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Nachdem Julian gegangen war, fühlte sich die Wohnung sofort wieder leer und kalt an und ich hatte das dringende Bedürfnis, mich zu bewegen, um den Kopf frei zu kriegen. Wegen meiner Verletzung war es mir nur blöderweise verboten Sport zu machen und ich rang eine Weile mit mir, bis ich es einfach nicht mehr aushielt. Schnellen Schrittes lief ich ins Schlafzimmer, schlüpfte in Sportklamotten, schluckte eine Schmerztablette und verließ mit Kopfhörern in den Ohren das Haus. Während ich mit Bonnie neben mir joggte, konnte ich tatsächlich ganz gut verdrängen, was mich gerade so beschäftigte, aber als ich eine Stunde später mit Schmerzen unter der Dusche stand, kam alles wieder hoch. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, zu Julian unter die Decke zu krabbeln? Wieso war ich überhaupt zu ihm ins Wohnzimmer gegangen? Und was hatte mich eigentlich auf die dämliche Idee gebracht, ihn bei mir übernachten zu lassen? Meine Wut übertrug sich schließlich auf Sophia und Kai, weil das ganze nicht passiert wäre, wenn sie die Sache nicht eingefädelt hätten. Seufzend verließ ich die Dusche und wickelte mich in ein Handtuch ein. Während ich ins Schlafzimmer lief, griff ich im Vorbeigehen nach meinem Handy, das auf der Kommode im Gang lag und sah, dass Sophia mir per WhatsApp geschrieben hatte. Wenn man vom Teufel spricht, schoss es mir durch den Kopf und ich öffnete die Nachricht.

S: Hey Emmi, ich wollte mich nochmal wegen gestern Abend entschuldigen. Kai und ich hätten das nicht machen sollen, aber wir sind uns einfach so sicher, dass Julian und du richtig füreinander seid! Ich hoffe du bist mir nicht mehr böse. Ich hab es wirklich nur gut gemeint und ich werde nie wieder sowas planen, versprochen!

Wow, das war eine Entschuldigung und direkt im nächsten Satz eine Rechtfertigung. Das konnte sie sich sonstwohin stecken, ich war immer noch sauer. Dass ich eigentlich vor allem auf mich sauer war, gestand ich mir nicht ein und beschloss stattdessen, Sophia erstmal nicht zu antworten. Im Schlafzimmer suchte ich mir eine Jogginghose und ein T-Shirt raus, dann schluckte ich eine weitere Schmerztablette, cremte mir das Bein mit Voltaren ein und pflanzte mich mit einem Buch auf den Balkon. Aber so sehr ich es auch versuchte, Julian ließ sich nicht aus meinem Kopf schieben. Erschöpft schloss ich die Augen und sah sofort sein verschmitztes Grinsen. Dann verzerrte sich sein Gesicht und er sah mich so wütend an, dass es mir eiskalt den Rücken runterlief. Doch bevor ich meine Augen öffnen konnte, um diesem Bild zu entfliehen, verzog sich sein Gesicht erneut und er sah mich mit schmerzvollem Blick an. Es war sein Gesicht von gestern Abend aus dem Restaurant. Als ich ihm gesagt hatte, dass es noch zu früh war, um wieder Zeit zu zweit zu verbringen. Diesen Anblick würde ich wohl nie wieder vergessen, genauso wie all seine anderen Gesichtsausdrücke. Seufzend schlug ich die Augen auf und wollte gerade weiterlesen, als es an der Tür klingelte. Schwerfällig erhob ich mich und lief zur Freisprechanlage. "Bender?" "Hallo Frau Bender, ich hab mal wieder Blumen für Sie." "Ich bin gerade nicht so gut zu Fuß, würden Sie sie mir bitte nach oben bringen? Zweiter Stock, Appartement 2b." "Natürlich, wie Sie möchten." Ich drückte auf den Summer für unten und öffnete dann die Wohnungstür. Schon kurze Zeit später hörte ich Schritte auf der Treppe, dann stand der Blumenlieferant vor mir und überreichte mir einen Strauß aus blassgelben Rosen. Überrascht nahm ich ihn entgegen, denn ich hatte erwartet, dass es wie immer rosa Gerbera sein würden. Schnell unterschrieb ich dem Blumenlieferanten, dass ich den Strauß erhalten hatte, dann humpelte ich in die Küche und machte eine Vase fertig, die ich auf den Wohnzimmertisch stellte. Erst jetzt fiel mir die Karte auf, die darin steckte. Vorsichtig zog ich sie raus und las die wenigen Worte.

Na, kommt die Farbe der Rosen den Haaren deines geliebten Julians nah? Ich kann nicht glauben, dass du wirklich wieder zu ihm zurückgehst. Ist eine Gasexplosion nicht ein ziemlich deutliches Zeichen dafür, dass eine Beziehung gescheitert ist?

Woher wusste der geheime Blumenschicker von Julian? Er musste uns gestern beobachtet haben. Meine Hände begannen leicht zu zittern, denn jetzt wurde mir tatsächlich mulmig zumute. Von Julian waren die Blumen ganz offensichtlich nicht, dafür hatte ich jetzt- falls ich ihm selbst nicht sowieso geglaubt hätte- den Beweis. Auch Niklas hatte mir versichert, dass er mir nichts geschickt hatte, also konnte es nur jemand Fremdes sein. Aber ich wollte nicht zur Polizei gehen, irgendwie schämte ich mich. Das war alles so persönlich, auch die Erwähnung von Julian. Ich wollte nicht, dass jemand in meinem Leben herumschnüffelte; das tat die Klatschpresse schon genug. Seufzend versuchte ich mich zu beruhigen und wurde glücklicherweise abgelenkt, weil mein Handy klingelte. Es war Lars und in der folgenden Stunde schaffte ich es mich abzulenken, indem ich mit meinem Bruder über belangloses Zeug redete. Sobald er aufgelegt hatte, schnappte ich mir wieder mein Buch und lenkte mich weiter ab. Aber ich konnte mich nicht wirklich darauf konzentrieren und als ich es irgendwann aufgab, verriet mir ein Blick auf die Uhr, dass es erst 20 Uhr war. Kurzerhand griff ich nach meinem Handy und fragte ein paar meiner Mitspielerinnen, ob wir gemeinsam feiern gehen wollten. Beinahe sofort bekam ich mehrere Antworten und sowohl Lara als auch Ella, Cat und Finja waren dabei. Also zog ich mir eine schwarze Jeans, ein weinrotes Top mit Spitze und eine schwarze Lederjacke an, dann schlüpfte ich in meine weinroten Chucks und schminkte mich. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass Finja fahren würde, damit wir anderen etwas trinken konnten und als ich das Haus verließ, stand ihr Auto bereits davor. Grinsend stieg ich ein und begrüßte die Mädels, dann fuhren wir zu einem Club in der Nähe. Während der Fahrt erkundigten sich die anderen nach meiner Verletzung und ich log ihnen vor, dass es mir besser ging, obwohl ich es kaum erwarten konnte, die Schmerzen mit Alkohol zu betäuben. Als wir den Club wenige Minuten später betraten, traten mir sofort der Geruch von Schweiß und Alkohol in die Nase und ich steuerte direkt auf die Bar zu. Die ersten Drinks nahm ich noch gemeinsam mit den Mädels, dann verschwanden sie der Reihe nach zum Tanzen und ich blieb sitzen und kippte weiter einen Longdrink nach dem anderen runter. Irgendwann bemerkte ich, dass mich jemand beobachtete und sah zum anderen Ende der Bar. Der Mann, der dort saß, kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich hatte schon so viel getrunken, dass ich meinen Augen nicht mehr wirklich vertraute. In diesem Moment stellte der Barkeeper ein weiteres Glas vor mir ab und ich sah ihn überrascht an. "Ich hab nichts bestellt." Er grinste mich an und nickte in Richtung des fremden Mannes. "Stimmt, das war jemand anders, der sich sogar extra erkundigt hat, was du bis jetzt am meisten getrunken hast." Schmunzelnd griff ich nach dem Glas und prostete dem Fremden dankbar zu, bevor ich das Glas direkt zur Hälfte leerte. Der Alkohol benebelte mich immer mehr, aber es hatte die erwünschte Wirkung. Ich vergaß Julian, die Verletzung, den heimlichen Verehrer, einfach alles. Und spätestens, als der Fremde aufstand und mich einlud, mit ihm zu tanzen, war mir alles egal. Wir tanzten ausgelassen und eng beieinander bis wir schließlich in eine wilde Knutscherei verfielen, die mir gar nicht ähnlich sah. Aber das interessierte mich nicht, ich wollte einfach nur die Welt ausschalten und mich fallen lassen. Ich vergaß völlig, Finja Bescheid zu sagen, dass sie mich nachher nicht mitnehmen musste, als ich dem Fremden, der sich mittlerweile als Max vorgestellt hatte, aus dem Club und zu ihm nach Hause folgte. Während wir uns mit dem Taxi zu ihm fahren ließen, blitzte für den Bruchteil einer Sekunde eine Erinnerung in meinem Kopf auf. Eine Erinnerung an eine andere Party im Club, nach der ich am nächsten Morgen nackt neben Julian aufgewacht war. Doch im selben Moment war die Erinnerung wieder verblasst und meine ganze Aufmerksamkeit lag auf Max.

Plötzlich zwei Leben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt