Kalter Rauch

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Dave ist bereits wach.

Als sie in die Küche kommt, ist er dort damit beschäftigt, Kaffeepulver in die Bialetti zu füllen und auf den Herd zu stellen.
"Da bist du ja. Na, hast du dir wieder mit ein paar Freunden die Nacht um die Ohren geschlagen?" Er haucht ihr einen Kuss auf die Wange. Sein Atem riecht nach Bier und Zahnpasta.
Die Luft in der Küche ist vom kalten Rauch und Alkohol ganz schwer.
Emma geht zum Fenster und öffnet es einmal komplett. Sie hofft so, die markanten Spuren der letzten Nacht zu vertreiben. Draußen fängt es schon wieder an zu regnen.
Dave ist unterdessen im Badezimmer verschwunden.
Als sie ins Wohnzimmer geht, entfährt ihr ein leiser Seufzer.
Stumm geht sie in die Abstellkammer, um Eimer und Lappen zu holen, mit denen sie die klare Flüssigkeit vom alten Dielenboden entfernen möchte, die sich dort über eine Fläche von ca 1qm ausgebreitet hatte. Das Holz war schon teilweise damit vollgesogen.
Dies ist seit einer gefühlten Ewigkeit eines der ungeliebten Rituale, das sie nach so einer Nacht durchführen muss. Sie hasst es...nein, es widert sie an.
Gerade als sie auf allen Vieren über den Boden robbt, kommt Dave aus dem Bad. Er bleibt in der Tür stehen und beobachtet sie bei ihrem Tun.
"Oh nein Emma, war ich das wieder? Es tut mir leid. "
Sie dreht sich zu ihm um und nickt stumm.
Er kratzt sich am Hinterkopf, als wäre es ihm unangenehm. Sie kauft ihm sein Verhalten nicht ab. Zu oft ist dies hier schon passiert, aber er sieht keinen Anlass, etwas zu ändern.
Ohne noch irgendwas zu seiner Verteidigung zu sagen, geht er in die Küche.
Sie weiß, dass er jetzt in Ruhe seinen Kaffee trinkt, eine raucht und irgendein dämliches Spiel auf seinem Handy zockt, während sie damit beschäftigt ist, seine Körperflüssigkeiten vom Boden zu wischen.
In ihr steigt wieder unbändige Wut auf und erneut fragt sie sich, wofür das alles.
Die Geschehnisse der letzten Jahre hatten sie verändert, beziehungsweise hatten die Beziehung zwischen ihr und Dave verändert. Aus Liebe war Gewohnheit geworden, man lebte nebeneinander her. Außer flüchtigen Küssen zeigte er seine Zuneidung nicht, wenn da überhaupt noch sowas wie Zuneigung war. Emma glaubte inzwischen, dass er das tat, weil er sich dazu verpflichtet fühlt. Er brauchte sie und zwar vielmehr, als er sich immer eingestand. Sie war dafür zuständig, die Fassade intakt zu halten. Dazu war er nämlich schon lange nicht mehr in der Lage. In den letzten Wochen sind die Risse größer geworden und die Fassade fing gewaltig an zu bröckeln. Er hielt jedoch weiter daran fest, nach außen die schöne heile Welt vorzuspielen. Schließlich stand für ihn vielmehr auf dem Spiel, als für sie...

 Schließlich stand für ihn vielmehr auf dem Spiel, als für sie

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Kurz überlegt sie, ob sie es wirklich schon wieder tun sollte.
Seitdem sie vor zwei Wochen von Paddy im Treppenhaus aufgefunden wurde, wäre es bereits das 4.mal, dass sie bei ihm klingelt.
Schließlich überwindet sie sich und drückt den kleinen runden Knopf. Erst jetzt bemerkt sie, dass dort noch kein Nammensschild angebracht ist.
Als er die Tür öffnet schaut er sofort in ihre verweinten Augen. Ohne etwas zu sagen oder zu fragen öffnet er den Türspalt so weit, dass sie zu ihm in die Wohnung schlüpfen kann.

Sie sitzt wieder auf dem grünen Sofa und lässt ihre Tränen trocknen.
Inzwischen hatte sie dieses Möbelstück äußerst lieb gewonnen.
Es war ihr Zufluchtsort,  ihre rettende Insel.
Paddy stellte wie immer keine Fragen.
Er kocht ihr einen Tee und setzt sich mit einem Buch neben sie.

C.S. Lewis
-
The Screwtape Letters

Emma kannte die Chroniken von Narnia, dieser Titel, den Paddy da gerade las, war ihr jedoch gänzlich unbekannt.
Er war total in das Buch vertieft.
Sie war froh, dass er immer bei ihr blieb, aber keine Fragen stellte. Er versorgte sie mit neuem Tee, einer Kleinigkeit zu Essen oder bewachte ihren unruhigen Schlaf. Am nächsten Morgen verließ sie dann immer ohne eine Erklärung die Wohnung und ließ ihn gegebenenfalls mit vielen Fragen zurück.
Emma wusste, dass sie ihm irgendwann von ihrem Geheimnis erzählen würde, noch war sie jedoch nicht bereit dazu.

Paddy schmunzelte. Anscheinend war er gerade an einer lustigen Stelle im Buch angekommen.
Um seine Augen bildeten sich kleine Lachfältchen, Emma empfand diese als äußerst hübsch. Im allgemeinen fand sie, dass er sehr gutaussehend war, wenn nicht sogar makellos.
Sein Profil war schön anzusehen, seine Nase, die Form seiner Augen...alles wirkte so perfekt auf sie.
Seine Lippen waren etwas schmal, fügten sich aber hervorragend in das makellose Gesicht ein. Er war lediglich etwas kleiner als die meisten Männer.
Paddy sah plötzlich von seinem Buch auf. Ihre Blicke trafen sich. Er lächelte sie an.
"Alles okay?" fragte er schließlich.
Sie nickte.
"Kann ich irgendwas für dich tun?" er legte das Buch zur Seite und wendet sich ihr komplett zu.
"Nein danke, Tee ist völlig ausreichend." Sie lächelt ihn an.
"Paddy, darf ich dich etwas fragen?"
Er nickt. "Kommt auf die Frage an?"
Emma zögert noch kurz und nimmt schließlich ihren Mut zusammen.
"Was machst du eigentlich? Ich meine, du schlägst dir hier mit mir die  Nächte um die Ohren, ohne Schlaf. Gibt es keinen Arbeitgeber, dem du dich regelmäßig erklären musst, wenn du mal wieder übermüdet erscheinst?"
Paddy lauscht ihren Worten aufmerksam und fixiert sie mit seinem Blick.
"Nun ja, nicht nur du hast deine Geheimnisse, nicht wahr?" er grinst sie an.
Emma kommt sich augenblicklich total dumm vor. Wie konnte sie nur glauben, dass er ihr etwas persönliches von sich erzählt, während sie sich in Schweigen hüllt. Doch ehe sie ihre negativen Gedanken   fortsetzen kann, redet Paddy weiter.
"Ich kann dir aber gerne erzählen was ich mache. Aktuell würde ich es mit Dies & Das bezeichnen. Ich versuche ein paar Projekte zu verwirklichen und meinen Platz in dieser Welt wiederzufinden."

Seinen Platz in dieser Welt wiederzufinden? Die Worte hallen in Emmas Kopf nach. Was meint er nur damit?

"Ich überlege mich einer christlichen Künstlerkommune vor den Toren Dresdens anzuschließen. Deswegen hat es mich überhaupt hierher verschlagen. Die meiste Zeit bin ich dort, hänge mit den Leuten ab und mache Musik oder philosophiere über das Leben. Es gibt dort niemanden, der zu einer bestimmten Zeit auf mich wartet. Ich bin in meiner Alltagsgestaltung also sehr flexibel."
Er lächelt sie an.
"Meinst du das große Schloß mit der Künstlerkommune?" fragt Emma nach.
"Ja, genau. Kennst du es?" Er schaut sie fragend an.
"Kennen ist zuviel gesagt. Durch meine Tätigkeit hatte ich aber schon den ein oder anderen Berührungspunkt mit der Kommune dort. Außerdem ist ein Freund von mir regelmäßig dort im Tonstudio anzutreffen. Er ist Tontechniker "
Paddy überlegt kurz.
"Meinst du Jork?"
Emma lacht. "Ja genau, sag bloß, du kennst ihn?"
"Klar kenne ich ihn. Wir haben in den letzten Wochen gemeinsam an ein paar Songs getüftelt." Paddys Augen beginnen zu strahlen, als er davon erzählt.
"Und, hast du schon eine Entscheidung gefällt?" möchte sie wissen.
"Welche Entscheidung?" Paddy runzelt die Stirn.
"Na, ob du dort leben willst?" hakt Emma nach.
"Achso..., das weiß ich noch nicht. Entscheidungen fällen ist nicht so mein Ding,  musst du wissen." Er fährt sich mit Daumen und Zeigefinger über die Nase.
Ein Angewohnheit, die Emma die letzte Male schon aufgefallen war und die sie als niedlich empfindet.
Wenn man das über einen erwachsenen Mann überhaupt so sagen kann.
"Ich finde es hier in der Wohnung eigentlich auch ganz schön, musst du wissen. Außerdem sind die Nachbarn sehr nett." Er lächelt sie an.
Emma errötet als er das sagt.

Als sie seine Wohnung nach dieser Nacht wieder verlässt, hat sie das Gefühl, den Mann hinter diesem makellosen Gesicht besser kennengelernt zu haben.
Eine Frage ging ihr jedoch die ganze Zeit nicht aus dem Kopf :
Wie finanzierte er sich dieses Leben?


Von Allem Ein BisschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt