PoV Tim
Heute war Donnerstag. Das hieß also für mich, dass mein Training wieder anstand. Und das brauchte ich momentan, einfach zum Auspauern, um mich abzulenken und zum Abreagieren.
Nachdem mein Dad meine Mutter wieder angeschrien hatte und schließlich zum ersten Mal gewaltätig wurde, beschlossen beide, eine Pause zu machen. Mich traf ihre Trennung nicht im geringsten. Ich war eher froh, dass sie endlich verschiedene Wege gehen wollten.
Ich konnte meinen Drecksvater generell nicht ausstehen. Sein Verhalten gegenüber meiner Mutter die letzten Jahre machte mich aggressiv. Selbst mich schrie er an, sogar oft mit einer grässlich stinkenden Alkoholfahne.
Und wie ich seine grundlose Sauferei hasste. Er begründete sie immer wieder damit, dass wir an allem Schuld wären, an seinem beschissenen Elend, und alles deswegen nur schief ging. Tagtäglich kam er mit einer neuen, fast leeren, Vodkaflasche nach Hause. Jedes Mal landete sie wieder in irgendeiner Ecke und ich konnte aus meinem Zimmer die Schreie hören.
Mein Bruder hingegen war für ihn das Glück auf Erden. In seinem Gesicht, in seiner Ausstrahlung und in seinem Verhalten glich er gänzlich unserem Vater. Er wurde ebenfalls sehr schnell aggressiv und laut. Und seitdem mein Vater unsere Mutter schlug, schlich sich diese Eigenschaft langsam aber sicher auch auf meinen Bruder zu. Wie der Vater, so der Sohn.
In mir sammelte sich allmählich die Wut und ich fing an, meine Körbe aggressiver und mit voller Wucht zu werfen.
"Tim, wirklich alles in Ordnung?", die Stimme meines Trainers riss mich aus meiner kleinen Blase an Verzweiflung. Leicht erschrocken blickte ich in seine Richtung, der von mir geworfene Ball traf das Board und prallte ab. Nur das dumpfe Geräusch des springenden Balles, welches durch die ganze Halle hallte, war in diesem Augenblick zu hören. Ich schwieg.
"Wenn es dir nicht gut geht, dann geh ruhig nach Hause. Wir haben alle mal einen schlechten Tag, das verstehe ich. Aber nimm das bitte nicht mit zum Training, das bringt weder uns, noch dich weiter." Verständnisvoll und fragend durchbohrten mich seine Blicke und warteten auf eine Antwort.
Schließlich ging ich zu meiner Tasche und verschwand Richtung Umkleidekabine, um mich umzuziehen. Ich zog mein durch Schweiß nass gewordenes Shirt aus, trocknete mich etwas mit einem Handtuch ab und zog mir ein neues, frisches Oberteil an. Nachdem ich auch meine stinkigen Schuhe gewechselt habe nahm ich meinen Rucksack und ging aus der Sporthalle raus nach Hause.
***
Ich öffnete die Tür als plötzlich ein Berg an Koffern und Taschen mich begrüßte. Ich stieg über diese drüber und ging in die Küche, wo meine Mutter genüsslich an ihrem Tee nippte und in einem Magazin blätterte. Sie wirkte irgendwie fröhlicher, erleichterter wie sonst die tristen Tage.
"Warum stehen da Koffer im Flur?", ich blickte sie fragend an und ging näher auf sie zu. "Du hast doch nicht vor, auszuziehen...", ich atmete kurz ein, "Oder?!" Mein leicht panischer Blick ruhte nun auf ihr.
Sie kann mich doch nicht einfach alleine lassen!?
Dann setzte sie ihre Tasse wieder auf den Tisch ab und schaute lächelnd zu mir hoch. "Nein mein Schatz. Dein Vater und Cedric werden weg gehen." Ich atmete erleichtert aus und entspannte mich wieder. "Sie ziehen zu Onkel Heinrich, dein Bruder wird also noch weiterhin auf deine Schule gehen. Wenn er sein Abitur hat, bist du ihn aber dann endgültig los.", lächelnd schaute sie in ihre Tasse auf das warme, rote Wasser, welches ihr Gesicht spiegelte. Leise murmelte sie noch ein unverständliches "Und deinen Vater ebenfalls.", bevor sie wieder einen großen Schluck trank.
Dann hörte ich Personen unsere Treppe runterpoltern. "Hast du alles?", schrie eine mir bekannte Stimme, bevor die Schritte immer deutlicher wurden und schließlich unter dem Türrahmen zur Küche halt machten. Ich blickte zu Cedric, welcher sich gegen diesen lehnte. "Dann sehen wir uns wohl nur noch in der Schule, was?", sein idiotisches Grinsen kam wieder zum Vorschein, welches ich nur mit einem genervten Grummeln erwiderte. Ich hasste ihn einfach.
"So, wir können dann.", war das Letzte, was ich von meinem Vater zu hören bekam, ehe er die Autoschlüssel meinem Bruder zuwarf, um mit den Koffern das Haus zu verlassen. Eine letzte Alkoholfahne zog an mir vorbei und ich musste die Nase runzeln.
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„Life is ten percent what happens to you and ninety percent how you respond to it.“ ~Lou Holtz

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someday / stexpert
FanfictionStegi, in der Geschichte auch Lukas genannt, zieht mit seinem Vater nach Essen, um dort einen Neustart zu wagen. Nach dem Krebstod seiner Mutter und dem Bankrott der Firma seines Vaters lief sein Leben komplett aus dem Ruder und alles schien sich au...