Kapitel 32

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Lucius schreckte auf und war einen Augenblick verwirrt, als ihm einfiel wo er war. In Astoria Greengrass Wohnung, die im Dunkeln lag. Er hatte es sich vorhin in einem Sessel gemütlich gemacht und sich die Tageszeitung geschnappt und offenbar war er dabei eingeschlafen. Er hatte noch ein paar Mal nach Astoria gesehen, doch sie hatte geschlafen und er hatte sie schlafen lassen. Verwirrt wandte er den Kopf, als er wieder ein Geräusch hörte und er stand auf, während er nach seiner Taschenuhr griff und sie aufschnappen ließ. Zwei Uhr morgens. Er fand Astoria nicht im Schlafzimmer, die Decke war zurückgeschlagen und sie weg. Aber er ging dem Geräusch nach und irrte sich nicht, als er das Arbeitszimmer betrat. Sie hatten offenbar mehrere große Staukartons vom Regal runtergeräumt und stand nun auf dem Bürostuhl und schien nach einer Schachtel zu greifen, die offenbar ganz oben in der hintersten Ecke des Regals verstaut war. So verstaut war, dass man sie offenbar nicht gesehen hatte mit den ganzen schwarzen Schachteln davor.

Sie stieg vom Stuhl in ihrer Schlafanzughose und dem Shirt. Ihre Haare wirkten Wirr. „Was tust du da?" fragte Lucius und sie blickte kurz ertappt auf, bevor sie sich auf den Boden setzte im Schneidersitz. „Nichts." Lucius trat weiter in den Raum „Nichts?" Es sah nicht, nach nichts aus. „Bitte geh, Lucius." verlangte sie. „Ich brauche keinen verdammten Babysitter. Ich bin eine junge, erwachsene Frau." Das wusste er selbst. „Ich hab es William versprochen." Und ihrem Vater, aber das sagte er nicht. Ihre Finger fuhren über den weißen Karton mit den vielen kleinen Rosen darauf. Schienen sich regelrecht daran zu klammern und Lucius legte den Kopf leicht schief. „Was ist das?" Sie schien stockend zu atmen und ihre Stimme war schwer „Erinnerungen." Was für Erinnerungen? Er selbst kniete sich auf den Boden neben sie und er sah, dass ihre Finger zitterten. Sie sagten eine Weile nichts. Er ließ sie. Ließ ihr Zeit. Wofür auch immer. „Mein Vater und Sarah haben alles weggebracht und ich... wir haben sogar so etwas wie eine Zeremonie abgehalten." Sie meinte vermutlich die Babysachen. Hyperion hatte so etwas erzählt. Sie schüttelte unwirsch den Kopf „Es soll angeblich helfen zu trauern und besser zu verarbeiten." Sie sprach von dem Baby.

Lucius blickte wieder auf die Schachtel und ihre Augen wurden glasig „Aber ich konnte nicht alles wegwerfen. Ich... ich konnte es einfach nicht." Lucius schluckte leicht und Astorias Stimme war wehmütig „Ich hab solange nicht mehr daran gedacht. Ich hab es fast vergessen." Was besser gewesen wäre, als sich haltlose Anschuldigungen von Draco anzuhören. Sie zuckte zusammen, als Lucius eine Hand auf ihre legte. „Darf ich?" Sie schien einen Moment mit sich zu hadern, bevor sie nickte. Sie nahm ihre Hände langsam weg und er öffnete die Schachtel vorsichtig. Es war wenig. Viel zu wenig und doch genug um zu verstehen, was Astoria verloren hatte. Viel zu viel Leid in einem so jungen Leben, dachte Lucius bitter. Er griff nach dem kleinen weißen Stoffhasen und Astoria zog es ihm sacht aus den Fingern und drückte es an sich. Vermutlich das erste Kuscheltier, dass sie gekauft hatte.

Er fand winzige Söckchen und einen Strampler und dann den Mutterpass. Er zögerte, bevor er danach griff und zog ein Ultraschallbild hervor. Er atmete schwer aus. Man sah schon alles auf dem Bild. Das schwarz-weiß Bild bewegte sich. Man erkannte die Ärmchen, den Körper, den Kopf. Es sah schon wie ein richtiges Baby aus. Lucius Herz wurde schwer und er blickte zu Astoria, die das kleine Kuscheltier sanft streichelte. „In welcher Woche hast du dein Baby verloren?" Ihre Finger schienen sich fester um das Tier zu legen und ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen. „In der Fünfzehnten." antwortete sie erstickt und ohne das Lucius weiter darüber nachdachte, zog er sie an sich. Sie schluchzte auf und klammerte sich an sein Hemd. Spürte wie Tränen es nässten. Es war nicht gerecht. Nicht gerecht einer jungen Frau so etwas abzuverlangen. Nicht gerecht sie so leiden zu lassen. Wieso war ihnen dieses Glück nicht vergönnt gewesen. Den beiden Familien, den beiden Liebenden? Warum solche Faustschläge in die Seele?








Draco hatte mit sich gekämpft. Er hatte Dinge umhergeworfen. War duschen gegangen. Hatte Sport gemacht. Er lechzte danach sich abzulenken. Abzulenken von dem Buch, dass er zu guter Letzt doch wieder in die Hand genommen hatte. Zu guter Letzt doch eingetaucht war in den beschriebenen Seiten, obwohl er sich geschworen hatte es zu vernichten. Zu verbrennen oder in tausend Fetzen zu sprengen. Doch es gab nicht mehr Erinnerungen vom Krankenhaus. Er schlug in der ihm bereits bekannten Wohnung auf. Astorias Wohnung. Hyperion schien das Bett frisch überzogen zu haben, die Sonne ging bereits unter und tauchte die Wohnung in ein sattes Orange. „Tori." sagte Hyperion ruhig, als Astoria das Zimmer betrat. Sie war blass. Sehr blass. Sie schien frisch geduscht zu haben und trug einen Jogginganzug. „Bist du sicher, dass es dir gut genug geht?" fragte Astorias Vater besorgt, als sie die Decken zurückschlug. „Vielleicht hätten wir warten sollen wie der Heiler gesagt hat. Ein Tag mehr im Krankenhaus hätte jetzt auch nichts ausgemacht.

„Mir geht es gut." sagte Astoria schwach und kuschelte sich mehr in die Kissen. Ihr Vater musterte sie mit bedacht und schien mit sich zu hadern. „Versiegle bitte die Fenster." bat sie und Hyperion zögerte, bevor er mit einem Schwenker seines Stabs die Sonne aussperrte. Er wollte das Licht anmachen, doch sie sagte knapp „Nicht. Kein Licht." Er seufzte, ließ ihr aber den Willen und verließ das Zimmer. Im Wohnraum hielt er kurz inne, bevor er sich der Küche zuwandte. Er kochte Tee und während das Wasser zu kochen anfing, zog er das Notizbuch aus seiner Brusttasche und Draco sah wie er anfing aufzuschreiben. Es beschlich ihn ein seltsames Gefühl, als Draco dabei zusah. Es war irgendwie bizarr, genau in diesem Buch zu sein und gleichzeitig zuzusehen, wie Hyperion zu einem anderen Zeitpunkt darin geschrieben hatte. Vielleicht gerade diese Seiten in denen sich Draco befand.

Als das Wasser kochte, goss er das Wasser auf und füllte eine Tasse damit, nachdem der Tee gezogen hatte. Er betrat das Schlafzimmer wieder und schaltete das Nachttischlämpchen ein. Astoria legte ihre Hände auf ihre geröteten Augen. „Ich will nichts." erwiderte sie stur und ihr Vater stellte die Tasse ab. „Kleines, du musst etwas trinken. Der Heiler hat gesagt das dies äußerst wichtig ist, wenn du schon keine Infusionen bis morgen bekommst." Sie rührte sich nicht, erst als ihr Vater sanft bat „Bitte Liebling.". Sie setzte sich zögerlich auf und Hyperion reichte ihr die Tasse. Sie nippte vorsichtig daran, bevor sie ihm das Porzellan wieder reichte und sich wieder seitlich hinlegte. Hyperion atmete tief ein und aus. „Sag mir... was kann ich tun? Astoria wie kann ich dir helfen?" Als sie ihn ignorierte, stand Hyperion auf und wollte gehen. „Ich hab es nicht gewusst." wisperte sie und er hielt inne und wandte sich langsam zu ihr. Sie schien einen fernen Punkt im Zimmer zu fixieren, um ihren Vater nicht ansehen zu müssen. „Als ich England verlassen habe, habe ich nicht gewusst, dass ich schwanger bin." Dracos Herz schlug schnell und schwer in seiner Brust umher. Sie war vorher schwanger gewesen. Bevor sie gegangen ist. Vor dem Streit. Logischerweise. Dieser Gedanke stach ihn wieder, wie die Erinnerung vom Krankenhaus.

Der Ältere ging zurück zum Bett und setzte sich mit Bedacht wieder an die Bettkannte. Er strich Astoria federleicht eine Strähne hinters Ohr „Erzähl es mir. Erzähl mir was passiert ist." Sie schien mit der Fassung zu kämpfen. „Da gibt es nicht viel zu erzählen." Sie lachte unsicher auf. „Ich... ich dachte es kommt von dem Stress. Der Trennung. Dem Umzug und... als Sarah den Verdacht geäußert hat, dachte ich sie ist verrückt und dann... wann war dieser verdammte Test positiv." Hyperion drückte ihre Hand und sie schloss schwer die Augen. „Ich dachte es ist ein verdammter Irrtum und dann war ich bei dem Heiler." Sie lachte hysterisch auf. „Er meinte fast nebenbei dass er heute nicht viel machen könnte. Ich sollte in einer Woche nochmal kommen, dann könnte er mehr sagen. In der fünften Schwangerschaftswoche sind die Anwendungssprüche noch nicht hilfreich. Es wäre zu früh." Sie setzte sich vorsichtig auf und schien darüber nachzudenken. „Es muss passiert sein an Kate und Blaise Hochzeit. Ich hab es immer wieder durchgerechnet."

Draco erinnerte sich an dieser Nacht. Als sie weit nach Mitternacht Nachhause gekommen waren. Sich geliebt hatten. Es war Intensiv gewesen. Er war beflügelt gewesen vor Glück. Hyperion legte den Kopf leicht schief. „Verhütungstränke und Zauber sind nicht hundertprozentig sicher." „Ja offenbar." meinte sie knapp und wirkte dabei wenig begeistert. Sie raufte sich die Haare. „Eine Woche lang habe ich mit mir gekämpft. Jeden verdammten Tag. Ich hab überlegt zurück zu gehen. Draco Bescheid zu sagen. Seinen Eltern oder euch. Irgendwen davon zu erzählen. Verdammt nochmal zu fragen was ich tun soll." Ihr Vater wirkte gequält. „Warum hast du es nicht getan?" Ihre Augen wurden feucht „Was sollte es bringen? Damit sich alle freuen? Wir eine Lösung finden? Zurück zu ihm? So tun als wäre das nicht passiert mit dieser... Frau?" Sie lachte falsch auf. „Nein. Nein ich konnte das nicht. Ich war so hin und hergerissen was ich tun sollte und dann hatte ich nach dieser Woche den Termin beim Heiler und... und alles war anders. Alles war klar. Ich wusste ich würde das schaffen."

Sie schien ruhiger zu werden und ihr Blick wurde glasig „Ich... es war nur ein kleines etwas. Man hat nichts wirklich erkannt. Aber... dann hat Malone diesen Zauber angewandt und..." Sie schluckte erneut. „Der Herzschlag war zu hören. Es hat das alles so realistisch werden lassen und..." Sie presste ihre Lippen zusammen und dicke Tränen kullerten über ihre blassen Wangen. Hyperion schien zu zögern „Ich denke er hat auch das Geschlecht bestimmt, oder?" Astoria nickte kaum sichtbar und neue Tränen traten hervor. „Darum die Liste mit den weiblichen Babyvornamen?" Sie schluchzte wie zur Bestätigung auf und Draco wollte sie in den Arm nehmen. Ihr sagen dass alles gut werden würde, doch er griff hindurch. Es waren nur Erinnerungen. „Dad ich... mein Baby..." krächzte sie und Hyperion zog seine Tochter im nächsten Moment in seine Arme. Versuchte auf sie einzureden. Sie zu beruhigen. Dracos Augen brannten. Ein Mädchen. Was hatte er nur getan?

„Es ist meine Schuld." wimmerte Astoria nach einer Weile und Hyperion löste sich Augenblick von ihr. „Astoria, nein." „Aber wenn ich nicht gegangen wäre. Wenn ich in England geblieben wäre, hätte ich nicht angefahren werden können und..." Er umfasste ihr Gesicht und seine Stimme wirkte entschieden „Es ist nicht deine Schuld. Der Heiler sagt, es kann verschiedene Gründe haben. Es muss nicht der Unfall schuld sein. Das hätte auch in England in einem verdammt Bett passieren können." Sie weinte wieder laut auf und Hyperion drückte sie fest an sich. Er schien selbst mit der Fassung zu kämpfen. „Es hört sich nicht tröstend an, Astoria. Aber vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt. Solche Dinge passieren. So schrecklich es sich anhört." Sie weinte weiter. Es kam Draco Stunden vor und als ihre Schluchzer verebbten. Sie immer noch in den Armen ihres Vaters lag und ruhiger atmete, fragte Hyperion leise. „Liebling, soll ich nicht doch noch jemanden von den Malfoys Bescheid geben? Doch mit Draco sprechen?" Ihre Stimme war emotionslos, fast nicht anwesend „Nein. Es spielt ohnehin keine Rolle mehr, oder?" Er küsste ihren Scheitel und ihre Stimme war zittrig. „Ich hasse ihn." Hyperions Blick wurde milde. „Nein das tust du nicht. Sonst würde es dir nicht so viel Schmerzen bereiten. Du liebst ihn. Deshalb tut es so weh, Kleines."

Er war ein Monster. Eindeutig. Wie konnte er ihr solche Dinge an den Kopf werfen? So voller Wut handeln? Hatte Hyperion nicht extra darauf hingewiesen alles zu lesen und anzusehen oder gar nicht? War er ein Idiot? Was hatte er nur getan? Wie konnte es zu diesen ganzen Verunglückungen überhaupt kommen? Hätte er damals alles gleich aufgeklärt, wäre sie dageblieben. Sie wäre nicht gegangen. Sie und er, hätten sich viele Jahre Schmerz und Leid ersparen können. Sie hätte bemerkt, dass sie Schwanger war. Er wäre vermutlich in Panik verfallen, aber sie hätte ihn dazu gebracht, dass er sich beruhigt und die Situation in sich aufnahm. Er wäre Vater. Vater einer kleinen Tochter. Was hatte er nur getan? Wie hatte er es soweit kommen lassen können? Wieso machte er alles Gute in seinem Leben immer kaputt? Warum behielt er das wenige Glück nicht einfach? Er musste zu ihr. Er musste mit ihr reden. Musste alles aufklären. Musste um Verzeihung bitten. Er durfte sie nicht schon wieder verlieren. Er würde nicht noch einmal vom Leben eine Chance hierfür bekommen. Das war die letzte Möglichkeit Astoria wieder in seinem Leben zu haben. Wenn er seine Chance nicht schon vernichtet hatte.

Sie will nicht liebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt