"Also, worauf stoßen wir an?", fragte Julian, als er sein Getränk bekam. Ich zuckte die Schultern und legte fragend den Kopf schief. "Vielleicht auf überraschende Wendungen?" "Ja, auf überraschende Wendungen." Unsere Gläser klirrten, als sie gegeneinander prallten, dann nahm ich einen großen Schluck meiner Johannisbeerschorle. "Wieso bist du eigentlich in Leverkusen? Nur, um dich mit Kai zum Essen zu treffen?", erkundigte ich mich, um ein Gespräch zu beginnen und Julian wartete kurz mit der Antwort, weil die Kellnerin an unseren Tisch kam und die Bestellungen aufnahm. "Ich wollte einfach mal wieder die gute Leverkusener Luft schnuppern und weil ich zuletzt einen kleinen Infekt hatte und meine Werte noch nicht wieder perfekt sind, hat der Trainer mich am Samstag nicht in den Kader gelassen. Also wollte ich die Zeit sinnvoll nutzen und alte Freunde besuchen. Den Tag über war ich bei Kevin und heute Abend wollte ich mich dann eigentlich mit Kai treffen. Aber na ja, das ist anders gelaufen, als gedacht. Wie geht's dir denn? Ist deine Verletzung schon wieder ausgeheilt?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, aber ich bin definitiv wieder auf dem Weg der Besserung. Der Physiotherapeut hat mir Hoffnung gemacht, dass ich nächste Woche zusätzlich zu meinem individuellen Training vielleicht schon wieder ein bisschen mit der Mannschaft trainieren kann." "Das klingt doch super. Solche Muskelsachen können einen auch viel länger ausknocken." "Ja, da bin ich auch echt froh, dass es wohl nicht so schlimm ist, wie anfangs angenommen. Wie geht's denn eigentlich Nala? Ich vermisse sie total, deshalb hab ich mir vor kurzem auch einen Hund gekauft." "Ihr geht's super und bestimmt vermisst sie dich auch. Was für einen Hund hast du dir denn gekauft?", antwortete Julian und so schlängelten wir uns eine ganze Weile durch oberflächliche Themen bis das Essen uns Erleichterung verschaffte, weil wir beide den Mund voll hatte. Die Pizza Calzone schmeckte wie immer himmlisch, aber anschließend war ich wirklich satt. Julian schien es ähnlich zu gehen, denn er lehnte sich ein wenig im Stuhl zurück und atmete tief durch, wie er es immer tat, wenn er gut gegessen hatte. "Das war wirklich mega lecker, aber ich hab auch nichts anderes erwartet", murmelte er schmunzelnd und ich nickte zustimmend, während ich einen Schluck meiner Johannisbeerschorle nahm. Einige Sekunden lang herrschte Stille, dann räusperte Julian sich verlegen. "Ich finds übrigens echt schön, dass wir uns zuletzt wieder öfter gesehen haben." Ich nickte schwach, unsicher, was ich antworten sollte. Aber das schien meinem Exfreund egal zu sein, denn er sprach einfach weiter: "Als du bei meiner Party aufgetaucht bist, hast du mich total aus dem Konzept gebracht, aber im Nachhinein wurde mir klar, dass ich mich eigentlich total gefreut habe, dich wiederzusehen." Ich seufzte leise und sah Julian mit schmerzverzerrtem Gesicht an. "Bitte sprich nicht weiter", bat ich ihn leise und sein Blick wurde traurig. "Wieso nicht?" "Weil es weh tut. Es tut weh, hier neben dir zu sitzen und so zu tun, als ob all die Dinge nicht passiert wären, die aber passiert sind." Ich spürte, wie sich eine Träne aus meinem Auge löste und meine Wange hinunterlief und war froh, dass es im Restaurant zu laut und voll war, als dass jemand etwas hätte mitbekommen können. Mein Blick begegnete dem von Julian und ich verlor mich in seinen Augen. "Ich dachte wir wollten neu anfangen", murmelte er erstickt und ich biss mir auf die Lippe, während ich den Kloß in meinem Hals runterschluckte. "Ich wünschte, wir könnten es, aber ich- ich sitze hier und dieser Schmerz raubt mir förmlich den Atem. Ich sehe dich an und vor meinem inneren Auge erscheinen so viele Erinnerungen. Wie du mich liebevoll angesehen hast, während ich dich von mir gestoßen hab, weil ich mich meinen Gefühlen nicht hingeben wollte. Aber im selben Augenblick stehe ich wieder fassungslos vor dir, nachdem du eine Vase nach mir geworfen hast, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Das alles zerreißt mich und es tut so unglaublich weh, dass ich am liebsten schreien würde", erklärte ich mit tränenerstickter Stimme und sah, dass jetzt auch Julian glänzende Augen bekommen hatte. "Denkst du, mir geht es anders? Das tut es nicht, ich sehe genau dieselben Dinge. Aber im selben Moment sehe ich dich auch hier vor mir sitzen und mein Herz pocht wie wild, weil du mir immer noch verdammt wichtig bist. Ja, wir haben uns gegenseitig verletzt, aber wir haben uns auch immer wieder gegenseitig geheilt." "Nur beim letzten Mal waren die Verletzungen zu schlimm", entgegnete ich bitter, "Julian, unsere Beziehung war eine einzige Achterbahn. Entweder in Südtirol im Liebesurlaub oder schreiend in der Wohnung. Entweder im siebten Himmel und euphorisch verliebt oder uns gegenseitig schubsend am Abgrund. Dazwischen gab es bei uns nichts und das war so unglaublich anstrengend. Das schaffe ich nicht wieder." Verständnislos schüttelte Julian den Kopf. "Natürlich gab es dazwischen etwas. Dazwischen gab es Spaziergänge mit Nala, gemeinsam auf der Couch liegen und Filme schauen und uns gegenseitig direkt nach einem Spiel schreiben, wie es gelaufen ist. Das alles kannst du doch nicht vergessen haben." "Ich habe absolut gar nichts vergessen, was passiert ist, seit ich dich kennengelernt habe. Genau das ist das Problem. Die schlechten Sachen überwiegen. Ich kann nicht wieder eine unglückliche Beziehung führen, in der ich mich nicht traue zu sagen, was ich denke, weil ich befürchte, dass es dir nicht gefällt und wir darüber in einen hässlichen Streit geraten." Verletzt sah ich Julian an, der meinen Blick nur traurig erwiderte. Wir schwiegen beide, bis die Kellnerin an uns vorbeilief und er sie aufhielt. "Bringen Sie uns bitte die Rechnung." "Natürlich. Zusammen oder getrennt?" Wie ein geprügelter Hund sah Julian mich an und nahm seinen Blick nicht von mir, als er der Bedienung antwortete: "Getrennt."
Schweigend standen wir nebeneinander vor der Eingangstür des Toscana und sahen uns unschlüssig an. "Es war vielleicht einfach zu früh, um schon wieder so viel Zeit nur zu zweit zu verbringen", murmelte Julian und ich nickte schwach. "Du bist zu Fuß, oder?", erkundigte er sich und ich nickte erneut. "Dann bringe ich dich nach Hause." "Das sind doch nur zehn Minuten, du musst mich nicht begleiten." "Ich lasse dich ganz sicher nicht im Dunkeln allein nach Hause laufen", widersprach er meinem Einwand sofort und ich gab auf, weil ich wusste, dass Julian eben ein Gentleman war, dem man es auch nicht mehr ausreden konnte. Schweigend liefen wir nebeneinander her und ich verschränkte meine Arme vor der Brust, weil mir ein wenig kalt wurde. Plötzlich hörte ich es rascheln und im nächsten Moment lag Julians Cardigan über meinen Schultern. Instinktiv zog ich ihn vor meinem Körper zusammen und sah Julian von der Seite an. "Danke." "Kein Ding. Ich möchte ja nicht riskieren, dass du krank wirst." Ich nickte schwach und wir verfielen wieder in Schweigen bis wir schließlich das Haus mit meiner Wohnung erreichten. Unschlüssig blieb ich stehen. "Also dann, hier wären wir." Julian schaute sich interessiert um, auch wenn im Dunkeln kaum etwas zu erkennen war. "Nette Gegend." "Ja. Also dann ähm, danke fürs herbringen." "Keine Ursache." Lächelnd nahm Julian seinen Cardigan entgegen, den ich ihm hinhielt und ich biss mir nachdenklich auf die Lippe. Dann fiel mir etwas ein. "Wo schläfst du eigentlich heute Nacht? Fährst du jetzt noch zu Kai?" "Nein, nach dieser Aktion werde ich da heute nicht schlafen. Wahrscheinlich suche ich mir ein Hotel. Es ist schon so spät, dass ich eigentlich keinen der Jungs jetzt noch anrufen möchte, um nach Asyl zu fragen." Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch, dann öffnete ich sie wieder und sah Julian direkt an. "Ich hab ein Schlafsofa. Ein ziemlich bequemes sogar." Überrascht schaute Julian mich an. "Meinst du das ernst? Nach dem, wie es vorhin im Restaurant geendet ist, bietest du mir an, bei dir zu übernachten?" Ich zuckte die Schultern und nickte dann. "Ja, ich schätze schon. Also, was sagst du?" Jetzt bildete sich auf Julians Lippen ein kleines Lächeln. "Ich würde gerne heute Nacht bei dir schlafen."
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Plötzlich zwei Leben?
FanfictionDritter Teil der "Plötzlich zwei...?"-Trilogie Vier Monate sind vergangen seit Emily und Julian sich getrennt haben. 16 Wochen, in denen beide auf ihre eigene Art versucht haben, mit der neuen Situation leben zu lernen. 112 Tage, die gereicht haben...