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Mein wild pochendes Herz ließ sich kaum ignorieren, als Kai schließlich vor einem weißen Haus parkte. "Wir sind da." Ich schluckte hart, dann löste ich den Gurt und stieg aus. Im kleinen Garten vor dem Haus entdeckte ich ein Blumenbeet mit pinken Ranunkeln. Ich wusste, dass das die Lieblingsblumen von Julians Mutter waren und diese Geste von ihm entlockte mir ein gerührtes Schmunzeln. Ich wusste, dass er eigentlich ein herzensguter Mensch war, trotzdem war das mit uns fürchterlich schiefgegangen. Angestrengt unterdrückte ich ein Seufzen und folgte Kai und Sophia dann zur Haustür. Die Brünette klingelte und nur wenige Sekunden später wurde geöffnet. Automatisch spannte ich mich an, aber es war nicht Julian, der uns aufmachte, sondern Marco Reus. Er grinste uns an und zog Kai direkt in eine Umarmung. "Na Havertz, schaust du dir schonmal deine zukünftige Heimat an?", erkundigte er sich spielerisch, woraufhin Kai zu lachen begann und Marco in die Seite knuffte. "Das hättest du gerne, Reus." Dann wandten die beiden ihre Aufmerksamkeit Sophia und mir zu. "Das ist meine Freundin Sophia und das ist unsere gemeinsame Freundin Emily." Marco schüttelte uns beiden die Hand. "Freut mich euch kennenzulernen. Nach Julian müsst ihr wahrscheinlich erstmal suchen, es sind ganz schön viele Leute da." "Alles klar, danke." Wir folgten Marco ins Innere des Hauses und ohne es zu wollen, sah ich mich um. Es fühlte sich an wie vor einem knappen halben Jahr, als Julian und ich noch zusammen gewohnt hatten. Wir endeten schließlich im Wohnzimmer, wo Kai unzählige Jungs der Dortmunder Mannschaft begrüßte und Sophia und mich allen vorstellte. Julian hatten wir immer noch nicht entdeckt und gerade als Kai vorschlug, nach dem Blonden zu suchen, hörte ich seine Stimme. Seine sehr wütende Stimme. "Du hast was gemacht? Bist du noch ganz bei Trost?" Automatisch drehte ich mich in die Richtung um, aus der ich ihn hörte und entdeckte ihn sofort. Für einen Moment schien die Welt stillzustehen und da war nur er. Die blonden Haare waren typisch gestylt, er trug eine kurze dunkelblaue Hose und ein weißes T-Shirt mit einem großen Anker darauf. In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß. Das T-Shirt hatten wir letztes Jahr im Sommer gemeinsam gekauft und ich konnte mich noch lebhaft daran erinnern, wie er es zunächst skeptisch angesehen hatte, als ich es ihm vor die Nase hielt. Doch dann gefiel es ihm total gut und es wurde gekauft. Ich spürte, dass jemand sich neben mich stellte und erkannte aus dem Augenwinkel, dass es Sophia war. "Ist es okay?", erkundigte sie sich und ich nickte schwach, obwohl ich mir nicht sicher war, ob es okay war, wie ich mich gerade fühlte. Doch mir blieb keine Möglichkeit wegzulaufen, denn Sophia hakte sich bei mir ein und steuerte auf Julian und den anderen Blonden zu, den er gerade anschnauzte. Als wir die beiden scließlich erreichten, fielen mir beinahe die Augen aus dem Kopf. "Jannis? Ich dachte du triffst dich mit ein paar Freunden?" "Emily? Was machst du denn hier?", entgegnete er und erst dann fiel mir wieder ein, wegen wem ich eigentlich hier war. Mein Blick glitt nach rechts und ich starrte direkt in die wunderschönen Augen, in die ich mich vor zwei Jahren verliebt hatte. "Hi." Mehr brachte ich nicht raus und knetete unsicher meine Hände. "Hi." "Kai und Sophia haben mich mitgebracht", murmelte ich, als ob ich meine Anwesenheit auf dieser Party rechtfertigen müsste. "Cool", erhielt ich lediglich zur Antwort, dann rettete Sophia die Situation, indem sie Julian und Jannis umarmte. "Hi, schön euch zu sehen. Aber wieso streitet ihr euch?" Strafend sah Julian seinen Bruder an. "Weil Jannis sein Studium geschmissen hat und von zu Hause getürmt ist. Er will aber niemandem verraten, wo er jetzt wohnt." Ich sah, wie Sophias Mund sich öffnete und sie kurz davor war, leichtsinnig herauszuposaunen, dass Jannis bei mir untergekommen war. In letzter Sekunde stieß ich ihr in die Seite und sie schwieg. "Jannis ist erwachsen. Wenn er sagt, dass er einen sicheren Ort gefunden hat, wo er im Moment wohnen kann, solltest du ihm vertrauen, oder?" Ich ließ meine Stimme so sachlich wie möglich klingen und legte am Ende des Satzes den Kopf schief. Julian sefzte und sah Jannis müde an. "Ich will mich nicht mit dir streiten, schon gar nicht, wenn ich das Haus voller Gäste habe. Aber irgendwann sollten wir nochmal in Ruhe darüber reden." Jannis nickte, dann machte Julian sich ohne ein weiteres Wort vom Acker und ich spürte, wie eine große Last von meinen Schultern fiel. Dann boxte ich gegen Jannis' Arm. "Au! Wofür war das denn?" "Du hast behauptet du würdest dich mit ein paar Freunden treffen!", zischte ich wütend, "Aber du bist hier! In Dortmund, bei Julian. Wieso hast du mir das nicht gesagt?" Jannis seufzte. "Weil ich nicht wusste, wie du auf Julians Erwähnung reagieren würdest. Vielleicht hättest du dich unter Druck gesetzt gefühlt, mitzukommen und das wollte ich vermeiden, weil ich nicht weiß, was eigentlich zwischen euch passiert ist." Ich spürte, wie sich meine harte Miene lockerte. "Danke." "Wofür?" "Dafür, dass du so rücksichtsvoll bist. Und sorry für den Schlag." Das entlockte sowohl Jannis als auch mir ein Schmunzeln. "Schon okay. Ich bin ja nicht aus Zucker. Jetzt geh ich mir erstmal was zu Trinken besorgen, diese Hitze ist ja unmenschlich." Ich nickte und der Blonde verschwand. Sophia, die zwischendurch von irgendeinem Gast angesprochen und abgelenkt worden war, stand nicht mehr neben mir, weshalb ich etwas unschlüssig herumstand und nicht so recht wusste, was als nächstes passieren würde. "Hi", riss mich eine freundliche Stimme aus meinen Gedanken und ich schaute zur Seite. Es war Marco Reus, der da vor mir stand und mir ein Glas reichte. "Zitronenlimonade?" Ich nickte und nahm das Glas entgegen. "Danke." "Haben Kai und Sophia dich allein gelassen?" "Sieht so aus. Ist aber nicht schlimm." "Na ja, wenn mich jemand zur Party eines Fremden mitschleppen würde und dann plötzlich auf und davon wäre, würde ich mich schon irgendwie verarscht fühlen." Ich schluckte. "Es ist nicht die Party eines Fremden. Julian und ich, wir- also ähm, wir kennen uns." Überrascht sah Marco mich an. "Ach echt? Das wusste ich nicht." Unsicher, ob das die Richtung war, in die ich dieses Gespräch leiten wollte, räusperte ich mich. "Und du, bist du alleine hier?" Marco seufzte genervt und nickte. "Meine Freundin findet, wir sollten mal ne Pause machen. Ich verbringe angeblich zu wenig Zeit mit ihr und ihre Mutter hat sie wohl schon gefragt, ob ich sie betrüge." Er lachte abschätzig, aber ich sah ihm an, dass ihm diese "Pause" mehr weh tat, als er zugeben wollte. "Na ja, vielleicht tut euch diese Pause ja wirklich ganz gut." "Glaubst du das tatsächlich? Ich denke solche Pausen führen zum Ende von Beziehungen, weil das der erste Schritt des Aufgebens ist. Ich meine, mal ehrlich, würdest du deinem Freund eine Pause vorschlagen, wenn du wirklich daran glaubst, dass ihr eure Beziehung meistern könnt?" Ich verschluckte mich beinahe an meiner Limo. "Meinem Freund?" "Na ja, ich weiß ja nicht, ob du einen hast oder nicht. Aber die Frage war auch mehr hypothetisch gemeint. Oder hast du auch gerade eine "Pause" von deinem Freund?" Ich beschloss, Marco einfach die Wahrheit zu sagen. "Nein, bei Julian und mir ist es wirklich aus." Überrascht sah der Blonde mich an. "Bei Julian und dir? Also bei diesem Julian und dir? Julian Brandt ist dein Ex?" "Ja." "Krass. Wie lange seid ihr denn schon getrennt?" "Erst ein paar Monate." "Und dann schaffst du es schon wieder zu seiner Party zu kommen? Wow." "Ich wollte eigentlich nicht kommen. Kai und Sophia haben mir nicht verraten, wohin wir fahren." "Oh. Und wie ist es für dich, jetzt hier zu sein? In seinem Haus?" Ich zuckte die Schultern. "Es ist seltsam, aber doch irgendwie vertraut. Der Geruch, die Einrichtung. Aber du lenkst mich ganz gut ab." Ich brachte ein kleines Lächeln zustande, welches Marco erwiderte. "Na immerhin. Dann stoßen wir mal auf gescheiterte Beziehungen an, was?" Ich nickte und während unsere Gläser klirrten, ließ ich meinen Blick schweifen, bis er an Julian hängenblieb. "Auf gescheiterte Beziehungen und neue Möglichkeiten."

Plötzlich zwei Leben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt