Kapitel 30

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Das alltägliche Geräusch der Eisenstange erfüllte den Raum und ich runzelte meine Stirn. Zum Einen war ich heute trotz meiner vielen Stunden Schlaf extrem müde und zum Anderen wusste ich, dass heute die Zaunbesichtigung anstand. Genervt von diesen zwei Tatsachen stieg ich aus dem Bett und machte mich bereit für den Tag.
Wir versammelten uns schließlich alle an der Abfahrtsstation und schon ging die Reise los. Ich war außerdem ziemlich froh darüber, dass ausschließlich Four uns dorthin begleitete, da Eric nach gestern Abend bestimmt nicht besonders gut auf mich zu sprechen war. Four hielt wieder seine übliche Rede, was die Aufgaben der Zaunbewachung angingen und in welchem Fall wir nach der Initiation dort eingesetzt werden würden. Ich schaltete die ganze Zeit ab und genoss die Ruhe, die wir dort hatten, nachdem wir angekommen waren. Vielleicht hätte ich mich doch lieber hier einsetzen lassen. Mein Leben wäre auf jeden Fall um einiges leichter und unkomplizierter. Ich würde Eric nur noch zu bestimmten Zeiten im Hauptquartier über den Weg laufen und könnte eine wundervolle Beziehung mit Paul führen. Doch ich würde wahrscheinlich während der Arbeit einschlafen beziehungsweise würden meine Beine bei den vielen Steh-Stunden bestimmt irgendwann abfallen. Ich beobachtete die Anderen und sah, dass keiner so richtig von der Arbeit hier begeistert war. Ist ja auch irgendwo logisch, da man hier ja nur landen würde, wenn man unter die letzten fünf kommt. Jedoch fand ich die Konkurrenz dieses Jahr bisher deutlich stärker als bei uns, aber erst einmal abwarten bis wir in Phase zwei übergehen. Dort schaufeln sich nämlich die meisten Leute ihr Grab. Als es dann endlich wieder zurückging, rief Four uns nach dem Ausstieg zu: ,,Ihr habt jetzt eine Stunde Mittagspause. Kommt danach sofort in die Trainingshalle!"
Ich setzte mich während des Mittagessens mit zu Tris und Co. , doch ich hatte keinerlei Lust mich an ihrem Gespräch zu beteiligen. Heute war irgendwie ein grauer Tag und ich wusste nicht warum ich mich so grausam fühlte.
Hatte ich etwa Schuldgefühle? Hatte Izzy etwa Recht und meine Gefühle für Eric waren wieder da? Nutzte ich Paul vielleicht wirklich nur als eine kleine Ablenkung? Ich wusste es nicht und ehrlich gesagt wollte ich es auch nicht herausfinden.
Als wir in die Trainingshalle kamen, sah ich schon die Pappaufsteller und ich wusste was anstand: Messerwerfen. Endlich! Der Tag würde doch noch einen Sinn machen. Zu Beginn erhielten wie wieder eine kleine Einführung beziehungsweise Showeinlage von Four, bevor jeder seinen Platz zugewiesen bekam. Diesmal würde ich mich nicht absichtlich dumm anstellen. Am Ende würde mein Platz sowieso aus der Wertung gezogen werden und der Nächstbeste nachrücken, deshalb war es mir gerade absolut egal. Ich hatte so viel Wut in mir angestaut, die hinausgelassen werden musste und dafür bot sich das Messerwerfen nun einmal optimal an. Neben mir stand Tris und ich stellte fest, dass sie das ziemlich gut konnte. Das war gut! So konnte sie wenigstens hier ein paar Punkte sammeln, wenn es mit den Kämpfen nicht immer so gut lief. Ich traf alle Messer direkt in den aufgezeichneten Kreis und stellte mir dabei Erics Gesicht vor. Hoffentlich konnte man meine Wut nicht in meinem Gesichtsausdruck erkennen.
,,Pass bloß auf, dass du die Messer nicht gleich direkt auf ihn wirfst." , flüsterte mir Four zu und lächelte dabei. Ich blickte ihn an: ,,Keine Sorge, noch ist es nicht so weit." - ,,Noch."
Ich wollte gerade mein nächstes Messer-Set werfen, als ich eine kleine Auseinandersetzung zwischen Eric und Al mitbekam.
,,Das war ja erbärmlich." - ,,Es ist mir aus der Hand gerutscht." - ,,Dann hol's wieder!" - ,,Während die Anderen werfen?" - ,,Hast du etwa Angst?" - ,,In ein fliegendes Messer zu laufen? Ja!" - ,, Alle mal aufhören!"
Wir stoppten sofort und ich hatte Angst wie das Ganze weitergehen würde. Eric blickte ihm gefühlskalt in die Augen und sagte: ,,Stell dich vor das Ziel."
Al schluckte daraufhin schwer und machte sich aber nichtsdestotrotz auf den Weg. Dann wandte sich Eric an Four: ,,Four, hilf mir mal."
Ich sah, dass Four darauf überhaupt keine Lust hatte und außerdem zeigte Eric in diesem Moment wieder, dass er die Befehlsgewalt über ihn hatte. Dann fuhr er fort: ,,Du wirst da stehen bleiben, während er die Messer wirft. Und wenn du auch nur mit der Wimper zuckst, bist du raus. Eins werdet ihr hier lernen: über Befehle wird nicht diskutiert!"
Ich verdrehte die Augen. Wow und der Award für den Obermacker des Jahres geht an unseren Titelverteidiger Eric - herzlichen Glückwunsch. Wie konnte ich nur jemals irgendwelche romantischen Gefühle ihm gegenüber haben? Er war eigentlich genau die Verkörperung von allem, was ich hasste und das Schlimmste daran war, dass er mich mit seiner skrupellosen Art an meine Mutter erinnerte. Damit wäre wieder bewiesen - einmal ein Ken immer ein Ken.
Four nahm schließlich die Messer in die Hand und Eric trat zur Seite. In diesem Moment traf sein Blick den meinen und es war so viel Hass und Verachtung darin, dass ich eine Gänsehaut bekam. Was war das nur zwischen uns? Warum reagierte er jedes Mal so empfindlich auf meine Meinung? Doch das Schlimmste daran war, warum zerbrach ich mir schon den ganzen Tag den Kopf darüber?
Four wollte gerade loslegen, als Tris neben mir rief: ,,Stopp! Jeder kann sich vor ein Ziel stellen. Das beweist gar nichts!"
Eric lächelte sie erstaunt an: ,,Dann fällt es dir ja bestimmt nicht schwer seinen Platz einzunehmen."
Mit starken und schnellen Schritten bewegte sich Tris auf das Ziel zu und drehte sich um. Oh man, das könnte jetzt ganz böse ausgehen. Ich hoffte, dass Four absolut treffsicher war und ihr kein Leid zufügen wollte. Dann ging es schon los und das erste Messer landete links unten auf Hüfthöhe und ich merkte erst in diesem Moment wie angespannt ich war. Eric sagte daraufhin: ,,Oh, komm schon Four."
Doch dieser blickte nur nach unten und biss sich angespannt auf die Unterlippe. Das zweite Messer stach dann rechts neben ihrem Kopf in die Wand.
,,Das geht doch sicher noch etwas näher." - ,,Wie wär's mit 'ner neuen Frisur?" - ,,Ja, etwas kürzer könnte nicht schaden."
Schön, dass die beiden noch ihre Scherze darüber machen konnten. Das vorletzte Messer landete über ihrem Kopf und das Letzte ging haarscharf an ihrem rechten Ohr vorbei bevor es in die Wand stecken blieb. Ich sah, dass sie blutete und konnte es nicht fassen. Was waren das nur für barbarische Methoden? Eric wandte sich nun an Tris: ,,Punkte für Tapferkeit, Stiff. Aber nicht so viele wie du für dein loses Mundwerk verloren hast. Du solltest dich vorsehen. Wir bilden Soldaten aus, keine Rebellen."
Sein Blick ging ruckartig zu mir und versuchte das nicht an mich herankommen zu lassen und ruhig zu bleiben.
,,Ok, wir sind fertig für heute. Raus jetzt!"
Sie drehten sich alle rum und gingen hinaus. Nur Four und Tris blieben noch kurz zurück. Da ich meine Wut nicht länger im Zaum halten konnte, nahm ich mir zwei Messer und ging Eric hinterher. Er schien es gar nicht mitzubekommen, dass ich ihn verfolgte und als sich keiner mehr vor oder hinter ihm und mir befand, stellte ich mich in Position, zielte und warf das erste Messer haarscharf an seinem Kopf vorbei. Es blieb direkt in seiner Zimmertür stecken. Er zuckte zusammen und drehte sich wütend um: ,,Spinnst du?!"
Doch ich zuckte nur mit den Schulter und ließ das nächste Messer an ihm vorbei rasen. Diesmal musste er jedoch ein klein wenig ausweichen, da ich ihn sonst erwischt hätte. Dann lächelte ich ihn an: ,,Du hast gezuckt. Jetzt bist du wohl raus."
Er verdrehte die Augen, kam wütend auf mich zu, griff mich am Oberarm und zog mich in sein Apartment hinein. Dann schrie er mich an: ,,Was sollte das?!" - ,,Ich weiß nicht. Ich dachte das sind jetzt so die üblichen Methoden bei den Ferox ." - ,,Das gibt dir noch lange nicht das Recht willkürlich auf andere Messer zu werfen!" - ,,Es war nicht willkürlich.Du warst ganz klar mein Ziel." - ,,Was denkst du, was Max davon halten wird, wenn ich ihm von deinem kleinen Ausraster erzähle, hm?" - ,,Mach doch! Ist mir egal! Ihr verarscht mich doch eh alle von vorne bis hinten!" - ,,Was meinst du?"
Ich zögerte und atmete tief ein und aus. Konnte ich Eric wirklich davon erzählen?
,,Es gibt halt einfach bestimmte Sachen, die hier stattfinden, die mich zweifeln lassen." 
Nun wurde er plötzlich ganz ernst: ,,Raus damit, was weißt du?" - ,,Gar nichts." - ,,Lüg mich nicht an!" - ,,Es hat dich nun mal nicht zu interessieren, ok?"
Ich stürmte an ihm vorbei und sagte noch abschließend: ,,Du kannst Max gerne ausrichten, dass ich mich betrogen fühle und sie mich nicht unterschätzen sollten. Ich werde eine Anführerin sein, ob es euch gefällt oder nicht. Spätestens dann werdet ihr mir alles sagen müssen!"
Er sah nur nach unten, machte hinter sich die Tür zu und nahm urplötzlich mein Gesicht in seine Hände und küsste mich. Die Emotionen waren sofort wieder da und ich küsste ihn zurück. Als wir uns wieder voneinander lösten, wurde mir erst einmal klar, was hier gerade geschehen war und ich meine Augen weiteten sich.
,,Nein! Stopp! Du weißt es genauso gut wie ich. Du hast eine Freundin und ich habe Paul. Wir können nicht zusammen sein. Das funktioniert nicht."
Er lächelte nur, küsste mich auf die Wange und verschwand wortlos in seine Wohnung.
Was zur Hölle war hier gerade geschehen? Er küsst mich und lässt mich dann auf dem Gang stehen. Was sollte das jetzt wieder?
Aber eines hatte mir dieser Kuss gezeigt, nämlich dass ich dringend mit Paul reden musste. Gefühle für Eric hin oder her, er hatte die Wahrheit verdient.

Not alone  [Divergent/Eric FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt