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PoV Stegi (aka Lukas)

Ich kniff meine Augen zusammen, als eine Träne meine Wange runter lief. Hektisch drehte ich meinen Kopf zur rechten Seite, damit Tim nicht sehen konnte, wie ich weinte.

Auf einmal spürte ich, wie sich zwei starke Arme vorsichtig um mich schlangen. Wärme wurde von meinem Gegenüber ausgestrahlt, als er meinen Körper sachte an sich drückte, was mich auf eine gewisse Art und Weise beruhigte. Langsam schmiegte ich mich an ihn, mein Kopf auf seiner Brust ruhend. Meine Arme hingen einfach nur reglos an der Seite hinunter, als ob all die Kraft aus mir herausgesogen wurde.

"Ich schwör dir, ich mach meinen Bruder kalt.", flüsterte er behutsam in mein Ohr. In seiner Stimme lag Wut und zugleich Hass.

Leise sagte er: "Die können dir doch nicht einfach weh tun, nur weil du eben auf Männer stehst..."

"Anscheinend ja schon.", kam nur brüchig aus mir heraus.

Sachte drückte er mich etwas von ihm weg, so dass ich nun gezwungen war, ihn anzuschauen. Er war so perfekt. Seine Haare, seine Augen, Lippen, sein Körperbau und sein Charakter. Einfach alles an ihm war so perfekt, dass er niemals schwul sein konnte. Und er sorgte sich um mich, obwohl ich so ein Schwächling war, der nicht einmal Widerstand leisten konnte.

"Du kannst immer auf mich zählen, okay?"

Für einige Zeit verweilten wir in der Position, wo seine haselnussbraunen Augen in meine blickten. Besorgt zog er bedächtig seine Mundwinkel etwas nach oben, um mir ein kleines Lächeln zu schenken. Vorsichtig erwiderte ich seinen Aufmunterungsversuch und lächelte ebenfalls.

"Lukas, Essen ist-", Tim und ich drehten uns in die Richtung, aus der die mir bekannte Stimme kam.
"Oh, hallo Tim! Wenn du magst, kannst du gerne bleiben und mit uns essen!", sagte mein Vater, als er in Jogginghose und grauem Pulli im Flur stand und uns zulächelte.

"Gerne Herr Bohn, wenn es Ihnen keine Umstände bereitet..."

"Ach, nenn' mich doch einfach Christian...", sagte er leicht lachend und blickte nun in meine Richtung. Jedoch verschwand sein Lächeln sofort, als er in meine leicht nassen Augen sah.

Ich löste mich von Tim, wischte mit dem Pulloverärmel meine Tränen weg und ging an meinem Vater vorbei in die Küche. Dort setzte ich mich an meinen gewohnten Sitzplatz.

Als Tim losgehen wollte, wurde er jedoch kurz von meinem Vater aufgehalten. Ich konnte nur leicht die Worte "Bitte pass' auf ihn auf" hören, ehe sie den Raum betraten und sich ebenfalls setzten.

***

"Warum starrst du so auf dein Handy, erwartest du irgendeine Nachricht?", neugierig versuchte ich auf das Handy meines Gegenübers zu blicken, welcher ungeduldig auf meinem Bett saß.

"Naja, also... Keine Ahnung.", mit einem Seufzer schaltete er sein Handy wieder aus und legte es mit dem Bildschirm nach oben auf meine Bettdecke. Dann ließ er sich nach hinten fallen.

"Du kennst doch Nina, oder? Die, die so total gut zeichnen kann.", nachdenklich starrte er hoch an meine Zimmerdecke.

Nina... Klar kenne ich sie.
Alles in mir zog sich zusammen, ich seufzte. Ich hätte es mir glatt denken können. Sie war beliebt, sah gut aus und ihr Charakter war nicht so bitchig wie manch einige von unserer Schule. Sie trug nicht tonnenweise Make-Up im Gesicht, sie war einfach natürlich und freundlich. Perfekt für Tim.

"Ja, wir haben doch zusammen Kunst..."

"Stimmt.", er grübelte.
"Naja, also wir schreiben seit einiger Zeit.

"Ist doch schön!", gekonnt gespielt versuchte ich meine Freude für sein Glück zu übermitteln, obwohl sich bei mir innerlich alles dagegen sträubte.

Er lachte jedoch nur verunsichert.
"Mein Problem ist einfach...", er machte eine Pause, "...Naja, ich weiß nicht so genau wie ich das sagen soll. Anfangs hatte ich noch Interesse. Wir haben endlos viel geschrieben, uns ab und zu getroffen. Nur irgendwann meldete ich mich nicht mehr bei ihr, schrieb ihr nicht mehr zurück...", überlegend starrte er weiter meine Zimmerdecke an.

"Ich weiß nicht, was ich will. Irgendwie ist alles in mir so durcheinander, dass ich nicht einmal klar denken kann.", doch bevor Tim weiterreden konnte, ertönte sein Handy und er saß wieder senkrecht in meinem Bett.
Was bringt ihn denn nur so zum Nachdenken?

Etwas bedrückt starrte ich die Nachricht an, die seit einer Minute auf seinem Bildschirm aufleuchtete.

"Warum antwortest du denn nicht?"

"Ich weiß nicht.", zögernd nahm er sein Handy in die Hand und entsperrte dieses. Dann öffnete er den Chat mit dem besagten Mädchen.

"Zeig mal her, was genau habt ihr denn geschrieben?", vorsichtig rückte ich etwas näher an ihn heran. Mein Herz fing an zu rasen, doch ich probierte es zu ignorieren, was mir nicht ganz so einfach fiel.

"Hmm. Sie will sich nochmal mit dir treffen, warum erklärst du ihr dann nicht einfach deine Situation?"

"Meinst du, sie versteht das?", verzweifelt sah er mich an.

"Warum denn nicht? Sie wird dich schon nicht verurteilen.", aufmunternd lächelte ich ihn an.

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"Nothing will come of nothing." ~William Shakespeare

someday / stexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt