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PoV Tim

Und so schnell der Urlaub auch begonn, so schnell rückte auch unser letzter Tag in der Villa an. Mittlerweile war es bereits besagter Morgen, die Sonnenstrahlen erhellten langsam den Raum, Stegi schlief immer noch tief und fest und eigentlich wollten wir seit einer halben Stunde aufstehen, um unsere Sachen zu packen. Doch unser Bett war viel zu warm und bequem gewesen. Außerdem umklammerte mein Freund meinen Arm, wodurch ich keine Möglichkeit hatte, mich zu bewegen. Also ließ ich es einfach lächelnd über mich ergehen und genoss es.

Seit meinem Outing waren bereits zwei Tage vergangen, und jeder in diesem Haus verhielt sich mir gegenüber normal. Nicklas hingegen blieb ein wenig auf Abstand, sprach zwar ab und an mit uns, doch es fühlte sich irgendwie erzwungen an. Ehrlich gesagt hatte ich anfangs ein wenig Angst gehabt. Davor, dass sie mich nicht mehr akzeptieren würden, auslachen oder nicht ernst nehmen. Ich wusste ja, dass meine Mum mich immer unterstützte, egal, was ich wollen, oder tun würde. Aber dann blieb noch der Rest meiner Familie und meine Freunde übrig. Ich konnte mir nicht ausmalen, wie sie reagieren würden. Zumal ich ihre Position zu diesem Thema nicht kannte. Doch ich war dem gegenüber optimistisch.

Auf einmal zuckte ich zusammen, als ich laute Klopfer an unserer Zimmertür hörte. Mein Herz fing an zu rasen und ich riss meine Augen auf. Auch bei Lukas schienen die Geräusche nicht unbemerkt zu bleiben. Langsam öffneten sich auch seine Augenlider und er gab ein genervtes Grummeln von sich. Seinen Kopf drehte er nun so, dass er sein Gesicht mitten auf das Kissen drückte.

Dann wurde die Tür geöffnet. Hinein trat meine Mutter, die bei unserem Anblick fast hinweg schmolz. Sie grinste über beide Ohren hinweg und fing erst dann an zu sprechen, als sie sich wieder fangen konnte.

»Ihr Lieben, in einer Stunde wollen wir los, damit wir auch rechtzeitig daheim ankommen.«

Ich nickte ihr lächelnd zu.

»Gleich gibt es Frühstück. Wenn ihr rechtzeitig runter kommt, kriegt ihr noch etwas ab.«, sagte sie lachend mir zuzwinkernd und ging wieder aus unserem Schlafzimmer hinaus.

»Ich will noch nicht aufstehen, geschweige hier weg.«, murmelte Stegi undeutlich in sein Kissen hinein. »Es ist viel zu schön hier.«

Ich musste grinsen.

»Ich geh aber jetzt duschen.«, entgegnete ich ihm. Er drehte daraufhin seinen Kopf in meine Richtung und sah mir tief in die Augen.

»Du kannst mitkommen, oder liegen bleiben. Bleibt allein dir überlassen.«

»Das ist nicht fair!«

Ich lachte nur und stand auf. »Kommst du jetzt?«, fragte ich mit meiner extra tiefen Stimme und sah ihn zugleich auffordernd und wollend an. Ich wusste, dass er dazu nicht nein sagen konnte.

***

»Habt ihr alles Wichtige zusammen gepackt und im Auto?«

Ich nickte.

»Nochmal die Zimmer durchgecheckt?«

Ich nickte erneut.

»Auch ja nichts vergessen?«

»Mum! Wir haben alles!«, sagte ich augenrollend und seufzte. Lukas fing an zu kichern.

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PoV Nicklas

Ich beobachtete von weiter weg, wie die anderen ihr letztes Gepäck in den Kofferraum räumten. Auch wir reisten heute ab, waren jedoch, durch das im Verhältnis wenige Gepäck, schneller fertig gewesen.

Dann sah ich, wie Lukas auf mich zu kam. Sollte ich hinschauen? Ihn ansprechen? Zum Abschied umarmen? Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten und reagieren sollte. Ich fühlte mich irgendwie mies, schuldig und eckelhaft, dass ich ihn einfach angepackt hatte. Das mit Tim hätte ich mir auf die eine oder andere Weise ja denken können.

»Hey.«, begrüßte er mich. Ich lächelte zurück.

»Ich ehm... Wollte mich nochmals entschuldigen.«

Was!?

»Ich hätte das von dir damals nicht verlangen dürfen, dass du dich von jetzt auf gleich outest.«, er schluckte hörbar. »Und dass ich so reagiert hatte, war auch nicht richtig.«, bedrückt sah er weg und kratzte sich am Hinterkopf.

»Ich wollte das nur nochmal gesagt haben.« Anschließend wollte er sich umdrehen und gehen, doch ich hielt ihn am Arm fest. Sofort sah er mir wieder in meine leicht ängstlichen Augen. Ich wollte nicht, dass wir jetzt so auseinander gingen.

»Das, was ich gemacht habe, war auch nicht gerade das Wahre.«, ich ließ seinen Arm langsam wieder los. »Ich fühle mich so scheiße deswegen, so dumm, dass ich die anderen auf dich gehetzt habe. Ich wusste damals nicht, dass-«

»Schon gut.«, er lächelte mich an. Wie ich sein Lächeln doch liebte.

»Ich kann dich einfach nicht vergessen, Lukas. Ich will doch nur, dass es wieder so wie früher wird.«

Kurzes Schweigen. Warum sagte er denn nichts?

»Es tut mir so unendlich Leid.«, ergriff ich nun entschlossen das Wort.

Stegis Blick wanderte zum Boden. »Ist schon gut.« Er atmete einmal tief ein und wieder aus. »Ich habe dir schon längst vergeben. Ich hab es damals als Strafe angesehen, dass ich dir das Herz gebrochen habe.«, er lachte auf. »Und dann war ich anfangs so erleichtert, dass wir weggezogen sind. Doch es hat trotzdem nicht aufgehört. Ich hab es einfach so hingenommen.«

»Du wurdest weiterhin...«, ich stockte.

»Cedric.«, seufzte er.

Das glaubte ich nicht. Mein Cousin war zu diesem Zeitpunkt die einzige Person gewesen, der ich am meisten vertrauen konnte. Ich erzählte ihm alles. Von Lukas, dass wir zusammen waren, er mich hintergangen hatte und nun mit seinem Vater dahin zog, wo Cedric nun wohnte. Und schon schlägt er im nächsten Moment den Menschen zusammen, auf den ich in dieser Zeit den meisten Hass hegte.

»Tut mir Leid.«, bekam ich nur aus mir heraus. War das alles, was ich sagen konnte? Es fühlte sich an, als hätte ich einen fetten Kloß im Hals.

»Lass uns einfach neu anfangen. Das von damals vergessen.«, meinte er nun plötzlich und sah mir tief in die Augen. »Das mit Tim fühlt sich so verdammt richtig an. Und du findest bestimmt irgendwann noch einen netten Kerl, der dich so liebt, wie du bist.«, lächelte er mir aufmunternd zu. Vielleicht hatte er ja recht.

»Lukas, kommst du? Wir wollen los!«, schrie Tims Mutter ihm zu. Ich sah zu Boden.

»Dann... Bis bald.«, zögernd umarmte er mich. So unerwartet er das tat, so schnell ließ er mich auch wieder los. Dann lief er zum Auto und stieg ein.

Seufzend setzte ich mich in das Auto meiner Mutter und schloss hinter mir die Tür.

»Sag mal, das frage ich mich schon die ganze Woche über: Ist das nicht der Lukas? Dein bester Freund von damals?«

Ich nickte.

»Ach Mensch, der hat sich gar nicht verändert.«, sie schwelgte in Erinnerungen.

»Wie klein die Welt doch ist.«

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"Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten." ~Helmut Kohl, 1. Juni 1995, Rede im Bundestag

someday / stexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt