PoV Tim
»Warum hast du mir nichts gesagt?«, fragte ich trocken und ohne jegliche Emotionen. Lukas war mittlerweile schon schlafen, die beiden Frauen saßen draußen auf dem Balkon und tranken einen selbst gemischten Cocktail. Derweilen schauten Nicklas und ich einen Film auf Netflix, welcher eigentlich recht spannend war. Doch meine Gedanken kreisten nur um ein bestimmtes Thema.
»Huh? Wovon sprichst du?«
»Tu nicht so.«, sprach ich meine Gedanken laut aus. »Ich weiß es schon längst.«
Ich konnte ein lautes Schlucken vernehmen. Sein ganzer Körper spannte sich an und auch er konzentrierte sich nicht mehr auf den derzeit laufenden Film.
Wir schwiegen, doch starrten beide weiterhin auf den Bildschirm.
»Ich... Ich kann das erklären!«, unterbrach er die Stille.
»Lukas hat mir alles erzählt.«, ich seufzte hörbar.
Und wieder einmal trat die Stille für ein paar Minuten ein.
»Du hättest einfach was sagen sollen. Wir hätten das klären können.«, meinte ich.
Er nickte stumm.
»Und hör auf, dich an ihn ran zu machen. Ich hab das letztens gesehen, und hatte mir nichts dabei gedacht. Aber bei dem, was Lukas mir heute am Strand erzählte, habe ich jetzt andere Blickwinkel auf das Ganze.«, gab ich zu.
Doch er starrte mich lediglich an.
»Ich hab nichts gegen Schwule. Wirklich nicht. Ich mein, ich bin ja selbst-« Der Rest meiner Antwort ging in dem lauten Gelächter der beiden Frauen unter, die gerade wieder ins Haus gestiefelt kamen. Entweder, er hatte alles mitbekommen, oder er konnte sich denken, was ich am Ende sagen wollte, denn sein Blick verwandelte sich nun in einen ungläubigen, entgeisterten Gesichtsausdruck.
Und auf einmal verspürte ich den Drang, all meine Gefühle laut aussprechen zu wollen, es in die ganze Welt hinaus zu schreien. Ich wollte, dass jeder es wusste.
»Mum?«, fragend sah ich sie an. In meiner Stimme lag etwas Angst und Verzweiflung, doch das war mir in diesem Moment egal.
»Ja, mein Schatz?«, sie lächelte mich an und all meine Sorgen verflogen. Ich wusste, dass sie tolerant gegenüber Andersdenkenden war, dass sie diese akzeptierte. Es waren halt genauso normale Menschen wie jeder andere auch.
»Ich, ehm...«, und trotzdem zögerte ich. Es war ein komisches Gefühl, ihr jetzt davon erzählen zu wollen, auch wenn ich ihr zu hundert Prozent vertrauen konnte und sie liebte. Es war so, als würde ich ein strenges Geheimnis einfach so laut ausplappern. Eigentlich war es das ja auch – mein Geheimnis.
»Ich steh auf Männer.«, sagte ich frei heraus, kniff meine Augen zusammen und hoffte, dass sie mich nicht hochkant rausschmiss, wie mein Vater es getan hätte, auch wenn diese Sorge unbegründet war.
»Ist Lukas dein Freund?«, ich öffnete schlagartig meine Augen und starrte sie sprachlos an. Wie konnte sie das denn jetzt wissen?
»Woher...«
»Ich bin deine Mutter, ich merke so etwas. Außerdem hab ich es gesehen, wie ihr euch anschaut. So verliebt.«, sie zwinkerte mir lächelnd zu. Doch ich saß immer noch mit leicht offenem Mund auf der Couch. Eigentlich hätte ich mir keine bessere Reaktion erhoffen können, doch irgendwie war ich geschockt, wie gut sie war.
»Ich freu mich für dich, Tim.«, sagte sie, nachdem sie sich neben mich gesetzt hatte. Sie schenkte mir ein weiteres Lächeln, welches ich erleichtert annahm. »Ich werde dich immer unterstützen, das weißt du doch. Und ich liebe dich so, wie du bist. Und wenn Lukas dich glücklich macht, dann bin ich das auch.«, sie nahm mich in eine innige Umarmung, bei der ich meine Augen für einen Moment schloss. Dann lösten wir uns wieder voneinander und ich sah zu Nicklas, der seinen Blick in Richtung Treppe gewandt hatte. Auch ich folgte diesem und sah Lukas, welcher müde lächelnd dort oben stand und in meine Augen blickte. Hatte er mein unerwartetes Outing etwa heimlich mitbekommen?
Langsam kam er die Treppe runter und ging auf mich zu. Ich stand auf, sah ihn an. Wie süß er doch war. Als er schließlich vor mir stehen blieb hob er seinen Kopf an, nahm mein Gesicht in seine Hände und zog meines näher, bis seine warmen, weichen Lippen auf den meinen lagen. Ein unbeschreibliches Gefühl überkam mich, als ob dies unser erster Kuss gewesen wäre. Nur fühlte ich mich jetzt freier. Als könnte ich erst jetzt richtig anfangen zu leben. Und der Fakt, dass Menschen dabei zusahen, interessierte mich in diesem Moment überhaupt nicht. Ich legte einfach nur meine Arme um seine Hüfte und zog ihn noch näher an mich heran, als er sowieso schon war.
Nachdem wir uns von einander lösten schoss mir sofort die Röte ins Gesicht und ich musste grinsen. Und für einen kurzen Moment huschte mein Blick zu Nicklas, der sich das Spektakel, ich könnte schon meinen, traurig ansah.
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"Do what you love."
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someday / stexpert
FanfictionStegi, in der Geschichte auch Lukas genannt, zieht mit seinem Vater nach Essen, um dort einen Neustart zu wagen. Nach dem Krebstod seiner Mutter und dem Bankrott der Firma seines Vaters lief sein Leben komplett aus dem Ruder und alles schien sich au...