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CHRIS

"Also gut, dann erzähl ich euch mal, was mich in letzter Zeit so beschäftigt", fängt Alexa an, nachdem Yann und Lynn uns ihre Gehimnisse bereits offenbart haben.

"Ems Tod hat mich natürlich ziemlich aus der Bahn geworfen - wie jeden hier. Ich mein, sie war meine beste Freundin und wir hatten verdammt nochmal noch Pläne! Pläne im Allgemeinen, für das Leben, unsere Zukunft, aber vor allem für diesen Abend. Als Chris mich dann angerufen hat und mir gesagt hat, dass Em einen Unfall hatte und schwerverletzt im Krankenhaus liegt, hat mir das erstmal den Boden unter den Füßen weggezogen."

Ich greife nach ihrer Hand. Zum einen, um ihr Kraft und Mut zu geben und zum anderen um selbst mit den Erinnerungen an diesen Tag klarzukommen. Al ist von außen eine verdammt starke junge Frau, aber in ihrem Inneren ist sie so sensibel und verletzlich. Sie zeigt diese weiche Seite aber nur wenigen und selbst ich muss um jeden Moment, in dem sie sich mir öffnet kämpfen. Daher bin ich auch nicht wirklich darauf vorbereitet, was sie jetzt sagen wird.

Eine gewisse Unruhe macht sich in mir breit. Bin ich bereit dafür, mit den Gefühlen und Erinnerungen anderer konfrontiert zu werden? Komm ich denn überhaupt mit meinen eigenen Gefühlen und Erinnerungen klar?

"Natürlich bin ich dann sofort ins Krankenhaus. Meine Gedanken sind die ganze Zeit nur um Em gekreist. Was wir alles gemeinsam durchgemacht haben und was wir alles noch erleben wollten. Ich - ich war so komplett aufgewühlt und ich hatte ein wahnsinnig mieses Gefühl. Irgendwie hab ich geahnt, dass Em wahrscheinlich nicht mehr aufwachen wird. Ihre Verletzungen sahen so schlimm aus! Aber ich wollte mir diese Gedanken nicht eingestehen. Und schon gar nicht wollte ich sie mir anmerken lassen - wie so oft. Ich bin einfach ein Mensch, der lieber alles in sich hineinfrisst, als mir anmerken zu lassen, dass ich Angst habe, dass ich schwach bin.

Ich wollte stark sein. Für Em. Und vor allem für dich, Chris. Weil ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte und wollte, wie schwer das erst für dich sein musste." Sie sieht mich an, doch ich kann ihren Blick nicht erwidern. Ich kann den Schmerz in ihrem Blick nicht ertragen! Noch nicht.

Stattdessen drücke ich ihre Hand noch fester. Wahrscheinlich zerquetsche ich sie bald und breche sämtliche Handwurzelknochen, aber das ist im Moment die einzige Art, meine Zuwendung auszudrücken.

"Ich hab versucht, einen kühlen Kopf zu bewahren, das alles so optimistisch wie möglich zu sehen und gehofft, dass mein Gefühl mich täuscht und alles gut wird.

Als die Ärzte uns dann mitgeteilt haben, dass Emma während der Not-OP gestorben ist -" Sie stockt und atmet zitternd durch.

Ich fühle mich in genau den Moment zurückversetzt, in dem der Arzt auf den Krankenhausflur vor dem OP-Bereich getreten ist und mir mit einem bedauernden Blick erklärt hat, dass Em nicht überlebt hat.

"Christian, es tut mir leid. Wir haben wirklich alles in unserer Macht Stehende versucht!"

Ich habe es gewusst. Schon bevor der Arzt um die Ecke gekommen ist, habe ich gewusst, dass sie nicht mehr lebt. Ich habe sie nicht mehr gespürt!

"Glauben Sie mir, wir haben für Ihre Schwester gekämpft, aber sie hatte bereits zu viel Blut verloren, ihr Herz hat das nicht mehr mitgemacht. Das ist jetzt sicher wahnsinnig schwer und..."

Die Stimme des Arztes wird immer leiser und verschwommener, während das penetrante Piepsen immer lauter wird. Ich sehe verschwommen, dass der Mann im blauen OP-Shirt weiterredet, aber ich höre ihn nicht mehr.

Da ist nur noch dieses widerliche Piepsen, aber selbst das nehme ich irgendwann gar nicht mehr wahr. Mein Körper fühlt sich taub an, ich weiß überhaupt nicht, ob ich noch stehe oder längst zu Boden gesackt bin.

When You Were GoneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt