»Warum hast du da Narben?«, versuchte ich zu fragen, doch es endete mit einem überforderten Stottern.
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PoV Nicklas
Ich stockte, hielt meinen Atem an. Mein ganzer Körper war angespannt, wie festgewurzelt, und er hatte doch keinen Halt.
Warum musste er das genau jetzt ansprechen?***
»Dad? Bist du daheim?«, schrie ich durch die ganze Wohnung. Keine Reaktion. Er war zu Hause, da war ich mir zu hundert Prozent sicher. Doch dass er sich nicht einmal zu Wort meldete, war wieder einmal so typisch für ihn.
Genervt schmiss ich meinen Schulranzen in die Ecke des Flures und zog meine Schuhe aus, die kurzerhand hinterher flogen. In letzter Zeit kannten wir keine Ordnung. Meine Mum und mein Dad vertrugen sich nicht mehr besonders gut, was ich vollkommen nachvollziehen konnte. Dieser Dreckskerl hatte eh nur seine Arbeit und Umsatz im Kopf. Zeit für mich oder meine Mutter hatte er nie, kannte er wahrscheinlich auch nicht. Doch rumnörgeln und alles schlecht reden konnte er blind und ohne Worte.
Also ging meine Mum für ein paar Wochen zu ihrer Mutter. Seither redete er kein Wort mehr mit mir, sagte immer, dass es meine Schuld gewesen wäre, doch ich ignorierte ihn.Langsam ging ich in die Küche. Niemand. Wohnzimmer. Ebenfalls niemand. Ich verdrehte die Augen und wollte gerade die Treppe hinauf, als ich sah, dass seine Arbeitszimmertür offen stand. Vorsichtig und auf leisen Sohlen trat ich immer näher heran, bis ich schließlich unter dem Türrahmen stand und geradewegs auf seinen krummen Buckel blicken konnte, der sich über seinen Tisch beugte.
Sein Zimmer war wie gefühlt jedes Büro eingerichtet. Es war groß, hatte jede Menge Aktenschränke und einen langen, breiten Schreibtisch mit Computer, welcher unter dem Fenster stand. Der Rest war eigentlich nur typisches Büromaterial.
Doch bei ihm war es alles andere als ordentlich und durchgeplant. Alles war durcheinander, wie in einem Labyrinth ohne Ende - eine Irreführung durch scheinbare Wege und Sackgassen. Aber er kannte sich aus, sagte er zumindest immer.»Dad, ich bin daheim.«, gab ich monoton wieder. Wollte ich überhaupt seine Aufmerksamkeit? Eigentlich ja nicht wirklich.
Genervt grummelte er nur und richtete sich wieder auf, blickte aber weiterhin auf seinen Tisch, sein Rücken mir zugewandt.
»Ich wollte dir was sagen. Ist mir wichtig.«, versuchte ich ihm vergeblich mitzuteilen. Doch wie immer konnte man auf keine sonderliche Reaktion seinerseits hoffen. Also sprach ich einfach weiter. Ein Versuch war es ja Wert.
»Ich bin schwul.«, brachte ich so direkt wie nur möglich und mit schnellen, ja fast schon geschossenen, Worten aus mir heraus, dass ich selbst über mich verwundert war, woher dieser Mut kam.
Stille.
Nein. Schweigen. Unangenehmes Todschweigen.***
»Ist das so wichtig?«, fragte ich ihn kühl und ohne jegliche Emotion. Ich wollte darüber nicht reden. Nicht jetzt.
Er hingegen schwieg und starrte zum blauen Meer. Die Wellen schlugen nacheinander in einem gleichmäßigen Takt auf das Ufer ein, zuerst schäumte es ein wenig, aber dann verschwanden sie kurze Zeit darauf wieder, um erneut zurückzukehren.
Er seufzte.»Woher sind die.«
Er wollte es also unbedingt wissen.
***
»Was hast du da gerade gesagt?«
Ich schluckte. Vielleicht war es ja doch eine Fehlentscheidung gewesen, ihm darüber zu berichten.
Seitdem Lukas weggezogen war, veränderte sich vieles in meinem Leben. Ich dachte über gefühlt Gott und die Welt nach, hinterfragte jegliche Sachen und versuchte herauszufinden, was genau ich für ihn wirklich empfunden hatte.
Fakt war auf jeden Fall, dass ich ihn niemals so hätte behandeln dürfen, wie ich es nach der Party gemacht habe. Wir hätten miteinander reden sollen. Vielleicht wäre er dann ja noch bei mir.
»Ich...«, versuchte ich mich zu erklären, doch ehe ich auch schon die nächsten Wörter aussprechen konnte, stand er nun vor mir und verschränkte seine muskulösen und teils tätowierten Arme vor der Brust.
Er wirkte mit seinem Körperbau und seinem Ausdruck oft wie ein Bodyguard, wenn nicht sogar wie ein beschissener Türsteher, der alle unwilkommenen Gäste fern hielt.
Genau so fühlte ich mich gerade: nicht willkommen. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände und hätte mich am liebsten hochkant aus dem Haus geschmissen. Es beängstigte mich auf einer gewissen Art und Weise schon.»Wiederhol das nochmal.«, befahl er mit seinem ernsten Ton, den er immer bei bestimmten Themen auflegen konnte. Er wollte mich also provozieren. Okay.
»Was ist daran falsch zu verstehen? Ich bin schwul. Ich steh' auf Schwänze.«, antwortete ich schulterzuckend.
Aber bevor ich alles wirklich realisieren konnte, wurde es schon schwarz vor meinen Augen.
***
Ich verdrehte die Augen, wandt mich von ihm ab und zog meine Kappe aus, die ich bis eben noch auf meinem Kopf sitzen gehabt hatte.
»Mein Vater.«
»Was!?«
Ist er schwerhörig?»Ja, mein Vater.«
Langsam ging ich Richtung Wasser zu Tim.Erst blieb Lukas auf der Stelle stehen, doch dann hörte ich, wie er schnell angelaufen kam und nun neben mir her ging
»Warum zur Hölle tut er dir sowas an?«
Dein ernst?»Warum wohl?«
Lukas sah mich an, öffnete den Mund, als ob er zum Sprechen ansetzen wollte, und schloss ihn darauf wieder.
»Weil ich auf Männer stehe, du Idiot.«
Stille.
Wie ich diese Stille hasste.»Jetzt guck nicht so geschockt. Das weißt du doch, ist immer hin deine Schuld.«
Er hingegen schwieg weiterhin.
Vielleicht hätte ich mich anders ausdrücken sollen.»Lukas?«
Ich blieb auf der Stelle stehen, er tat es mir gleich und sah mich an. Gott, wie ich ihn vermisst hatte. Alles an ihm.»Also...«, ich machte eine Pause, »Ach verdammte Scheiße, ich komm nicht über dich hinweg!«, ich raufte meine Haare mit beiden Händen.
Er starrte mich an, seine Augen weiteten sich.
»Das hätte dir ja früher einfallen können.«
Ich schluckte bei dieser Bemerkung. Aber er hatte recht.»Und mit Begrabschen willst du mich also wieder bekommen? Das ist sexuelle Belästigung! Da drauf stehen sogar selbst die Frauen nicht.«, er lachte ungläubig auf und sah weg.
Ich konnte nichts dafür. Dieses Verlangen, ihn wieder bei mir haben zu wollen, war viel zu groß gewesen, um es zu unterdrücken, dass ich mich selbst nicht beherrschen konnte. Aber das war keine Entschuldigung für mein Verhalten.
»Es tut mir alles so unfassbar Leid, was ich dir angetan habe...«, flüsterte ich schon fast hinterher, in der Hoffnung, dass er mir noch zuhörte.
»Heeeeey, da seid ihr ja endlich!«
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"Three seconds to say I love you, three hours to explain it, and a lifetime to prove it."

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someday / stexpert
FanfictionStegi, in der Geschichte auch Lukas genannt, zieht mit seinem Vater nach Essen, um dort einen Neustart zu wagen. Nach dem Krebstod seiner Mutter und dem Bankrott der Firma seines Vaters lief sein Leben komplett aus dem Ruder und alles schien sich au...