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2 Monate später

Nervös musterte ich mich ein letztes Mal im Spiegel und strich den Stoff des weinroten Kleides glatt. Es war schulterfrei, hatte Dreiviertelärmel und war bis zur Taille mit Spitze besetzt. Ab dort fiel es glatt bis zu meinen Füßen, die in schwarzen Ballerinas steckten, die als einzige Schuhe in Frage kamen, weil ich noch nicht wieder in hohen Schuhen laufen konnte. Zur Sicherheit hatte Laura außerdem darauf bestanden, dass es einen Rollstuhl gab, in den ich mich zur Not setzen konnte, aber den wollte ich auf gar keinen Fall brauchen. "Hey, bist du soweit?", erklang Neles Stimme und im nächsten Moment stand sie in meinem Schlafzimmer und sah mich mit großen Augen an. "Oh Emily, du siehst wunderschön aus. Julian wird die Augen nicht von dir lassen können." "Meinst du? Aber man sieht immernoch so viele Narben", murmelte ich unsicher, woraufhin Lars' Freundin sofort denKopf schüttelte. "Du siehst großartig aus und die Narben sieht man kaum noch. Außerdem verdeckt das Kleid bis auf die Schultern und die Unterarme doch fast alles." Ich seufzte und hätte mich am liebsten wieder umgezogen, aber ich konnte schlecht in Jeans und Hoodie zur Hochzeit meiner besten Freundin gehen. Also raffte ich mich zusammen, streckte den Rücken durch und hob das Kinn, dann folgte ich Nele aus meinem Schlafzimmer ins Wohnzimmer, wo Lars saß und Lennard gerade eine kleine weinrote Fliege umband. "Er sieht so niedlich aus in diesem Klamotten", stellt ich entzückt fest, woraufhin mein Bruder sich zu mir umdrehte. "Du siehst aber auch super aus, Schwesterchen", machte er mir ein Kompliment, woraufhin ich schwach lächelte. "Danke gleichfalls. Seid ihr dann soweit? Ich glaube, so langsam sollten wir dringend los." "Jap. Ich hab vor ein paar Minutn mit Sven geschrieben, er erwartet uns voller Anspannung und hat mich daran erinnert, dass wir die Ringe auf keinen Fall vergessen dürfen." Ich schüttelte lachend den Kopf. "Also wirklich, was denkt er denn von uns? Ich hab die Ringe natürlich längst eingeste-" Ich stockte und sah meinen Bruder erschrocken an, "Verdammt, die Ringe liegen noch auf meinem Nachttisch!" So schnell wie möglich lief ich zurück ins Schlafzimmer und holte das kleine Kästchen, während mir das Gelächter von Lars und Nele folgte. Dann konnten wir endlich losfahren und ich bespaßte Lennard auf der Rückbank bis wir die Kirche erreicht hatten. Während Nele auf den Haupteingang der Kirche zusteuerte, um sich schon mal einen Platz zu sichern, liefen Lars und ich mit Lennard zu einem Seiteneingang. Erst im Flur trennten wir uns und ich betrat das Zimmer, in dem Laura gerade dabei war, sich den Schleier ins Haar zu stecken. Mir traten Tränen der Freude in die Augen, als ich meine beste Freundin entdeckte. "Oh Laura, du siehst wunderschön aus. Wenn Sven es nicht tun würde, würde ich dich heiraten." Damit brachte ich die Braut und ihre Mutter zum Lachen, dann umarmten wir uns erstmal alle zur Begrüßung und ich half Laura dabei, die letzten Dinge zu richten. Schließlich sah ich sie fragend an. "Bereit?" "Absolut. Ich kann es kaum erwarten." Ich grinste sie an. "Perfekt. Dann gehe ich jetzt mal nach meinen Brüdern und deinem Sohn gucken. Wir sehen uns gleich vor der Kirche." Ein letztes Mal umarmte ich sie und griff im Rausgehen nach dem kleinen Blumenstrauß, der für mich bestimmt war. Sven, Lars und Lennard alberten gerade herum, als ich das Zimmer betrat und hielten sofort inne. "Wow Em, du siehst umwerfend aus!", stellte Sven fest und ich lächelte. "Danke. Bist du bereit oder soll ich das Flucht-Auto holen?" "Ich bin sowas von bereit", entgegnete er und zeigte mir einen Daumen nach oben. "Alles klar, dann gehen Lennard und ich schonmal rein", sagte Lars und wir umarmten uns ganz fest, bevor er mit seinem Neffen den Raum verließ. Aufgeregt sah ich Sven an und konnte meinen Stolz nicht unterdrücken. Er war in den paar Jahren, die ich ihn jetzt kannte zu einem wundervollen Mann geworden und ich konnte mir für ihn und Laura niemand besseren vorstellen, als den jeweils anderen. Mein Blick fiel auf die Uhr an der Wand und ich atmete tief durch. "Also dann, es ist soweit." Sven nickte und küsste mich sanft auf die Wange, dann verließen wir gemeinsam das Zimmer und während mein Bruder durch eine Tür im Gang in den Hauptteil der Kirche gelangte, verließ ich sie durch den Seiteneingang und steuerte auf den Haupteingang zu, vor dem ich wartete. Hinter mir quietschte die Tür und schon stand Laura hinter mir. Ich nahm ihre Hand und drückte sie sanft, dann hörte ich, wie die Musik zu spielen begann und lief los. Meine Hände, in denen ich den kleinen Strauß hielt, zitterten vor Aufregung, während ich durch den Mittelgang der Kirche lief und nachdem ich die Hälfte geschafft hatte, spürte ich, wie erschöpft ich bereits war, weil ich seit heute Morgen auf den Beinen war. Für einen kurzen Moment hatte ich Angst, dass meine Knie nachgeben würden, aber dann entdeckte ich ein vertrautes Augenpaar, das mich ganz genau beobachtete und darunter ein aufmunterndes Grinsen. Julian sah mich so liebevoll und ermutigend an, dass ich instinktiv die Schultern mehr durchdrückte und mit neuer Energie weiterging, bis ich vorne angekommen war, wo Sven und Lars bereits standen. Kaum hatte ich mich auf meinen Platz gestellt, wechselte die Musik zum klassischen Einlauflied bei Hochzeiten und alle Gäste standen auf. Laura erschien im Eingang der Kirche und lief am Arm ihres Vaters breit lächelnd auf uns zu. Ich schielte zur Seite und sah, dass Sven mit den Tränen kämpfte, aber mir ging es nicht besser. Nach den kräftezehrenden letzten Monaten, die es für alle gewesen war, weil ich während der Reha nicht immer gut drauf gewesen war, grenzte es schon fast an ein Wunder, dass wir heute alle hier standen und diese Hochzeit feiern konnten. Sobald Laura beim Altar angekommen war, konnten Lars und ich uns hinsetzen und ich spürte, dass ich es nur knapp schaffte, nicht hinzufallen, bevor ich meinen Stuhl erreichte. Julian lächelte mich sanft an und sobald ich neben ihm saß, lehnte er sich zu mir und begrüßte mich mit einem Kuss, dann wisperte er in mein Ohr: "Du bist wunderschön." Tatsächlich konnte ich spüren, wie ich ein wenig errötete, obwohl mir das heute schon einige Leute gesagt hatten. Aber bei Julian war es einfach was anderes und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als der Blonde ganz selbstverständlich nach meiner Hand griff und unsere Finger miteinander verschränkte. Kurz schielte ich zu ihm rüber und erntete sein typisches Grinsen, dann wandte ich meine Aufmerksamkeit der Zeremonie zu.

Plötzlich zwei Leben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt