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CHRIS

"Kommst du klar?" Jonah sieht mich fragend an. Seine Hand ruht auf meiner und ich blicke auf.

Seine Augen sind stumpf und gerötet - er hat geweint. So wie es die letzten Tage vermutlich alle in unserer Runde getan haben - alle außer mir.

Ich weiß, dass er sich Sorgen macht, als goßer Bruder hat er das immer schon getan, aber ich bringe es nicht über mich, ihm zu sagen, wie mein Leben die letzten Tage und Wochen seit ihrem Tod tatsächlich ausgesehen hat. Stattdessen nicke ich nur beschwichtigend und stelle ihm die Frage selbst: "Und du? Kommst du klar?"

Er sieht mich eine Weile schweigend an. Schließlich senkt er den Blick und schüttelt den Kopf. "Und deshalb glaub ich auch nicht, dass du klar kommst. Ihr hattet immer schon diese krasse Verbindung, verdammt, sie war sowas wie ein Teil von dir, Chris! Also bitte erzähl mir nicht, dass du mit ihrem Tod klarkommst. Du hast deine Schwester verloren!"

Unsere Blicke kreuzen sich wieder und ich funkle meinen Bruder verärgert an.

"Sie war auch deine Schwester, Jo!"

"Aber nicht meine Zwillingsschwester, verdammt! Es ist bewiesen, dass Zwillinge sich näher stehen, als normale Geschwister, dass sie eine besondere Verbindung haben."

Wütend ziehe ich meine Hand unter seiner weg.

"Willst du jetzt wirklich irgendwelche Fakten wälzen? Ist das dein Ernst? Du erzählst mir irgendwas von wegen nicht klarkommen und kommst dann mit beschissenen Fakten? Sorry, aber ich glaub, das muss ich mir nicht länger geben!" Ich rutsche vom Barhocker und halte in der Menge Ausschau nach Alex. Ich brauche sie!

"Und ich glaube, du hast ernsthafte Probleme, Kleiner!"

"Bitte was?", zische ich meinen Bruder an. Was will er eigentlich von mir? Ich denke, er trauert?

"Ja, Probleme. Alkohol zum Beispiel. Du hattest schon 'ne Fahne als du hergekommen bist. Mann, ich mach mir Sorgen um dich!"

"Mir geht's gut, okay? Es ging mir nie besser! Bist du jetzt zufrieden? Dann lass mich in Ruhe, verdammt!"

Inzwischen schreie ich so laut, dass selbst die Leute ein paar Meter weiter mich noch verstehen. Ich muss auch nicht länger nach Alexa suchen, sie kommt selbst mit besorgter Miene auf mich zu und greift nach meiner Hand.

"Nein, ich bin nicht zufrieden. Ich will, dass du ehrlich bist, Chris!"

"Lass gut sein, Jo", unterbricht Al ihn und zieht mich nach draußen.

Sobald wir den lauten Club hinter uns lassen und hinaus in die Nacht treten, kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich schubse Alexa beinahe gegen die nächste Hauswand und presse dann meine Lippen auf ihre. Verdammt, ich brauche sie so sehr!

Diesmal vergrabe ich meine Fingerspitzen in ihren Haaren und suche nach Halt.

Vielleicht war mein Ausraster unnötig, meine Wut auf Jonah unbegründet, aber im Moment verschwende ich keinen Gedanken an Selbstreflexion. Im Moment will ich nur eines: Das alles vergessen - und diese junge Frau vor mir ist alles, was ich dafür brauche.

***

"Geht's wieder?" Sie beobachtet mich aufmerksam im Licht der Straßenlaternen, während sie versucht, ihre Haare wieder in Form zu bringen und ich mir eine Zigarette drehe.

Ich nicke nur und zünde die Zigarette an.

"Auch eine?"

Alex schüttelt den Kopf. "Aber mal ziehen."

When You Were GoneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt