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CHRIS

"Mein großer Traum war immer, als Arzt Menschen zu helfen und Leben zu retten. Ich hab diesen Traum umgesetzt - oder wollte es zumindest. Ich hab angefangen zu studieren und hab ein Praktikum nach dem anderen gemacht. War 'ne schöne Zeit und hat mir auch echt Spaß gemacht."

"Warum hast du das dann einfach alles weggeworfen? Ich mein, es hat dir offensichtlich nicht nur Spaß gemacht, du warst auch verdammt gut!" Ratlos sehe ich Yann an und breche damit mein Schweigen. Was ist passiert, dass er auf einmal aufgegeben hat?

Yann schnaubt sarkastisch. "Hast du mich eigentlich schon mal angesehen?"

"Was soll das denn jetzt heißen?", frage ich verwirrt und starre Yann perplex an.

"Sieh mich an! Was siehst du?"

"Ich sehe meinen besten Freund", erwidere ich seufzend. Worauf will er hinaus?

"Und ganz objektiv betrachtet?", fragt Yann weiter und wird allmählich ungeduldig.

"Hey, hättest du die Güte, mich mal aufzuklären? Ich komm mir langsam so vor, als wär ich schwer von Begriff!" Langsam verliere auch ich die Geduld und sehe Yann kopfschüttelnd an. Was ist sein Problem, denn ich sehe es nicht.

"Ich bin von oben bis unten tätowiert, denkst du im Ernst, ich würde irgendwo 'nen Job als Arzt kriegen? So wie ich ausseh?"

Oh Gott, ist das sein Ernst? Deshalb hat er alles hingeschmissen?

Das glaubt er doch nicht mal selbst!

"Yann, red keinen Scheiß! Du hast es nie versucht, also woher willst du es dann wissen? Du hast doch schon lange vorher aufgegeben! Außerdem wärst du sicher nicht der einzige Typ, der unter seinem weißen Kittel Tattoos versteckt." Ich kann es nicht glauben, dass er mir schon wieder seine Lügen und Ausreden auftischt.

"Ich dachte, du willst ehrlich sein, was dein Hinschmeißen angeht, also hör endlich auf mit diesen lächerlichen Ausreden."

Yann weicht meinem Blick aus und sackt in sich zusammen. "Das ist eigentlich auch nur ein Grund", meint er geknickt.

"Der zweite ist, wie eigentlich alles in meinem Leben, dass ich schwul bin."

Aha, daher weht also der Wind.

"Also haben dir das irgendwelche homophoben Arschlöcher eingeredet?", schließe ich.

Yann antwortet zwar nicht, aber das ist Bestätigung genug.

"Oh Gott, ich bitte dich, Yann! Du lässt dir von irgendwelchen dahergelaufenen Typen deinen Traum zerstören? Das kann doch nicht dein Ernst sein!" Fassungslos sehe ich meinen besten Freund an. Seit wann lässt er sich davon beeindrucken?

"Danke, das ist wirklich genau die Reaktion, die ich mir erhofft habe! Nein, eigentlich nicht, aber es ist zumindest die, die ich erwartet habe!

Ich hab verdammte drei Semester durchgehalten! Drei Semester voller Schikane und Erniedrigung. Ich hab mich gefühlt wie das Mobbingopfer in irgendeinem schlechten High-School-Drama! Ich hab das alles bestmöglichst ignoriert, hab meine Zeit lieber in der Klinik, als auf dem Campus verbracht und mich nicht von irgendwelchen widerlichen Kommilitonen einschüchtern lassen.

Aber du hast recht, ich war gut - laut Andrews einer der Besten des Jahrgangs - und das ist das Problem! Denn, wenn du in etwas gut bist, dann hast du automatisch Feinde und die geben alles dafür, dass sie dich los werden", erzählt Yann und klingt verbittert.

"Ein Grund mehr, nicht aufzugeben", schreie ich ihn an und versuche ein Fünkchen Vernunft in seinen Augen zu finden.

Lass dich doch nicht so einfach unterkriegen!

When You Were GoneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt