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Es brannte! Sofort lief ich rückwärts in die Wohnung zurück und schloss die Tür hinter mir, dann sah ich mich panisch um. Hatte ich irgendeine Fluchtmöglichkeit? Mit schnellen Schritten lief ich ins Wohnzimmer und öffnete das Fenster, sodass ich raus gucken konnte. Der Boden schien unendlich weit entfernt zu sein und ich runzelte verwirrt die Stirn. Wir waren doch nur im ersten Stock, wieso kam es mir dann so viel höher vor? Unsicher drehte ich mich um und erstarrte, denn ich stand nicht länger im Wohnzimmer meiner gemeinsamen Wohnung mit Sven und Lars, sondern im Schlafzimmer von meiner und Julians Wohnung. In der Wohnung, die eigentlich gar nicht mehr existierte, weil sie bei den Gasexplosionen fast vollständig zerstört worden war. Im selben Moment ertönte ein lauter Knall und ich fühlte mich auf einen Schlag an den Tag zurückversetzt, als es passiert war. Es kam mir beinahe so vor, als ob ich irgendwo Nalas aufgeregtes Bellen hören könnte und ich sah mich hektisch um. Wo war Julian? Er war verletzt, ich musste ihm helfen! "Julian? Julian, wo bist du?", rief ich verzweifelt und rannte durch die ganze Wohnung, um ihn zu finden. Der Rauch drang immer mehr unter der Wohnungstür hindurch und ich konnte kaum noch etwas sehen. Mein Hals kratzte und ich begann zu husten, unterdrückte es aber irgendwann, weil ich Julian immer noch nicht gefunden hatte. "Julian!", rief ich erneut und lief ins Badezimmer, aber auch hier war er nicht. Verdammt, uns lief die Zeit davon! Wenn ich ihn nicht fand, würde er sterben und wie sollte ich dann noch weiterleben? "Wieso könntest du ohne Julian nicht weiterleben?", erklang plötzlich eine Stimme hinter mir und ich drehte mich überrascht um. Auf einen Schlag war der Rauch weg und mein heftig pochendes Herz beruhigte sich langsam. "Mama, Gott sei Dank!" Erleichtert fiel ich meiner Mutter in die Arme, noch immer zitterte ich vor Angst, auch wenn mein Körper langsam zu begreifen schien, dass keine Gefahr mehr herrschte. Doch mein Mutter ließ keine lange Umarmung zu, sondern schob mich von sich. Ernst sah sie mich an. "Emily, du musst dich jetzt konzentrieren! Wieso könntest du ohne Julian nicht weiterleben?" Verwirrt sah ich sie an. "Kannst du meine Gedanken lesen?" "Darum geht es gerade nicht! Du musst jetzt ehrlich sein, Emily. Zu mir, aber vor allem zu dir selbst. Wieso könntest du ohne Julian nicht weiterleben?" "Das war doch nur, weil ich dachte, wir wären wieder in der Wohnung und das Haus würde wieder in die Luft fliegen", winkte ich ab, woraufhin meine Mutter verzweifelt seufzte und sich die Haare raufte. "Ich hab dir doch gesagt, dass du ehrlich sein musst. Bitte, mach uns beiden doch nichts vor. Gesteh es dir endlich ein!" Ich wollte den Mund öffnen, um sie zu fragen, was sie meinte, aber es kam kein Ton heraus. Stattdessen hatte ich das Gefühl, jemand würde mich erwürgen und ich kniff instinktiv die Augen zusammen. Der Griff um meinen Hals wurde immer fester und ich war wie gelähmt. "Emily!", rief irgendeine Stimme aus der Ferne und sie kam mir vertraut vor, obwohl ich sie gerade nicht zuordnen konnte. "Emily, bitte mach die Augen auf!", rief die Stimme erneut und ich tat, was sie mir sagte. Ruckartig riss ich die Augen auf und erstarrte, als ich Jan entdeckte, der mich angrinste. Seine Hände waren immer noch fest an meinem Hals, als ich die Stimme ein weiteres Mal hörte. "Du schaffst das!" Von neuer Kraft durchflutet spannte ich all meine Muskeln an und trat und schlug nach Jan, bis ich ihn schließlich so fest am Bauch traf, dass er mich losließ und nach hinten in die Dunkelheit stolperte, in welcher er verschwand. Keuchend griff ich an meinen Hals, als ob ich mich so versichern müsste, dass ich wirklich nicht mehr gewürgt wurde. "Ich glaube an dich!" Da war sie wieder, die Stimme. Und jetzt wusste ich auch endlich, wessen Stimme es war. "Julian", flüsterte ich überrascht und plötzlich stand ich nicht mehr irgendwo in der Dunkelheit, sondern in einem Park. Ich musste nicht überlegen, um zu wissen, wo ich war. Das war der Park, in dem Julian und ich immer mit Nala spazieren gewesen waren. In der Ferne sah ich die Sonne langsam untergehen, dann spürte ich plötzlich etwas an meinen Beinen und sah überrascht nach unten. "Nala!" Lächelnd ging ich in die Hocke und knuddelte die Hündin ausführlich, dann erklang ein vertrautes Lachen hinter mir. "Wenn ihr so weitermacht, werde ich neidisch." Überrascht drehte ich mich um und stand auf. "Was machst du denn hier?", erkundigte ich mich verwirrt und Julian erwiderte meinen Blick ebenso verwirrt. "Was ich hier mache? Na, wir sind doch verabredet." "Aber wie-? Hattest du einen Unfall oder sowas?", hakte ich nach, weil ich mir nicht erklären konnte, wie er in diese Welt gekommen war. Besorgt sah der Blonde mich an und strich mir sanft über die Wange. "Nein, mir geht's gut. Ist bei dir denn alles okay? Du wirkst irgendwie aufgewühlt, Muffin." Der Kosename brachte mich zum Schmunzeln und ich schüttelte den Kopf. "Bei mir ist auch alles okay. Wollen wir ein Stück spazieren gehen?" "Gerne. Aber wir müssen rechtzeitig zurück sein." "Zurück sein? Wofür denn?", fragte ich neugierig und Julian stupste mir grinsend gegen die Nase. "Das ist eine Überraschung." "Ich hasse Überraschungen", entgegnete ich sofort, in der Hoffnung ihn umstimmen zu können, aber Julian schüttelte mit wissendem Blick den Kopf. "Du liebst Überraschungen. Und jetzt sei nicht so neugierig und lass uns spazieren gehen." Er griff nach meiner Hand und verschränkte ganz selbstverständlich unsere Finger miteinander. Ich erstarrte kurz, aber dann beließ ich es dabei, denn eigentlich war es schön, ihm wieder so nah zu sein. Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her und genossen die letzten Sonnenstrahlen, dann waren wir irgendwann bei einer Bank angekommen. "Setz dich, dann hole ich die Überraschung", verkündete Julian schmunzelnd und ich tat, was er mir sagte. Nala ließ sich neben meinen Beinen nieder und rieb ihre Nase daran, dann kam Julian auch schon wieder zurück. Ich machte große Augen, als ich erkannte, was er in der Hand hielt. "Du hast Pizza zu einer Parkbank bestellt?", fragte ich überrascht und der Blonde nickte, bevor er mir einen der beiden Kartons reichte. Ich sah hinein und sofort lief mir das Wasser im Mund zusammen. "Hm, Hawaii. Perfekt." Ich griff nach dem ersten Stück und nahm einen Bissen, woraufhin ich mir ein kleines Stöhnen nicht verkneifen konnte. "Oh mein Gott ist die gut!" Lachend stimmte Julian mir zu und in den nächsten Stunden saßen wir einfach nur auf dieser Parkbank, aßen Pizza und redeten über alles mögliche. Über uns leuchteten die Sterne, ein sanfter Wind ließ die Blätter der Bäume rascheln und alles war perfekt. Ich musterte Julian, während er gerade von einer Dummheit aus Kindertagen erzählte, die er mit Jannis angezettelt hatte. Wie immer fiel ihm seine typische Haarsträhne in die Stirn, die er von Zeit zu Zeit vergeblich wegschob und wenn er lachte, konnte ich den Eckzahn sehen, von dem ein winziges Stück fehlte und die Grübchen, die mich schon immer ins Schwärmen gebracht hatten. Plötzlich bemerkte ich, dass Julian nicht mehr sprach, sondern mich beim Starren erwischt hatte. Lächelnd legte er den Kopf schief. "Na, schöne Aussicht?", fragte er leise und der Klang seiner gedämpften Stimme bescherte mir eine Gänsehaut. "Ja. Aber leider lenken mich die Temperaturen ein wenig ab", erwiderte ich ebenfalls leise. Sofort zog Julian sich seine Jacke aus und legte sie über meine Schultern. "Du bist ja auch viel zu dünn angezogen für dieses Wetter, Muffin." Lächelnd nickte ich und beugte mich leicht vor, um die Jacke zurechtzuziehen. Doch dann hielt ich in der Bewegung inne, denn ich bemerkte, wie nah Julian und ich uns jetzt waren. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und ich konnte nicht verhindern, dass mein Blick zu seinen Lippen glitt. "Du könntest mich auch noch anders aufwärmen", hauchte ich und in der nächsten Sekunde küsste Julian mich bereits. Sofort wurde mir warm, mein Herz pochte wie wild und in meinem Bauch tanzten nicht bloß Schmetterlinge, sondern ein ganzer Zoo. Automatisch legte ich meine Hand auf Julians Wange und spürte seine in meinem Nacken, die Welt um uns herum zählte nicht mehr, sondern nur noch wir zwei und dieser Kuss, der mich komplett von den Socken haute. Instinktiv hatte ich meine Augen geschlossen und gab mich ganz und gar den Gefühlen hin, die die Luft um uns herum prickeln ließen. Viel zu schnell löste Julian sich von mir und nahm seine Hand wieder von meinem Nacken. Frustriert öffnete ich die Augen und erstarrte. Denn Julian war weg. Ich saß alleine auf der Parkbank, mit den beiden leeren Pizzakartons neben mir und seiner Jacke auf meinen Schultern.


Welcome to Emily's emotional rollercoaster🥺

Plötzlich zwei Leben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt