Als ich die Augen öffnete, wurde mir schnell klar, dass ich wohl wieder eine Weile bewusstlos gewesen war. Das war jetzt schon einige Male passiert und eigentlich war ich dankbar dafür, denn es gab meinem Körper und meinem Verstand die Möglichkeit, sich zu erholen, auch wenn Jan diese Erholung jedes Mal aufs Neue kaputt machte, wenn er sich etwas Neues einfallen ließ, um mir weh zu tun. Ich hatte schon bald festgestellt, dass die seelische Folter viel schlimmer war, als die körperliche. Er konnte mich noch so oft schlagen, treten, an den Haaren ziehen oder mir ins Gesicht spucken, das war bei weitem nicht so schlimm, wie wenn er über meine Mutter oder meinen Vater sprach, mich daran erinnerte, dass sie gestorben waren und mich allein gelassen hatten. "Hast du deine Brüder eigentlich jemals gefragt, ob du ihnen nicht vielleicht eine Last bist?" Seine Worte hallten mir immer und immer wieder in den Ohren nach und ich konnte seine Stimme beim besten Willen nicht aus meinem pochenden Kopf verbannen. Ein bekanntes Geräusch erklang und ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass es Jans Schritte waren, die sich dem Keller näherten. Ich hörte, wie die Tür geöffnet wurde und er den Raum betrat. "Verdammt, das stinkt ja bestialisch hier!", entfuhr es ihm angewidert und ich konnte nicht anders, als schnippisch zu antworten: "Du lässt mich ja auch nicht duschen oder aufs Klo gehen. Was hast du erwartet?" "Dass du dich zusammenreißt, du nutzloses Stück Dreck." Seine Stimme wurde lauter und schon stand er vor mir und tat das, was er wohl am liebsten mochte. Er legte seine Hände um meinen Hals und begann immer fester zuzudrücken. "Ich sollte dir mal zeigen, wie atemberaubend es wirklich ist, dieses Loch zu betreten." Egal wie oft er mich würgte, ich würde mich niemals daran gewöhnen. Panisch wand ich mich so gut ich konnte, hörte meine versteiften Gelenke knacken und schaffte es wieder bloß, bei Jan ein herablassendes Lächeln auszulösen. "Du bist so niedlich, wenn du nach Luft ringst", murmelte er schmunzelnd und ließ urplötzlich los. Ich hustete und keuchte, schnappte panisch nach Luft und gab mir die größte Mühe, mich nicht zu übergeben. Jan beobachtete mich einfach nur dabei, wie ich gegen meinen eigenen, überstrapazierten Körper ankämpfte. Plötzlich hörte ich es klicken und erstarrte. War das eine Pistole? Ich sah auf und erkannte eine kleine Flamme vor Jans Gesicht. Erleichtert atmete ich auf. Es war nur ein Feuerzeug, keine Pistole. Ich folgte der Flamme, bis sie das Ende einer Zigarette erreichte, die in Jans Mund steckte, dann erlosch das kleine Licht. "Du fragst dich sicher, seit wann ich rauche. Ein Fußballprofi, der so hart für seine Karriere gekämpft hat, gibt das doch nicht leichtsinnig auf, um rauchen zu können. Weißt du, was das Problem ist? Ich bin kein Fußballprofi mehr. Und daran bist du Schuld, meine Liebe. Ein Aufenthalt im Knast macht sich nicht gut im Image eines großen Fußballclubs und da drin hat man auch nicht so wirklich die Möglichkeit, sich auf demselben Level fit zu halten wie vorher. Kurzum: Du hast mein Leben zerstört." "Daran warst du selbst Schuld", entgegnete ich", Du hast mich gestalkt, Kameras in meiner Wohnung platziert, mir eine tote Maus vor die Wohnungstür gelegt und mich angegriffen." Jan sah mich ernsthaft überrascht an. "Ich dachte, dafür wärst du mir dankbar. Immerhin hast du so die Aufmerksamkeit von deinem blonden Liebhaber gewonnen. Glaubst du wirklich, du wärst ihm auch nur ansatzweise aufgefallen, wenn er bei dir nicht den Ritter in schimmernder Rüstung hätte spielen können?" "Das sagst du nur, um mich runterzuziehen", versuchte ich mich selbst davon zu überzeugen, dass Jan log, aber er durchschaute mich sofort. "Du weißt, dass ich Recht habe. Leugnen wäre zwecklos. Und was, wenn ich dir sage, dass es ihn noch nichtmal interessiert, dass du vermisst wirst? Ich hab sogar einen Tipp an die Presse weitergegeben, aber nichtmal die interessieren sich dafür. Du bist ein Niemand." Seine Worte hatten eingeschlagen wie Blitze und ich ließ erschöpft den Kopf hängen. Es waren solche Sätze, die mir jegliche Hoffnung und Kraft nahmen. Ich hörte, wie Jan sich mir näherte und sich vor mich hockte, weshalb ich den Kopf wieder hob. Genüsslich zog er an der Zigarette in seinem Mund, dann blies er mir eine riesige Rauchwolke ins Gesicht. Ich kniff die Augen zusammen und hielt die Luft an, musste aber trotzdem heftig husten, als die Nikotindämpfe meine Nase und den Rachen zu reizen begannen. Lachend wiederholte Jan diese Prozedur immer und immer wieder. "Verdammt, das macht richtig Spaß. Aber ich würde gerne noch was anderes ausprobieren. Wolltest du nicht immer ein Tatoo haben, Schätzchen?" Mir schwante schlimmes, während ich wild den Kopf schüttelte, aber Jans Frage war rhetorisch gewesen. Völlig aus dem Nichts zog er ein Messer hervor und schnitt mir damit über den rechten Oberschenkel. Ich wimmerte bloß und schaffte es, den Schmerz halbwegs zu unterdrücken, da die Klinge nicht besonders tief eindrang. Kurz vor meinem Knie stoppte er und riss den oberen Teil meines rechten Hosenbeins auseinander. Eine dünne rote Linie zeigte, wo eben noch die scharfe Klinge durch meine Haut gefahren war und ich atmete erleichtert auf, als Jan das Messer wegsteckte. Doch schon im nächsten Moment wünschte ich es mir beinahe zurück, denn er hatte völlig unerwartet seine Zigarette wieder in die Hand genommen und sie auf mein Bein gedrückt. Ich schrie wie am Spieß, kniff die Augen zusammen und musste mich fast übergeben vor Schmerz. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mich halbwegs gefangen hatte und meine Augen wieder öffnete. Blinzelnd sah ich Jan an und schnappte keuchend nach Luft. "Wieso tust du das?", hauchte ich atemlos und er sah mich mit einem kranken Lächeln an. "Weil du mein Leben zerstört hast und ich das dringende Bedürfnis habe, mich dafür zu rächen. Das hier zum Beispiel", er deutete auf die Wunde, die seine Zigarette hinterlassen hatte, "wird niemals ganz verheilen. Sowas hinterlässt eine Narbe, die dich immer daran erinnern wird, was du mir angetan hast. Und sie hat noch einen weiteren Vorteil: Sie macht dich hässlich. So schütze ich andere Typen davor, sich auf dich einzulassen und damit einen großen Fehler zu begehen." Mit Tränen in den Augen starrte ich ihn an. "Es tut mir Leid. Ich wollte nicht, dass dein Leben zerstört wird. Ich hatte Angst vor dir", murmelte ich erschöpft, aber Jan zuckte nur die Schultern: "Für Entschuldigungen ist es zu spät, Emily." Und mit diesen Worten stand er auf und ging und ich blieb wie so oft zurück und stellte fest, dass ich aus diesem schrecklichen Kreislauf niemals entkommen war und niemals entkommen würde. So war es vor drei Jahren gewesen, als Jan und ich zusammen gewesen waren und so war es auch bis vor ein paar Monaten mit Julian gewesen. In seiner Anwesenheit fügte er mir auf irgendeine Weise Schmerzen zu und wenn ich dann allein war, war ich nur noch ein jämmerliches Häufchen Elend.
Ziemlich heftig, dass Emily sich durch Jans Verhalten an Julian erinnert fühlt, oder? Könnt ihr ihre Begründung verstehen? Also dass beide Männer ihr Schmerzen zugefügt haben und sie dann einsam und verletzt zurückgeblieben ist?
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Plötzlich zwei Leben?
FanfictionDritter Teil der "Plötzlich zwei...?"-Trilogie Vier Monate sind vergangen seit Emily und Julian sich getrennt haben. 16 Wochen, in denen beide auf ihre eigene Art versucht haben, mit der neuen Situation leben zu lernen. 112 Tage, die gereicht haben...