schon den müden Ansatz eines Lächelns präsentierte. "Willkommen zurück Frau Bender. Sie haben uns alle ganz schön in Atem gehalten", begrüßte der Arzt sie freundlich und warf einen Blick auf die Monitore neben dem Krankenbett. "Sorry", murmelte Emily, doch der Mann winkte schmunzelnd ab. "Umso schöner, dass sie jetzt wach sind. Wie fühlen Sie sich?" Emily räusperte sich und ihre Stimme klang rau. "Ich hab Durst." Der Arzt nickte einer Schwester zu, welche nach einem Becher griff und ihn vorsichtig an Emilys Lippen ansetzte. "Ich bin Dr. Grimm und habe Sie operiert. Das ist Dr. Pfeiffer, der Neurochirurg, der Ihre Hirnblutung gestoppt hat. An was können Sie sich noch erinnern?" Emily schluckte und senkte für einen Moment den Blick. Ich spürte, wie sich ihre Hand in meiner verkrampfte und strich mit meinem Daumen sanft über ihren Handrücken, um sie zu ermutigen. "Ich wollte fliehen, aber Jan kam zurück nach Hause. Wir haben miteinander gekämpft, dann hat er meinen Kopf gegen die Wand geschlagen und weil ich davon noch benommen war, konnte er ein Messer holen, mit dem er dann auf mich eingestochen hat." Ihre Stimme wurde zum Ende hin immer leiser und mein Herz zerbrach bei dem Gedanken daran, was sie hatte erleiden müssen. "Die Polizei hat das Haus gestürmt und Sie bis zum Eintreffen der Rettungskräften wiederbelebt, dann wurden Sie hierher gebracht und sofort notoperiert. Wir konnten den Bruch in Ihrem Arm richten und mit Nägeln fixieren, die in zwei Monaten wieder operativ entfernt werden müssen. Auch ihre gebrochene Nase konnten wir richten und einen Schädelbruch ausschließen, obwohl sie einige sehr schwere Prellungen am Kopf haben. Sie hatten großes Glück, dass Sie Ihr Auge behalten konnten, denn das hat einiges abgekriegt. Ein Wirbel in Ihrer Halswirbelsäule war angebrochen, hat das Rückenmark aber nicht verletzt und muss jetzt in Ruhe wieder zusammenwachsen, weshalb Sie die Halskrause tragen. Abgesehen von einer Menge oberflächlicher Wunden hatten Sie außerdem schwere innere Verletzungen. Wir konnten alle Organe reparieren, nur Ihre Leber nicht. Glücklicherweise hat Ihre Mutter sich als geeignete Spenderin erwiesen und Ihnen einen Teil ihrer Leber gegeben." "Meine Mutter?", hakte Emily gerührt nach und ihr Blick wanderte zu mir, "Karin hat mir einen Teil ihrer Leber gespendet?" Ich nickte lächelnd. "Wir haben uns alle testen lassen und als sie wusste, dass sie eine geeignete Spenderin ist, hat sie sofort in die OP eingewilligt." Jetzt mischte sich Dr. Grimm wieder in unser Gespräch mit ein. "Das alles wurde in der ersten Operation gemacht, kurze Zeit später stieg Ihr Hirndruck allerdings extrem an und wir stellten eine Hirnblutung fest, die Dr. Pfeiffer aber erfolgreich stoppen konnte. Um Ihrem Körper die Möglichkeit zu geben, sich in Ruhe zu erholen, haben wir Sie in ein künstliches Koma versetzt, welches wir gestern medikamentös ausgeleitet haben. Und es ist schön zu sehen, dass Sie aufgewacht sind", schloss er seinen Bericht. "Was kommt jetzt auf mich zu?", erkundigte Emily sich daraufhin und auch ich schaute den Arzt an, denn diese Frage hatte ich mir noch gar nicht gestellt. "Sie werden weiterhin engmaschig überwacht und wenn Ihr Zustand stabil bleibt, können wir Sie in ein paar Tagen auf ein normales Zimmer verlegen. Sobald das geschehen ist, werden Sie mit Physiotherapie beginnen, um Ihre Muskeln wieder aufzubauen und wenn alles gut läuft, können wir Sie in zwei bis drei Wochen entlassen." "Wann kann ich wieder Fußball spielen?", fragte Emily und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, genauso wie die beiden Ärzte. "Es wird eine ganze Weile dauern, bis Sie wieder auf einem so hohen Level belastbar sein werden. Wenn Sie sich ohne Komplikationen erholen, können Sie vielleicht in der zweiten Hälfte der Rückrunde wieder langsam ins Training einsteigen. Aber jetzt sollte Ihr Fokus erstmal auf dem Gesundwerden liegen. Ich würde Sie gerne noch kurz untersuchen, okay?" Emily nickte und ich beobachtete, wie Dr. Grimm und Dr. Pfeiffer ihre motorischen Fähigkeiten testeten, ihr in die Augen leuchteten und und und. Anschließend nahm eine der Schwestern ihr noch Blut ab, dann hatten wir endlich unsere Ruhe und Emily sah mich fragend an. "Hast du den anderen schon Bescheid gesagt, dass ich aufgewacht bin?" Ich schüttelte bedauernd den Kopf. "Hier drin sind keine Handys erlaubt und ich wollte dich nicht alleine lassen." Diese Worte entlockten Emily ein Lächeln, welches ich automatisch erwiderte. "Ich bin froh, dass du hier warst, als ich aufgewacht bin, aber bitte sag Ihnen Bescheid, damit ich sie so schnell wie möglich wiedersehen kann." "Klar, mach ich. Bernd müsste übrigens jeden Moment wiederkommen, der musste noch mit dem Verein telefonieren." "Bernd ist hier?" "Ja, schon seit deiner Entführung. Er hat nach eurem Telefonat direkt die Polizei gerufen und einen Tag später ist er hergeflogen und war seitdem nicht mehr in England. Er will sich unbedingt bei dir entschuldigen." "Ich muss mich auch bei ihm entschuldigen", murmelte Emily nachdenklich, dann schenkte sie mir ihr wunderschönes Lächeln. "Bei dir muss ich mich auch entschuldigen. Ich glaube, meine Worte haben dich ziemlich verletzt." Ich biss mir auf die Lippe, dann nickte ich leicht. "Wir müssen über vieles reden, aber das hat Zeit. Erstmal informiere ich jetzt die anderen und wir beide werden schon noch einen Moment zu zweit finden, um über uns zu sprechen." Lächelnd nickte Emily und ich drückte nochmal ihre Hand, bevor ich den Raum und die Intensivstation verließ. Erst, als ich vor dem Krankenhaus stand und tief die frische Luft einatmete, zog ich mein Handy aus meiner Hosentasche und wählte Kais Nummer. Es tutete ein paar Mal, dann hob er ab. "Hey Jule, gibts was neues bei Emily?" Ich holte tief Luft, bevor ich lächelnd antwortete: "Ja. Sie ist aufgewacht."

Emilys hat sich für das Leben entschieden😍 #welcomeback

Plötzlich zwei Leben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt