Nervös trommelt Emma mit ihren Fingern auf dem Küchentisch herum.
12.14 Uhr, Paddy verspätet sich, oder hat er das Mittagessen mit ihr vielleicht vergessen?
Hat sie sich missverständlich ausgedrückt?
Emma ist völlig unsicher.
Sie zerbricht sich den Kopf darüber, ob sie drüben bei Paddy klingeln soll, oder nicht, während auf dem Herd eine leckere Kürbissuppe, mit Kokosmilch und frischem Ingwer vor sich hinköchelt.
Gerade als sie dabei ist das selbst gebackene noch leicht warme Baguette in Scheiben zu schneiden, klingelt es an der Wohnungtür.
Vor ihr steht ein völlig zerknautscher Paddy mit Struppelfrisur. Die Spuren seines Kopfkissens zeichnen sich noch deutlich auf seiner linken Gesichtshäfte ab.
"Sorry Emma, ich habe verschlafen."
Verschlafen? Emma muss sich zusammenreißen, damit sie nicht laut loslacht, bis ihr einfällt, dass Paddy ja gerne mal die Nacht zum Tag macht und das nicht nur, wenn sie mal wieder Zuflucht bei ihm sucht.
Müde schlurft Paddy hinter ihr in die Küche.
"Hast du das etwa selbst gebacken?"
Paddy deutet auf den Brotkorb auf dem Küchentisch.
Emma nickt. "Ja, natürlich, zu selbst gemachter Kürbissuppe ist das ein Muss."Stumm löffeln beide in ihrer Suppe. Emma wird bewusst, dass dies das erste Mal ist, dass sie sich Treffen, ohne dass sie sich in einer Notlage befindet.
Sie würde zu gern das Wort ergreifen, doch irgendwie hat sie keine schlaue Idee für einen Gesprächseinstieg. In ihrem Kopf bilden sich Sätze, die sie dann doch wieder innerlich verwirft, weil sie zu langweilig oder einfallslos für ein lockeres Gespräch sind.
Als sie zur Schüssel mit den gerösteten Kürbiskernen greifen will, tut Paddy es ihr gleich und für den Bruchteil einer Sekunde berühren sich ihre Fingerspitzen.
Emmas Fingerkuppen durchfahren tausend kleine Blitze. Schnell zieht sie die Hand zurück in ihren Schoß, raus aus Paddys Sichtweite, als ob er sehen könnte, was diese Berührung gerade in ihr ausgelöst hat.Emma schämt sich dafür, was diese klitzekleine Berührung mit ihr macht, die kaum länger war, als der Flügelschlag eines Schmetterlings.
Paddy schiebt vorsichtig die Schüssel mit den Kernen zu ihr rüber und lächelt sie an.
"Ladys first."
Emma errötet, als er das sagt.
Schnell schüttet sie sich vor Nervosität fast die Hälfte der Schale über ihre Suppe und löffelt unbeirrt weiter, als wäre das volle Absicht von ihr gewesen. Emma, reiß dich zusammen, denkt sie sich. Sie kann sich überhaupt nicht erklären, was auf einmal mit ihr los ist.
Paddy streut sich eine handvoll über den Teller.
"Emma, das ist köstlich. Ich liebe Suppen und vorallem Kürbissuppe. Du hättest dir aber nicht soviel Mühe machen brauchen. Eine Dose Ravioli hätte es auch getan."
Er grinst verschmitzt.
Emma schüttelt energisch den Kopf.
"Das würde bei mir gar nicht in die Tüte kommen. Für Gäste wird immer gekocht."Emma spürt, wie sich die Nervosität von eben allmählich verflüchtigt.
Sie und Paddy fangen ein lockeres Gespräch an. Er erzählt von der Künstlerkommune und von seiner kleinen Schwester Maite, die gerade zu Besuch ist.
Irgendwann nimmt Emma all ihren Mut zusammen und richtet ihr Wort an Paddy.
"Iiiich...iiiich... habe dich im Fernsehen gesehen...in der Talkshow."
Die Worte kommen alles andere als leicht über ihre Lippen.
"Oh.." mehr sagt Paddy nicht dazu. Er schaut Emma an, als wolle er in ihren Gedanken lesen."Warum hast du mir nicht erzählt, wer du bist?" sie redet einfach weiter, um keine unangenehme Stille entstehen zu lassen.
"Du hast mich nicht gefragt." Paddys Augen funkeln sie an und ein leichtes Lächeln huscht über seine Lippen. Emma würde zu gern wissen, was er gerade denkt.
"Doch habe ich." stellt sie klar.
"Nein, du hast gefragt, was ich den ganzen Tag mache, aber du wolltest nie wissen, wer ich bin."
Er hat Recht, Emma errötet mal wieder, als ihr das bewusst wird.
"Aaaaa...ber..., ich hätte wissen müssen wer du bist." stammelt sie schließlich hervor.
"Warum denn?" Paddy schaut sie fragend an. "Was hätte es für einen Unterschied gemacht, wenn ich gesagt hätte, wer ich bin?"Emma erwidert seinen Blick
"Ich hätte dir vielleicht nicht deine kostbare Zeit mit meinen Besuchen geklaut. Ich mein, du musst doch wahnsinnig viel zu tun haben und ich belagere dich Nacht für Nacht in deiner Wohnung."
"Emma, das ist doch absoluter Quatsch..." er greift nach ihrer Hand und streichelt ihr sanft über den Handrücken.Blitze.Blitze.Viele kleine, klitzekleine tausende Blitze durchfahren diesmal ihre ganze Hand.
"Du warst in einer Notsituation. Meine Eltern haben mir beigebracht, dass man Menschen helfen soll, die Hilfe benötigen. Das habe ich bei dir gemacht. Was spielt das da für eine Rolle, wer ich bin, oder wer ich mal war?"
"Wer du mal warst?" Emma schaut ihn fragend an.
"Ja, den viel beschäftigten Paddy, den du gerade in deinem Kopf hast, gibt es seit über sechs Jahren nicht mehr. Wenn du das Interview verfolgt hast, dürfte dir ja nicht entgangen sein, dass ich jetzt ein neues Leben führe. Abseits von Ruhm und Bühne.
Ich war in einem Kloster. Jetzt muss ich erstmal wieder in dieser Welt hier ankommen und ich freue mich über jede Abwechslung die ich haben kann und sei es nur, meine Nachbarin vorm kalten Treppenhaus zu bewahren."
Er lächelt sie an.
Emma nickt. "Ich meine ja nur, ich will keine Last für dich sein..."
Paddy streicht weiterhin über ihren Handrücken.
"Emma, du bist keine Last für mich. Das ist absoluter Quatsch. Ich möchte, dass du auch weiter zu mir kommst, wenn du glaubst, dass du Zuflucht brauchst. Versprichst du mir das?"Emma nickt erneut und spürt, wie ihre Hand in Paddys Hand ganz nass wird. Sie hasst das. Immer wenn sie nervös ist, fangen ihr Hände an zu schwitzen.
Hastig zieht sie ihr Hand zurück und versucht sie unbemerkt an ihren Oberschenkel abzuwischen.
Paddy schreckt kurz zurück. Er schaut sie völlig verunsichert an.
"Oh Entschuldigung, das wollte ich nicht. Ich wollte dir nicht so nahe kommen. Das ist so eine dumme Angewohnheit von mir, dass ich Menschen, bei denen ich mich wohl fühle immer irgendwie anfassen muss."
Emma ist es etwas unangenehm, dass Paddy sich ihretwegen gerade um Kopf und Kragen redet und versucht sich zu erklären.
Sie empfindet das komplette Gegenteil. Emma möchte allerdings auch nicht zugeben, was seine zaghaften Berührungen und seine Worte in ihr ausgelöst haben.
Er tut ihr fast ein bisschen leid, so wie er jetzt da sitzt während seine Wangen leicht rötlich schimmern, fast wie bei dem Kind auf der Brandt-Zwieback- Packung.
Schnell ist ein anderes Thema gefunden und rettet die Situation.
Emma erzählt von ihren aktuellen Planungen für den Weihnachtsmarkt und berichtet Paddy, wie toll sie es findet, dass sie größtenteils Zuhause arbeiten kann.Gegen 16Uhr macht sich Paddy auf den Weg. Er trifft sich noch mit Maite in der Innenstadt.
Die letzten Stunden sind wie im Flug vergangen, nachdem sie die unangenehme Situation von vorhin noch umschiffen konnten."Es war sehr schön und sehr lecker, Emma. Danke.
Emma und Paddy stehen sich im Flur gegenüber und schauen sich an.
"Bis bald." bringt Emma schüchtern hervor. "Ich fand es auch sehr schön. Vielleicht können wir das irgendwann wiederholen.""Sehr gern." Paddy schenkt ihr noch sein strahlendstes Lächeln, bevor er schließlich ins Treppenhaus verschwindet.
DU LIEST GERADE
Von Allem Ein Bisschen
FanfictionEmma wohnt mit ihrem Freund in einer wunderschönen Altbauwohnung in der Dresdner Neustadt. Nach außen scheint alles so perfekt. Eines Tages findet der neue Nachbar Emma in Tränen aufgelöst im Treppenhaus und die Fassade droht zu bröckeln...