Kapitel 30

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Draco hatte es ihr nicht erzählt. Nicht ihr erzählt, was er bekommen hatte von Hyperion. Er würde es noch tun. Mit Sicherheit. Vielleicht wenn sie wieder gemeinsam in Frankreich waren. Astoria war heute geflogen, sie hatten noch zusammen Gegessen. Vermutlich würde sie nicht einmal lange in Frankreich bleiben. Zumindest hatte sie heute so etwas angedeutet. Etwas über ihre Mutter nicht alleine lassen und das Daphne ruhe brauchte wegen dem Baby. Irgendwann würde er ihr es erzählen. Zumindest wenn er genug davon bekommen hatte, sich alte Erinnerungen anzusehen, die offenbar Hyperion zusammengetragen hatte von Astoria und ihm. Und es war herrlich zu sehen. Zu sehen wie sie sich auflehnt gegen alte Regeln. Wie sie sich entwickelt hatte. Es war für Draco faszinierend. So faszinierend wie Astoria ohnehin schon war.

Wie sie in einem Wutanfall ihre Locken abgeschnitten hatte und zwar Kinn lang und das vor einem Abendessen mit Gästen. Ihre Mutter war in Ohnmacht gefallen. Wie Hyperion sie unterrichtet hatte und zwar nicht nur in Grundlegenden Dingen oder der Familiengeschichte. Sie war wissbegierig wie ein Schwamm der Wasser aufzog und sie hatte eindeutig ein Händchen für Sprachen. Draco hatte gar nicht gewusst, dass sie so eine kleine Streberin als Kind war. Nun sie hatte immerhin auch ihren Uniabschluss nicht umsonst bekommen. Aber auch ihre Selbstzweifel als Kind und Teenager. Nicht dazu gehören und reinzupassen, was sie eigentlich nicht wollte und irgendwie doch. Wie unsicher sie war als Teenager wegen ihres Aussehens und das obwohl sie doch schon immer hübsch war. Ihren Wutanfall, als sie sich geweigert hatte das Anzuziehen was ihre Mutter ihr besorgt hatte und wie sie mit ihren Vater einkaufen gewesen war. Ihre Leidenschaft fürs Fliegen und die Musik. Vielleicht würde er es ihr nie erzählen. Niemals. Es war als würde er in tiefe Stellen ihrer Seele blicken. Dinge erkennen und verstehen, die er so nie verstanden hätte.

Das dachte er auch jetzt, als sie erst in ihre Jeans schlüpfte und dann hastig in ihre Schuhe hüpfte. Sie band sich gerade ihre Haare zurück, die nicht mehr so lockig, wie als Kind aussahen. Sechzehn Jahre zählte sie und hätte eigentlich schon fertig sein sollen, für eine Teegesellschaft, die Astoria offenbar ablehnte. Sie zuckte zusammen, wie Draco selbst, als jemand gegen die Tür klopfte. „Astoria?" Daphne, die Stimme würde Draco überall erkennen. „Mach schon auf. Du kannst nicht ewig da drinnen bleiben. Unten wartet man auf dich." Sie schnaubte und zog eine Umhängtasche von ihrem Bett, als man hörte wie Daphne die Tür aufhexte und ihre Schwester entgeistert ansah. „Wie... Zum Teufel nochmal, wie siehst du den aus?" Nicht wie Daphne und ihre Mutter sie drapiert hatten. „Was machst du denn? Unten sind Gäste. Sie erwarten dich! Verdammt Astoria." „Ich werde da nicht runter gehen, Daphne." wiedersprach Astoria und Daphnes Augen funkelten auf. „Verdammt Astoria, du bringst Mutter noch ins Grab. Stell dich nicht an. Das gehört dazu. Du wirst dieses Jahr debütieren."

Astoria lachte auf und packte ein Buch in ihre Tasche „Nein werde ich nicht." „Astoria..." fing ihre Schwester an und Astoria unterbrach sie energisch. „Ich werde das nicht tun. Mich präsentieren irgendwelchen Männern mit Vornamen wie Edward der zweite oder Richard. Und darauf hoffen einen ehrbaren Antrag zu bekommen. Ich will das nicht. Ich brauche das nicht." „Das ist lächerlich." „Lächerlich?" lachte Astoria falsch auf und sah Daphne vorwurfsvoll an „Wie kannst du dabei mitmachen. Von Familien beurteilt zu werden wie ein verdammtes Zuchtpferd." Daphnes Wangen wurden glühend rot. „Du bist so...." „Was? Was bin ich? Verrückt? Ist es wirklich das was du willst? Heiraten und zuhause sitzen wie eine Puppe? Ist es so verrückt, mehr zu wollen vom Leben? Daphne die Welt da draußen ist so groß und vielfältig. Wir haben moderne Zeiten. Man kann alles tun. Alles was man will." Sie wirkte regelrecht verzweifelt und beide Schwestern hielten inne, als Constanze nach ihnen rief.

„Nein." begann Daphne zu schimpfen, als Astoria eines ihrer Fenster öffnete. „Verdammt Astoria du wirst nicht einfach abhauen. Du bist kein Kind mehr." „Eben. Also tue ich was ich will und ich werde jetzt gehen." „Astoria!" rief Daphne entrüstet, als die Dunkelhaarige fast elegant im Garten landete und sich umwandte, nur um den bekannten Weg durch den Garten zu jagen, Richtung Wald. In den Erinnerungen war Draco diesen Weg schon zahllos mitgelaufen. Zu der Schluckt, die offenbar Astorias Lieblingsplatz war. Sie lag dann oft im Schatten der großen Bäume des Waldes und las oder zeichnete und auch jetzt las sie. Offenbar einen Roman. Sie schien am Ende eines Kapitels innezuhalten und las leise den letzten Satz „...und doch fragte ich mich am Wendepunkt diesen Weges, was das Leben noch alles für mich bereithalten wird." Sie schien darüber nachzudenken, bevor sie sich ins Gras fallen ließ und das Buch gegen ihre Brust drückte, während sie in den Himmel starte. Die Sonne ging bereits langsam unter.

„Was mich wohl erwartet?" fragte sie leise in die Stille hinein und blickte auf, als sich jemand zu ihr ins Gras setzte. „Deine Mutter ist empört." Sie seufzte und wandte den Kopf weg von ihrem Vater. „Nur eine Tasse Tee, war das zu viel verlangt?" fragte Hyperion weiter und Astoria setzte sich schwerfällig auf, während das Buch zu Boden rutschte. „Ich mag es nicht." murmelte sie und blickte in die Ferne. Er griff nach dem Buch und runzelte die Stirn. „Der Weg des geschwungenen Lebens." las er und musterte dann wieder Astoria. „Schwermütiger Stoff, oder nicht?" „Es ist gut geschrieben. Ein Amerikaner." „Ich weiß. Es stammt aus meiner Bibliothek." Sie schwiegen eine Weile und Astoria blickte ihren Vater zögerlich an. „Wie kannst du da mitmachen?" Er schien es nicht zu verstehen. „Ich dachte es würde sich verändern. Nach dem Krieg und... ich dachte, wenn wir wieder nach England kommen ist alles anders. Aber die gleichen dummen Leute gehen immer noch den gleichen idiotischen Dingen nach wie zuvor."

Die Greengrass hatten nach dem sechsten Schuljahr von Draco fluchtartig das Land verlassen. Es war bekannt, dass Greengrass nicht mit dem Dunklen Lord sympathisierte. Wie seltsam, dass seine Eltern trotzdem befreundet waren, oder? Anderseits waren viele Familien miteinander bekannt, obwohl sie anderen Ansichten nachgingen während des Krieges. „Du gehst mit deinen Mitmenschen hart ins Gericht, Tori." „Ich will nicht debütieren." „In Ordnung." erwiderte Hyperion gelassen und sie blinzelte überrascht. „Du willst nicht debütieren, schön. Aber du musst dich an gewisse Etiketten und Erwartungen halten." Sie wollte wiedersprechen und Hyperion unterbrach sie. „Astoria, sich anzupassen und Etiketten zu pflegen, gehört dazu, wenn man im Leben weiterkommen will. Und du wirst nur so weiterkommen. Glaub mir. Ich bin Geschäftsmann. Ich weiß das."

Sie seufzte schwer: „Ich weiß ich bin schwierig. Ich bin launisch und bockig und tu ständig dumme Dinge. Sage dumme Dinge, bevor ich nachdenke. Aber ich bin innerlich so unruhig. Ich weiß nicht wie es weitergehen soll. Was nach meiner Schulzeit kommt." Hyperion lächelte schwach „Das bist eben du. Du willst zu neuen Ufern aufbrechen und hast noch keinen passenden Weg gefunden. Bist dir unsicher und zweifelst." Sie legte sich wieder ins Gras und legte ihre Hände aufs Gesicht „Ja ich weiß." Sie schwiegen wieder und ihr Vater fing langsam zu sprechen an. „Ich hätte einen Vorschlag." Sie hob ihre Hände vom Gesicht und sah ihn erwartungsvoll an. „Wieso gehst du nicht weiter zur Schule?" Sie runzelte die Stirn und setzte sich auf „Weiter zur Schule?" „Die Universität. Erwirb die Berechtigung dafür und geh im Anschluss auf eine Universität."

Sie setzte sich ruckartig auf „Die Universität? Du... du würdest das erlauben?" Ihr Vater zuckte die Schultern „Erlaube ich dir nicht ohnehin viel zu viel? Da kommt das auch nicht mehr darauf an. Deine Mutter wird davon nicht begeistert sein. Und ich bin überrascht, dass dir das noch nicht in den Sinn gekommen ist?" Sie wirkte verlegen. „Ich... ich dachte du würdest es nicht gestatten." Er gluckste „Denkst du wirklich so schlecht von mir? Ich weiß das du schon immer anders warst." Sie senkte wieder den Kopf „Total durchgeknallt und nicht passend?" Er griff ihr unters Kinn „Besonders, Astoria. Stell dich nicht ins falsche Licht, nur weil du anders bist, als andere. Du bist du und das ist gut so." Sie lächelte und die Erinnerung verblasste.

Draco selbst blinzelte irritiert, als er wieder im Bett lag und fuhr sich einen Augenblick über die Augen. Es war anstrengend durch fremde Erinnerungen zu schweben. Das Lesen der Einträge war leichter, aber meistens nie so aufschlussgebend wie die Erinnerungen und nicht so intensiv. Die Einträge waren mehr die Gedanken von Hyperion. Wie er erlebtes aufgenommen oder wahrgenommen hatte. Er war ein talentierter Zauberer gewesen, wenn er so etwas zustande brachte. Wirklich talentiert. Draco blätterte wieder wahllos umher. Vorbei an bekannten Einträgen und Fotos und hielt inne, als er an einer Seite ankam, deren Datum nicht weit weg lag von der Trennung von ihm und Astoria. Es gab auch hier eine Überschrift, so wie er sie an einigen Einträgen schon gelesen hatte. Der Tiefpunkt. Dracos Finger umklammerten das Buch fester und er zögerte. Wollte er das sehen? Vermutlich ging es um die Trennung. Sicher, auch wenn der Eintrag offenbar einige Wochen danach gemacht wurde. Er schluckte hart. Erinnerte sich an ihre Worte, als er sie eigentlich ärgern wollte wegen Phillip. Was sie durchgemacht hatte und das sie am Abgrund stand. War es das? Dieser Eintrag? Er atmete tief durch, bevor er in die Erinnerung hinabtauchte.

Draco hatte kaum Zeit sich zu orientieren. Es war offenbar eine Erinnerung von Hyperion. Zumindest lief er einen weißen Gang entlang und es war offenbar ein Krankenhaus. Draco hörte hier und da Personal oder Patienten reden. Französisch. Sie mussten in Frankreich sein. Vermutlich in Marseille. Er hielt eine Schwester auf und fragte auf Französisch nach seiner Tochter und Draco sah sich um. Warum in einem Krankenhaus? Was zum Teufel war passiert? Die Schwester sagte einen Namen und ein etwas älterer Heiler blieb stehen. Ein Mann mit grauen kurzen Locken und einem eigentlich recht freundlichen Gesicht. Seine dunklen Augen richteten sich auf Hyperion, als die Schwester sprach und Astorias Namen fiel. „Oh ich verstehe. Sie sind der Notfallkontakt von Miss Greengrass." begrüßte der Heiler Hyperion ruhig und reichte ihm die Hand „Ich bin Professor Charles Malone. Leiter der Abteilung und einer der behandelnden Heiler von Miss Greengrass." Draco stutzte. War das nicht der Heiler der Kate dabei geholfen hatte schwanger zu werden? Es war doch kein Zufall mit dem Namen, oder doch? „Hyperion Greengrass, der Vater. Ich wurde informiert und bin so schnell wie möglich in einen Flieger gesprungen." erklärte Mr. Greengrass. „Das Ministerium sagte etwas von einem Unfall."

Der Heiler nickte und sah sich um. „Setzen wir uns doch." „Ich will zu meiner Tochter." wiedersprach Hyperion auf Französisch und der Heiler lächelte freundlich „Bitte, Mr. Greengrass. Ihre Tochter schläft bestimmt noch. Wir haben genügend Zeit." Hyperion nickte zögerlich und der Heiler geleitete sie zu einer Sitzreihe. Die Stimme des Heilers war ruhig und seltsam sanft. Er schien genau zu wissen wie und was er sagen musste, um Angehörige zu beruhigen. „Ihre Tochter wurde von einem Auto angefahren, als sie über die Straße gehen wollte. Der Fahrer hat die Ampel ignoriert." Hyperion zog scharf die Luft ein, doch der Heiler lächelte weiterhin freundlich „Der Unfall ist nicht so schlimm gewesen, wie es sich anhören mag. Es war eine Verkehrsberuhigte Zone." Draco atmete erleichtert auf und das obwohl er im Unterbewusstsein wusste, dass dies hier Jahre zurücklag. „Mehr Sorgen hat uns die Blutung gemacht, die wir einige Zeit nicht eindämmen konnten. Leider konnten wir den Vorgang nicht aufhalten." meinte nun der Professor und wirkte etwas wehmütig. „So etwas ist immer unschön. Sie wird die ersten Tage viel Erholung brauchen und Ruhe. Aber sie wird wieder völlig gesund werden. Es bleiben keine nachträglichen Einschränkungen oder..."

Er brach ab, als Hyperion unwirsch die Hand hob. „Ich verstehe gar nichts mehr. Sie sagen mir, sie wurde angefahren, aber es ist nicht so schlimm und im gleichen Atemzug erzählen Sie mir, dass sie Blut verloren hat, viel Blut. Was soll der Unsinn? Halten Sie mich zum Narren?" „Ich versuche nur zu erklären, was wir..." Der Heiler brach erneut ab und blinzelte, als ihm offenbar etwas klar wurde. „Sie wissen es nicht." Hyperions Stimme war böse „Was weiß ich nicht?" Ja zum Teufel was wusste er nicht? Malone räusperte sich und setzte ein ernstes Gesicht auf „Mr. Greengrass, wann haben Sie ihre Tochter das letzte Mal gesprochen?" Astorias Vater wurde wütend „Was soll der Unsinn?! Wann ich... Sie ist meine Tochter. Ich spreche fast täglich mit ihr." „Wie oft sehen Sie sie?" hakte der Ältere unbeirrt nach und Hyperion schnaubte böse. „Ich wüsste nicht, was das zur Sache tut. Meine Tochter ist eine erwachsene Frau und bevor Sie noch fragen, wie das Verhältnis zu uns ist, sehr, sehr gut." Astorias Vater atmete tief durch. „Sie hat einen Job in dieser Stadt angenommen und die letzten Wochen wenig Zeit. Wir wollten sie eigentlich nächste Woche besuchen. So war es abgemacht. Aber wir telefonieren fast täglich und das oft stundenlang."

Der Heiler kratzte sich nachdenklich am Kinn „Jetzt verstehe ich, warum sie nicht wollte dass wir jemanden Bescheid geben." Hyperions Brauen wanderten nach oben „Wie darf ich das verstehen? Was soll dieser verdammten Drachenmist?" „Ich hätte Sie nicht holen lassen, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass Ihre Tochter jetzt jemanden braucht. Besonders weil Sie sich auf eigenen Wunsch entlassen will und so was, nach so einer dramatische und seelisch einschneidenden Sache, nie eine gute Idee ist." Hyperion wollte den Mund aufmachen, doch der Heiler hob leicht beschwichtigend die Hand und sprach ruhig weiter. „Mr. Greengrass, Ihre Tochter hatte eine Fehlgeburt." Es war still und Draco hatte das Gefühl sein Herz würde so laut wie eine Trommel schlagen. Er wich vor den beiden Männern zurück und Hyperion atmete schwer aus, bevor er aufstand und sich an die Stirn fuhr. Er schien es nicht glauben zu wollen. So wie Draco. Astoria war... sie war...

„Merlin." murmelte Greengrass und schien mit der Fassung zu kämpfen. „Ich... ich hatte keine Ahnung. Ich... sie hat nichts erzählt..." Der Heiler nickte verstehend, bevor er weitersprach „Wir konnten den Abgang nicht mehr aufhalten. Die Blutung war zu stark." Hyperion fuhr sich über das Gesicht und schien nicht zu wissen was er sagen sollte. „Es geht ihr den Umständen entsprechend gut, Mr. Greengrass. Wie gesagt, sie wird völlig gesund werden. Aber sie muss sich ausruhen und vor allem seelisch die ganze Sache verarbeiten. Sie war immerhin schon über der 12. Schwangerschaftswoche." Dracos Atmung ging schnell und Hyperion sah den Professor Fassungslos an. „Was?" Der Heiler nickte stumm. „Aber... aber... ich fasse es nicht." stotterte Hyperion und Der Heiler stand auf „Es kann sein, dass der Abgang ganz natürliche Ursachen hat. Es muss nicht dringend notwendig an dem Unfall liegen. Ein Abort kann oft bis zur 16. Schwangerschaftswoche stattfinden, ohne dass irgendjemand etwas dafür kann." Er musste hier raus. Draco musste hier sofort raus, dachte er und merkte wie Wut und Trauer zugleich in ihn anstiegen. Sie hatte es nicht gesagt. Mit keinem Wort. Keinen einzigen Ton darüber verlauten lassen.

Sie will nicht liebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt