Ein Donnern ertönt, kurz nachdem alles hell erleuchtet war. Doch nun ist es wieder finster. So finster das ich nichts erkennen kann. Nur das Bild in meinem Kopf bleibt da. Doch schon wird alles nicht mal eine Sekunde hell und das Scheppern über uns erklingt wieder. Still liege ich da und höre dem Regen zu, wie die Tropfen auf das Dach unseres kleines Zeltes tropfen.
Ich öffne die Augen und drehe mich auf die Seite. Dunkelbraune, fast schwarze Haare. Geschlossene Augen, geschmückt mit dunklen Wimpern. Eine charakteristische Nase. Wie sagt man? Aristokraten Nase?
Ein Lächeln schleicht über meine Lippen. Ja, Bruno Roth Nase ist schon etwas aristokratisch. Sie ist nicht sehr breit aber nicht zu schmal. Doch der Nasenrücken hat eine Art knick und so sieht sie halt sehr charakteristisch aus... Doch sie steht ihm. Wirklich!
Paulus hatte irgendwie eine kleine Stupsnase... zum Glück habe ich ihm das nie gesagt. Er hätte sicher geschmollt. Violetta hätte ihn daraufhin als Memme bezeichnet und uns allen wäre das Lächeln kurz über die Lippen geschlichen. Doch dann wäre uns wieder unser Leben eingefallen...
Mein Herz wird schwer. Es fühlt sich an, wie als würde es zittern. Mein Magen knurrt. Im Selben Moment wird wieder alles hell. Ein etwas leiseres Donnern erklingt ein paar Sekunden später.
Ich lege mich wieder auf den Rücken, sehe an die Decke des kleinen Zeltes und kuschle mich in meinen Schlafsack. Meine Zähne klappern. Denn wie immer ist alles nass und kalt.
„Kannst du wieder nichts schlafen?" murmelt eine, mir all zu gut bekannte, tiefe Stimme verschlafen. Ich drehe mich wieder zu ihm. „ Ich musste grade an Paulus und Violetta denken." gebe ich zu. In den letzten Wochen hatte sich gezeigt, dass es gut war Bruno alles zu erzählen.
Doch Bruno seufzt geräuschvoll. Ohne Worte kommt er etwas zu mir gerückt und nimmt ich in seine Arme. Das tut er immer wenn ich nicht schlafen kann. Er sorgt sich um mich. Er ist immer stark. Motiviert mich. Gibt mir Kraft. Führt mich.
Sachte beginnt er beruhigend über meine Haare zu streicheln. „Kannst du dich noch erinnern, wo wir in der Militärschule uns einmal gestritten hatten?" fragt er leise. Es wird kurz wieder alles Hell. Fast im selben Moment donnert es ohrenbetäubend über uns. „Ja kann ich." gebe ich mit erstickender Stimme zurück. Damals hätte ich nie gedacht das beide sterben würden.
So schließe ich jetzt meine Augen. Ich beginne in meinem Kopf wieder die Stimmen zu hören.
„Ganz ehrlich Bruno, du bist erbärmlich!" zickt Violettas Stimme. Ein tiefes Lachen erklingt. „Spiel dich nicht so auf, Zwerg" lacht Brunos Stimme spöttisch. „Bist du so einfallslos das du auf meine Größe zurückgreifen musst und zu versuchen mich zu verletzen?" widerspricht ihre Stimme hämisch. „Wer sagt das ich dich verletzen wollte?" spottet Brunos Stimme weiter. Violetta funkelt mit ihren violetten Augen zu Bruno hinauf. Sie steht nur einen knappen Meter vor dem hoch gewachsenen Jungen. Dieser steht gelassen vor ihr. Leichtes Hohlkreuz. Hände in den Taschen. Füße etwas auseinander. Sein Kopf neigt sich nur leicht nach unten und er sieht herablassend auf dem Mädchen vor ihm. Sie ist über einen Kopf kleiner als er. Geht ihm grade mal bist zur Brust. Hat ihren Kopf im Nacken und die Hände in die Hüfte gestemmt. Ihre weißen Haare sind zu zwei Zöpfen geflochten. Diese Fallen schwer herab und gehen ihr bis über den Po... Sie hatte sehr volles, langes und dickes Haar....
In meinem Kopf ist das alles da. Gegenwart. Doch in Wirklichkeit... Dort ist es Vergangenheit. Sie ist tot. Nie wieder wird dieses wunderschöne Mädchen vor mir stehen. Genauso wenig Paulus. Der schmale Junge. Er war so dünn, dass man jeden Muskel seinen Körpers hatte sehen können. Er hatte ein breiteres Gesicht. Große, blaue Augen. Irgendwie hatte er einen an einen Teddy erinnert. Einen süßen Teddy mit himmelblauen Augen.
„Sila." reißt mich Brunos Stimme aus des Gedanken. So plötzlich das ich zusammen zucke. „Schhht. Es ist alles gut." flüstert er leise. Man erschrickt mich selten. Doch wenn man es tut, dann so heftig das mein Herz flattert.
Bruno scheint es zu spüren. Liebevoll streicht er mir über mein Haar. Er ist mir gegenüber streng. Er redet mit einer solch monotonen Stimme das ich immer eine Gänsehaut kriege... Doch er hat es auch nicht leicht. Wir beide haben schließlich alles verloren.
„Es geht schon." flüstre ich zurück. Wieder wird alles hell. Ein leises grollen ertönt vom weitem. Der Regen nieselt auf die Zeltdecke.
Mit dieser Kälte und Nässe jeden Tag müsste ich mich fragen wofür ich lebe. Doch Bruno lässt das nicht zu. Er hält so gut wie immer meine Hand wenn wir vorwärts gehen. Nachts wenn die Erinnerung mich einholt legt er seine Arme um mich. So frage ich mich manchmal wie ich jetzt noch ohne ihn leben könnte. Denn er geht auch jagen, macht das Feuer und sucht das trockene Holz was dafür wichtig ist.
Denn mein Knie, welches sich an DEM Tag verletzte... Es heilt nicht. Die blauen Flecke und Schwellungen sind verschwunden. Doch es tut weh. Jeden Tag. Jeden Schritt. Oft gibt es nach und Bruno fängt mich.
Wie gesagt... Was würde ich nur ohne ihn tun.
Bruno sieht mich an. Ich schließe meine Augen und schmiege mich an seinen warmen Körper. Er Schließt seine Arme enger um mich. Ich fühle mich wohl. Geborgen. Und das nach all diesem Hass.
Seit zehn Tagen sind wir unterwegs. Zehn Tage sind nur vergangen. Doch meine Vergangenheit wirkt so fern. Ich habe die Erinnerungen. Doch sie wirken für mich nicht wie mein Leben. Es ist, als würde ich schon immer nur so weiterlaufen. Es ist, wie als gäbe es schon immer nur Bruno und mich.
Als gäbe es niemand anderen.
Keinen Krieg.
Keine Zivilisation.
Keine Menschen.
Keine Familie.
Keine Vergangenheit.
Nur Bruno und mich. Den Regen. Die Tiere. Den Wald. Das Gewitter. Nur uns gibt es... So fühlt es sich irgendwie an.
„Bitte passe auf dich auf." nuschelt Bruno in meine Haare. „Wenn mir morgen etwas passiert. Bitte. Gehe immer weiter. Achte nicht auf mich. Egal ob mir morgen oder irgendwann etwas passiert. Bitte bleib am Leben." ich spüre seinen Atem an meinem Ohr. Das bereitet mir eine Gänsehaut. Nein. Nicht nur das. Auch der Gedanke das ihm etwas passieren könnte. Auch der kalte, herzlose Ton seiner Stimme. Auch sein pochendes Herz, welches schwermütig und verkrampft viel zu schnell schlägt. „Bitte. Egal wann mir etwas passiert. Gehe weiter." knurrt er leise. Ich kriege kaum Luft. Jeder Muskels seines Körpers ist angespannt. Jeder! Er klammert sich grade zu an mich.
Mein Herz bleibt stehen. Doch wie von selbst klammern sich meine Hände an sein Pullover, welchen er trägt. „Warum sagst du so etwas?" höre ich meine erstickte Stimme fragen. Er atmet aus. Aber nicht gleichmäßig. Er zittert. Am ganzen Körper. „Bruno was ist?" fragt meine Stimme verzweifelt. „Morgen kommen wir an das Ende des Waldes. Unsere Schutz hat nun ein Ende. Wir sind in feindlichem Gebiet... Jeder Tag könnte der letzte sein." seine Stimme ist eiskalt. Bricht jedoch. Seine Arme schlingen sich immer enger um mich. Ich kriege immer weniger Luft. Doch es macht mir mehr angst, was für Angst Bruno fühlt. Sein Herz rast. Sein ganzer Körper zittert. Seine Stimme versagt. Seine Gefühle fliehen.
Doch die bekannten Worten lassen mich meine Stärke finden. Wenn morgen mein letzter Tag sein könnte. Dann möchte ich jetzt. Dieses eine Mal. Jetzt möchte ich auch mal für Bruno da sein.
So lege ich meine Arme um seinen Oberkörper und sage spreche einen Gedanken aus der mich täglich begleitet. „Wieso haben wir Angst zu sterben? Unsere Freunde warten dort doch auf uns. Wir haben nichts zu befürchten. Wir müssen für unser Leben kämpfen und es nicht aufgeben. Doch ebenso müssen wir nichts fürchten. Bruno, der Tag an dem man dich besiegen kann. Ist der Tag an dem ich schon gefallen bin. Denn du bist einer der besten Eyes die ich kenne." flüstre ich zu ihm hinauf. Alles Stimmt. Nur eine Sache für mich nicht. Ich muss für Sarwig und Rose überleben. Ich habe es schließlich geschworen.

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Sila Klein
FantasyNiemand weiß was wir genau sind, doch jeder meint zu wissen WIE wir sind. Grausam,herzlos, nur so beschreibt man uns. Doch wir wissen nicht mal wodurch wir ihren Hass gelegt haben und weswegen wir ihn unser ganzes Leben bestimmen lassen müssen. Wir...