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Lieber links um den Baum. Rechts ist eine Kuhle. Die wäre nicht gut für mein Knie. Beschließe ich. So mache ich eine Linkskurve um eine dünne Kiefer. Dabei sehe ich mich wieder um. Brunos Gestalt sieht man immer nur kurz. Er prüft die Umgebung. So laufe ich alleine immer weiter.

Doch Bruno hatte Recht. Es scheint so als würde der Wald seinen Ende kennen. Er wirkte so unendlich. Doch heute wird er mit jeder Stunde lichter. Die Kuhlen werden immer weniger. Der Boden wird so immer angenehmer und ebener.

„Es ist nichts in Sicht. Keine Soldaten. Keine Fallen." Höre ich Brunos Stimme auf einmal neben mir. Erschrocken fahre ich herum. Da steht er. Ein paar Tropfen schleichen über sein Gesicht. Der Regen schlägt auf unsere Helme. Die Tropfen fließen auf unsere Westen, Regenjacken und Wasserfesten Hosen. Wir tragen immer noch die Tarnfarbende Uniform. Immer noch denke ich an die Tage wo im mit Bruno Wache hielt. An die Tage mit meinen Freunden, die ich hatte bevor ich sie verlor. Bei ihnen allen sah ich es. Wie der Regen in kleinen Bächen über uns floss. Vom Helm herunter auf die Schultern. Von dort aus fließt der größte Teil die Arme herunter und über die Handschuhe Tropft es zu Boden. Immer wenn ich dieses Spiel der Tropfen des Regens sehe, erinnere ich mich. Ich erinnere mich an die Tage die ich nie wiederbekommen kann. Nie wieder...

Ich nicke. Erleichterung breitet sich in mir aus. Heute bleibt also unser kleiner Frieden. Ein Tropfen Schleicht sich unter Brunos Helm und streicht über seine Schläfe. Hinab über seine hohen Wangenknochen. Seine inzwischen leicht eingefallenen Wangen. Ich gehe ein Schritt zu ihm. streiche sanft die Träne des Regens weg. Bruno greift meine Hand. Ich sehe traurig hinauf in seine Augen. Er legt seine andere Hand auf meine Wange und beugt sich leicht nach unten.

Wie so oft, legt er seine Stirn gegen meine. Ich schließe meine Augen und erwarte wieder die liebevollen Bilder in meinem Kopf. Doch dieses Mal höre ich nur Stimmen. Knallende Explosionen unterstreichen die verschwommenen Stimmen. Beide Brüllen aus vollem Hals. Ein tiefer Schrei erklingt. Mein Herz verkrampft. Ich spüre unendlich Wut, Trauer, Hass und doch ein wenig Dankbarkeit und Sorge. Es ist, wie als hätte man mir eine Last genommen. Doch die Folgen davon tragen Schmerz und große Verantwortung. Etwas, was man nie vergessen wird.

„Sila, wieso tust du das?" erschrocken öffne ich meine Augen. Brunos Stirn löst sich von meiner. Er lässt mich los. Sein Rücken dreht sich zu mir. In seiner Stimme ist Wut und Enttäuschung, vielleicht auch ein wenig... Angst?

„Was..?" beginne ich leise zu fragen. „Nicht WAS!" unterbricht mich Bruno. Seine Hände sind zu Fäusten geballt. Er wirkt geladen. Doch ich verstehe es einfach nicht. Ich verstehe nicht was er hat. „Immer wieder!" beginnt er und holt noch einmal tief Luft. „Immer wieder tust du es!" seine tiefe Stimme bebt. „Was tu ich?" beende ich etwas zickig meine Frage. Ich weiß nicht was er hat. Urplötzlich rastet er aus. Urplötzlich geht er an die Decke. Einfach so! Ohne Grund! Das ist doch nicht in Ordnung! „Immer wieder scannst du meine Gedanken." er dreht sich um und zeigt anklagend auf mich. „Denkst du ich merke das nicht? Denkst du wirklich niemand merkt es wenn du scannst?" er kommt auf mich zu. Seine Stimme wird lauter. „Was redest du da? Ich scanne keine Gedanken! So was geht doch gar nicht!" zicke ich ihn an. Es reicht mir. Der Typ dreht völlig am Rad. Irgendwo in diesem Wald hat er wohl seinen Verstand verloren.

„Und ob das geht! Was denkst du wie Scannen funktioniert? Scanner sind so extrem feinfühlig das Ihr unterbewusst sein die Eindrücke auf einem großem Raum zu einem Bild zusammen stellen können! Wann immer du Leute berührst beginnst du zu scannen! Immer. Ich merke das richtig! Du merkst dir alle Eindrücke aufs kleinste Detail. Ich fühle mich bei dir manchmal wie eine Laborratte die du dauerhaft observierst, analysierst und interpretierst. Und das reicht mir! Höre auf dich in meinen Kopf zu mischen!" faucht er mich an. „JETZT HALTE MAL DIE LUFT AN!" höre ich mich brüllen. „ICH HATTE KEIN PLAN WIE SCANNEN GEHT! UND ICH OBSERVIERE; ANALYSIERE UND INTERPRETIERE NIEMANDEN!" „Schrei nicht so! Bist du dumm? Wir befinden uns auf feindlichem Gebiet!" „jetzt komm mir NICHT mit der Leier! Wer unterstellt mir bitte das ich mich in Köpfe von Leuten dränge?" Zische ich zurück. Es fällt mir schwer nicht zu schreien. Denn wie bekloppt muss man bitte sein? „Woher sollte ich bitte wissen wie scannen geht? Ich wusste so gut wie nichts als ich eingezogen wurde! Ich wurde meiner Familie und meinen Freunden entrissen. In eine Welt voller Tod und Trauer und Hass gesteckt... Kannst du dir vorstellen wie es ist, zu wissen wie schön das Leben ist, wenn man hier überleben und andere verlieren muss? 15 Jahre Bruno. 15 Jahre lebte ich in einer Idealen Welt als Mensch. Und dann passierte das alles!" meine Stimme brach. Bei dem Wort alles strecke ich meine Arme aus und zeige auf die Verregnete Welt um uns. Tränen steigen mir in die Augen. Das Bild von Bruno vor meinen Augen verschwimmt. Doch im merke wie er zu mir kommt. „Es tut mir Leid. Das hatte ich vergessen." Höre ich ihn sagen. Ich spüre seine behandschuhte Hand auf meiner Schulter. „Doch Sila, du musst aufhören mich zu scannen. So geht das nicht weiter. Jedes Wesen hat seine Geheimnisse. So lass mir auch meine!"

In diesem Moment zerbricht etwas in mir. Denn mir wird klar, dass er recht hat.Ich würde mein ganzes Leben nur belogen und habe gelogen. Geheimnisse waren der Grund. Doch sie alle mussten sein. Zum Schutz.

Es fällt mir immer noch schwer einzusehen das mein Vater nicht mein Vater ist. Er ist mein Onkel... Was mit meinen Eltern ist weiß ich nicht. Ob sie tot sind oder leben. Ob sie frei sind oder gefangen. Nichts weiß ich... Nur, dass ich sie nie gesehen habe und es vielleicht auch nie werde...

Ich nicke Bruno nur zu. Tränen stehen in meinen Augen. Wie immer wenn ich an meine Familie denke.

„Sila... nicht weinen. Bitte..." flüstert die brummende Stimme von Bruno. Er zieht mich zu sich ran und schließt seine Arme um mich. Ich bin zu müde um die Umarmung zu erwidern. Ich bewege mich nicht. Ich genieße nur seine Gegenwart und Fürsorge während mein Herz schneller schlägt. Lasse meinen Tränen ihren Weg über meine Wangen fließen und lasse sie so sich den Tränen des Himmels anschließen.

So weinen wir. Die Welt und ich. Wir weinen das die Vergangenheit unsere Gegenwart zerstörte. Alles zerstörte. Und wir nichts anderes tun können als es hin zu nehmen. Als zu weinen...

Sila KleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt