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Hey, ich hab jetzt wieder eine Weile nichts von dir gehört. Ich dachte, Anrufen wäre vielleicht zu aufdringlich, also schreib ich dir jetzt, um dich zu fragen, wie es dir geht🙂
LG Emmi
Seufzend schickte ich die WhatsApp an Bernd ab, dann steckte ich mein Handy in meine Hosentasche und sah aus dem Fenster. Es war Mittwochmorgen und ich konnte einfach nicht mehr schlafen. Immer wieder schlich sich Julian in meine Gedanken, wie er seine Hand auf meine Hüfte legte, wie er sanft über die Narben an meinem Rücken strich, wie er mir so unheimlich nah war. Wir waren uns den restlichen Abend über aus dem Weg gegangen, nichtmal bewusst, sondern eher unwillkürlich. Ab und zu hatte ich mich dabei erwischt, wie ich ihn aus der Ferne beobachtet hatte. Er hatte genau so ausgesehen, wie ich ihn von vor Monaten in Erinnerung hatte. Er stylte seine Haare immer noch gleich und da war immer noch diese eine Strähne, die stets aus seiner Frisur ausbrach und ihm in die Stirn fiel. In der kurzen weißen Hose und dem weißen Hemd mit den hochgekrempelten Ärmeln hatte er unglaublich gut ausgesehen, dazu hatte er seine weißen Nikes getragen, die er so liebte. Um mich abzulenken, zog ich mein Handy wieder hervor und scrollte ein wenig durch Instragram. Eine Weile schaute ich mir einfach nur irgendwelche Fotos und Videos an, dann stockte ich. Kai hatte einige Fotos von Sophias Geburtstagsparty hochgeladen und auf einem davon war er mit Julian zu sehen. Unwillkürlich begann ich zu Lächeln und wollte schon weiterscrollen, als ich stockte. Mit zusammengekniffenen Augen zoomte ich einen Ausschnitt des Bildes heran und glaubte, mir müsse das Herz stehenbleiben. Julian trug das Armband, das Lederarmband mit dem Teddybär-Anhänger. Das Armband, das ich ihm in Gedenken an unser verlorenes Baby geschenkt hatte und zu dem ich als Gegenstück eine Kette mit demselben Anhänger besaß. Mir traten Tränen in die Augen und unwillkürlich glitt meine Hand zu meinem Bauch und verweilte darauf. Ich hatte für meine Verhältnisse lange nicht mehr an Johanna gedacht und auch die Kette hatte ich seit der Trennung von Julian kaum noch getragen, weil sie mich nicht mehr nur noch an den Verlust von Johanna, sondern auch an den von Julian erinnert hatte. Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, nur noch in die Zukunft zu schauen, aber diese Erinnerung war auf eine so schmerzhafte Weise vereinnahmend, dass ich nichts dagegen tun konnte, als sich einige Tränen meine Wangen hinab schlichen. Ich erlaubte mir einen kurzen Moment der Trauer, dann wischte ich mir entschlossen das Gesicht trocken, likte Kais Post und schloss Instagram. Jetzt brauchte ich erstmal dringend Frühstück und positive Gedanken.

Abgehetzt betrat ich die Kabine, in der nur noch wenige meiner Mitspielerinnen damit beschäftigt waren, sich fertig zu machen. Henrietta war eine von ihnen und sah mich schmunzelnd an. "Na, auch schon da?" Keuchend nickte ich und schälte mich aus meinen Klamotten. "So ein Vollidiot hat in zweiter Reihe geparkt und meinte auch noch mit mir diskutieren zu können, dass das doch mein Problem sei, dass ich eingeparkt bin. Meine Fresse, es gibt solche Idioten!" Schimpfend sprang ich abwechselnd auf je einem Bein durch die Kabine, während ich in meine Hose und Schuhe schlüpfte, dann verließ ich als letzte die Katakomben und rannte zum Platz. Keuchend erreichte ich die Mannschaft und bemühte mich, meine Atmung schnellstmöglich wieder in den Griff zu bekommen, um Achim zuzuhören, der uns gerade etwas zum kommenden Spiel erklärte. Anschließend begann das physische Training und ich gab wie immer mein bestes. Aber als wir schließlich zum Abschlussspiel kamen, spürte ich ein leichtes Ziehen im hinteren Oberschenkel. Es war so kurz, dass ich kurz glaubte, ich hätte es mir nur eingebildet. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und spielte weiter. Wenige Minuten später schnappte sich Rieke den Ball, die heute in meinem gegnerischen Team spielte. Ich rannte zu ihr und verfolgte sie, während sie mit dem Ball am Fuß das Weite suchte. Kurz bevor Sie Abspielen wollte, grätschte ich ihr erfolgreich die Kugel ab, sackte aber im gleichen Augenblick mit einem Schmerzensschrei zu Boden, denn mein Oberschenkel brannte wie Hölle. Mit geschlossenen Augen versuchte ich, den Schmerz zu ignorieren, aber es ging nicht. Meine Mitspielerinnen und die Trainer liefen alle zu mir und Achim kniete sich neben mich, Sorge lag in seinem Blick. "Was ist passiert? Seid ihr irgendwie gegeneinander gekommen?" Ich schüttelte den Kopf. "Keine Fremdeinwirkung", zischte ich mit noch immer vor Schmerz verzerrtem Gesicht und Achim sagte einem der Trainer, dass er unsere Mannschaftsärztin holen sollte. Damit die Mädels nicht auskühlten, ließ Armin sie weiterspielen und stützte mich zum Spielfeldrand, wo wir auf die Ärztin warteten. Eine schmerzhafte Untersuchung und eine Schmerztablette später fuhr mich Laura, die zufälligerweise gerade Feierabend gemacht hatte, nach Hause. Für die nächsten Wochen war ich stillgelegt und sollte die Muskelverletzung auskurieren, was mich natürlich nicht gerade glücklich stimmte. Laura bemerkte meine schlechte Laune und sah mich aufmunternd an, während sie mir zum Aufzug half, den ich seit dem Umzug hierher noch kein einziges Mal benutzt hatte. "Jetzt zieh nicht so ein Gesicht. Ich weiß, Verletzungen sind scheiße, aber sei froh, dass es nichts schwerwiegendes ist, was dich gleich Monate lahmlegt. Der Physio hat doch gesagt, dass du vielleicht in drei Wochen wieder mit individuellem Training starten kannst." "Ja, vielleicht darf ich in endlos weit entfernten drei Wochen wieder individuell trainieren. Du merkst selbst, dass das nicht gerade eine überzeugende Aufmunterung war, oder?" Laura nickte seufzend. "Schon klar, aber Selbstmitleid hilft dir auch nicht weiter. Du könntest die Zeit nutzen, um mir bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen. Wir haben jetzt nämlich endlich einen Termin." Überrascht sah ich meine beste Freundin an. "Wirklich? Das ist ja großartig!" "Ja, aber leider auch stressig. Wir heiraten nämlich schon am 20. Oktober." Entsetzt riss ich die Augen auf. "Das ist ja schon total bald! Wie habt ihr denn so schnell eine Kirche gefunden?" "Oh, das wird nur die standesamtliche Hochzeit. Kirchlich wollen wir nächstes Jahr heiraten, wenn Lennard groß genug ist, um für uns Blumen zu streuen und uns die Ringe zu bringen." Bei dieser Vorstellung begann ich automatisch zu lächeln. "Das ist eine tolle Idee. Und natürlich helfe ich dir, alles vorzubereiten. Du hast Recht, ich hab ja jetzt eine Menge Zeit." Wir erreichten meine Wohnung und ich verabschiedete mich von Laura, dann schloss ich die Tür hinter mir und es wurde still, was mir ein kleines Seufzen entlockte. Ich vermisste Nala. Sie wäre mir jetzt schon entgegengelaufen und hätte ihre Nase an meinem Bein gerieben. Aber ich war allein, die Wohnung war leer. Mit diesem Gedanken streifte ich mir die Schuhe von den Füßen, wobei mein Blick auf einen Briefumschlag fiel, der auf dem Boden lag. Anscheinend war er in meiner Abwesenheit unter der Tür durchgeschoben worden. Außer meinem Namenstand nichts drauf, kein Absender oder Ähnliches. Vorsichtig öffnete ich den Umschlag und entdeckte eine Get well soon!-Karte. Die musste von jemandem sein, der von meiner Verletzung wusste. Aber ich hatte mich erst vor etwa zweieinhalb Stunden verletzt und der Verein hatte die Information noch nicht rausgegeben. Hatte eine meiner Mitspielerinnen mir das vielleicht geschickt? Oder- Mir stockte der Atem. Hatte mich jemand beobachtet? Vielleicht dieselbe Person, die mir die Blumen und Pralinen geschickt hatte? Hatte ich etwa einen Stalker?

Plötzlich zwei Leben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt