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PoV Stegi (aka Lukas)

Die Gänsehaut, die ich durch seinen warmen Atem bekam, ließ mich für einen Moment erschaudern.

Dann spürte ich auf einmal zwei warme Hände, die sich seitlich auf meine Hüfte ablegten. Ich erstarrte und spannte mich an, meine einst leicht gekrümmte Haltung war nun gestreckt und meine Augen weit aufgerissen. Ich blickte einfach nur gerade aus und fühlte mich wehrlos. Meine Hand, mit der ich das T-Shirt vor mir griff, verkrampfte und ich drückte dieses zusammen, als ob ich es ausquetschen wollen würde.

In diesem Moment kam sein Mund meinem Ohr immer näher und ich bekam Angst, Angst davor, was er vor hatte. Ich konnte ihm alles zutrauen.

»Ich weiß nicht, was du vor hast, aber hör auf damit!«, sagte ich mit leicht zittriger Stimme.

Ich konnte heraushören, dass er grinste. Er nahm mich nicht ernst. Was auch sonst.
Langsam zog er mich nun nach hinten und drückte mich noch näher an ihn heran, besser gesagt drückte er meinen Hintern an eine gewisse Stelle. Ekelhaft.

»Was zum Teufel machst du da! Du bist ja echt widerlich!«, ich versuchte mich loszureißen, ohne Erfolg. Stattdessen zog er mich weiter nach hinten und ich lag enger an ihm an, als ich sowieso schon war. Ich glaubte sogar spüren zu können, dass er eine leichte Beule hatte. In mir zog sich alles vor Ekel und Scham zusammen.
Hilfesuchend blickte ich mich in meiner Umgebung um. Es waren fast keine Leute da, die Kassiererin starrte lediglich auf ihr Handy und Tim war am anderen Ende verschwunden. Langsam bekam ich Panik.

»Wenn du dich wehrst, dann wirst du es bereuen.«, flüsterte er mir mit seiner dunklen Stimme in mein Ohr.
»Ich werde Tim dann alles erzählen, wie du wirklich tickst.«, fügte er noch hinzu und betonte das Wort wirklich besonders deutlich, »Und das willst du nicht. Ich weiß zwar nicht, was da zwischen euch läuft, aber früher oder später wird es genau so enden wie damals. Mach dir also keine falschen Hoffnungen.« Alles, was er sagte, klang kühl und voller Hass, ich fühlte mich wie angewurzelt, konnte mich nicht bewegen.

Alles begann vor ein paar Jahren, als Nicklas neu in meine alte Heimat zog. Wir wurden damals gute Freunde - nein, sogar beste Freunde. Wir taten alles zusammen, machten Unsinn, ärgerten aus Spaß andere Mitschüler und mussten zusammen dafür gerade stehen. Nichts ging mehr ohne ihn und man konnte uns nicht voneinander trennen... Irgendwann fing ich an, ihn mehr zu mögen. Ich war mir damals nicht bewusst, was ich dachte, oder genau fühlte - von Liebe hatte ich erst recht keine Ahnung. Doch irgendetwas in mir wollte mehr als nur Freundschaft.
Eines Tages ging ich also zu ihm hin und küsste ihn, aus dem Nichts und einfach so. Zu meiner Erleichterung erwiderte er diesen Kuss kurz darauf - ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich hatte unsere ganze Freundschaft und einfach alles aufs Spiel gesetzt, doch anstatt, dass sie kaputt ging, wurde sie intensiver und intensiver - und dennoch blieb sie geheim und nur unter uns, wie so eine heimliche, romantische Liebesgeschichte in diesen schnulzigen Filmen.
Es war neu für mich, und es war neu für ihn. Eigentlich wussten wir beide nicht wirklich, worauf wir uns einließen, doch es fühlte sich gut an.

Im wahrsten Sinne des Wortes waren wir das glücklichste Paar der Welt. Neben den Küssen, Zärtlichkeiten und zusätzlichen Sticheleien änderte sich kaum etwas zwischen uns, wir verhielten uns wie vorher auch - nur mit gewissen Vorzügen.
Neben dieser, ich würde schon sagen, kitschigen Seite, gab es natürlich auch Streit zwischen uns, wie in jeder normalen Beziehung auch. Die meisten legten sich wieder nach einigen Tagen, wenn auch schon nach Stunden. Doch einer löste eine gewaltige Welle aus, die alles zerstörte und mich vieles bereuen ließ.

Eines Nachts auf einer Party, nicht weit von uns entfernt, ich glaube sogar, dass das unser Nachbarort war, geschah etwas, an das ich mich nicht so gerne zurück erinnere. In dieser Nacht stritten wir uns, und das nicht nur einmal. Oft ging es um das Thema Outen, den Freunden es erzählen, es nicht mehr geheim halten. Ich hatte damit kein Problem, auch mein Vater wusste schon davon, akzeptierte es und unterstützte mich, wo auch immer er konnte. Nur Nicklas sprach es nie aus. Es verletzte mich ein wenig und ich dachte, er würde es peinlich finden und es nicht wirklich akzeptieren. Also sprach ich ihn mit halb besoffenen Kopf darauf an, dass mich das störte und ich es nicht tollerieren würde. In diesem Moment sprudelte alles aus mir heraus und der Alkohol sprach Bände, vielleicht ein wenig zu viele. Wir waren ja immerhin schon viele Monate zusammen, und ich konnte es damals einfach nur nicht verstehen, warum er nicht wollte - doch heute war es mir um einiges klarer.

Den restlichen Abend redeten wir kein einziges Wort mehr miteinander. Vor allem ich gab mir die Kante, und vermutlich sah mir Nicklas mit traurigen und verzweifelten Blicken dabei zu.

Irgendwann passierte jedoch das, was keiner von uns erwartet hätte. Mit voller Birne flirtete ich mit jemand anderem, soweit ich die Erzählungen mitbekommen hatte, und knutschte letztendlich mit einem wildfremden Typen rum.
Nicklas bekam das natürlich mit und war logischerweise entsetzt, angeekelt und wütend. Es war nicht richtig von mir gewesen, das wusste ich im Nachhinein auch, doch ich erinnerte mich an rein gar nichts mehr. Nur noch vereinzelte Fetzen der trüben Erinnerung blieben kleben: Zum Beispiel, wie er anfing, mit anderen über mich her zu hetzen, wie er anfing, auf mich einzuprügeln und wie er anfing, andere mit ins Boot zu ziehen. Kein Wunder, ich war auch mit meiner Aktion der größte und dümmste Vollidiot auf diesem ganzen blauen Planeten.

Die Tage vergingen, Wochen, dann Monate. Zu Beginn war ich sichtlich verwirrt, warum er mir aus dem Weg ging, über mich mit anderen spottete und spuckte. Ich bekam von jemandem gesagt, was in der Nacht auf der Party passierte, und ich hätte mich ohrfeigen können - ich hatte alles zerstört. Wirklich alles.

Und so verstrich das nächste halbe Jahr voller Schmerzen und blauen Flecken, Narben und Tränen wie im Flug. Er hasste mich, und ich konnte es ihm nicht verübeln.

»Ich wusste nicht, was ich tat. Ich hab doch schon gesagt, dass es mir Leid tut!«, versuchte ich mich herauszureden. Ich wusste selbst, dass es unmöglich und nutzlos war, egal was ich tat.

»Der Betrunkene sagt, was der Nüchterne denkt, oder wie war das gleich?«, kam es flüsternd in mein Ohr und meine Nackenhaare streckten sich erneut Richtung Himmel. Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Ich seufzte hörbar.

»Glaub mir, so einfach kommst du mir nicht davon.«, hauchte er gegen die zu Berge stehenden Haare in meinem Nacken und ließ endlich von mir ab. Erleichternd atmete ich aus.

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"Drunk words, sober thoughts."

someday / stexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt