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CHRIS

Künstliches Koma...

Diese Worte schwirren mir schon die ganze Zeit durch den Kopf und doch habe ich sie noch nicht ganze begriffen. Yann liegt im Koma!

Yanns Mutter ist schon vor einer Weile wieder gegangen und inzwischen stehe ich hier alleine vor der Scheibe zu Yanns Krankenhauszimmer und sehe mir meinen besten Freund wie ein Zootier aus der Ferne an.

Wie konnte das alles nur passieren? Wie konnte mein bester Freund auf einmal im Koma liegen?

Ich hatte gerade das Gefühl, langsam mit Ems Tod zurechtzukommen und jetzt das?

Gott, wenn es dich wirklich gibt, dann sag mir, womit ich das verdient habe!

Mein Handy in meiner Hosentasche vibriert. Ich ignoriere den Anruf erst, hole dann aber doch seufzend mein Handy heraus und nehme ab.

"Chris, wo bist du? Ich steh vor deiner Wohnung, wollte mich verabschieden", meint Jonah am anderen Ende.

Stimmt, das hat er mir tatsächlich angekündigt.

"Sorry, hab ich vergessen", murmele ich mit den Gedanken bei Yann.

"Hey, Kleiner! Was ist los?" In Jonahs Stimme klingt Sorge mit. Er kennt mich zu gut, als dass er meinen Kummer nicht bemerkt hätte.

"Kannst du herkommen?", frage ich leise, ohne darüber nachzudenken, wie idiotisch diese Bitte klingen mag und ohne meinen besorgten Blick von Yanns Krankenbett abwenden zu können.

"Natürlich, wo bist du?", kommt die alarmierte Antwort meines Bruders sofort.

"Im Krankenhaus. Yann liegt im Koma", erkläre ich kurz und muss beim Aussprechen dieser abscheulichen Nachricht den aufkommenden Kloß in meinem Hals hinunterschlucken.

"Ich bin in zehn Minuten da, okay? Alles wird gut!"

Ich nicke nur, unfähig auch nur ein weiteres Wort herauszubringen, und lasse langsam mein Handy sinken.

Noch immer starre ich Yann hinter der Scheibe an. Wie gern ich jetzt in dieses Zimmer gehen und ihn einfach wachrütteln wollen würde, doch ich bleibe, wo ich bin.

Nicht nur, weil das Krankenhauspersonal eindeutig gesagt hat, dass ich da nicht rein darf, sondern vor allem, weil ich meinen eigenen Beinen nicht mehr traue. Ich bin mir nicht mehr, sicher, ob sie mich wirklich bis zu Yanns Bett tragen oder mir vorher den Dienst versagen würden - momentan glaube ich eher an Zweiteres.

Ich kann den Anblick fast nicht ertragen, Yann so zu sehen. Sein Gesicht ist geziert von Platzwunden und Kratzern, das linke Auge bereits blau und angeschwollen, die Nase in einem weißen Pflasterverband versteckt und von dem Schlauch in seinem Mund und den vielen Maschinen und Geräten um ihn herum will ich gar nicht erst anfangen. Trotzdem schaffe ich es nicht, meinen Blick abzuwenden.

Warum? Warum Yann? Warum jetzt?

Ich bin nicht bereit dafür, noch einen Menschen zu verlieren - wenn man dafür überhaupt jemals bereit sein kann! Ich bin nicht bereit dafür, schon wieder von diesem Schmerz überrollt zu werden.

Aber leider habe ich dabei kein Mitspracherecht...

"Entschuldigung, kann ich Ihnen vielleicht helfen?"

Ich wende meinen Blick noch immer nicht von der Scheibe ab, doch ich kann die Spiegelung einer Schwester erkennen, die neben mich getreten ist und mich jetzt sanft am Oberarm berührt.

Wie in Trance schüttele ich langsam den Kopf.

"Ich komm schon klar", meine ich wenig überzeugend, als ich schnelle Schritte näherkommen höre. Kurze Zeit später finde ich mich in einer tröstenden Umarmung meines Bruders wieder.

When You Were GoneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt