Kapitel 22

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Und bevor ich widersprechen konnte, hatte er, Harry Styles, Band-Mitglied von One Direction, weltberühmt, sich zu mir runter gebeugt und seine Lippen auf meine gelegt.
Der Traum jedes Mädchens und jeder angehenden Frau. Der Albtraum von mir, Avery Miller.
Liebe. Was war das?

Er hatte seine Augen geschlossen, denn ich hatte meine offen und konnte somit alles genau sehen. Und ich war sichtlich geschockt. Ich war in Panik. Ich konnte mit so etwas nicht umgehen. Nicht mehr.

Er bewegte seine Lippen nicht. Er blieb anscheinend vorsichtig. Kurz wurde ich zurück geschleudert in einen Bündel von Erinnerungen, den ich eigentlich schon längst verdrängt hatte. Zumindest dachte ich das ...

Lippen berührten meine Schultern und wanderten weiter hinunter. Weinend schrie ich auf. Ich wusste nicht, dass man so viel Ekel und Abschaum empfinden konnte. Doch seit jetzt sollte ich es besser wissen. Mit voller Wucht wird mir auf meine Wange geschlagen, und daraufhin mein Mund zu gedrückt.

„Schrei noch einmal, und es wird schlimmer!" Die Hand wurde weg genommen und zwei graue Augen warteten. Meine Handgelenke packte er, so dass ich ein Wimmern nicht unterdrücken konnte. Das kassierte mir ein Verdrehen meiner Handgelenke. Es war so schlimm, ich konnte nicht verhindern, nochmal los zu schreien. Es war die Hölle.


„Verstanden?!", flüsterte er nun und ließ seine Hände an meinen Arm herum wandern.

„Na also. Und jetzt Schnauze halten.", murmelte mir jemand in mein Ohr, an welchem daraufhin geknabbert wurde. Tränen flossen mir an meinen Wangen hinab und ich konnte hören, wie jemand den Reißverschluss an seiner Hose öffnete.


Ein Wimmern entfuhr mir und ich spürte immer noch seine Lippen. Deswegen war es das Erstbeste, was mir, um ehrlich zu sein einfiel ...

„Au!" Wimmernd drehte Harry sich von mir weg, und ballte seine Hand zu einer Faust zusammen.

Ich hingegen sah ihn mit großen Augen an und schnappte nach Luft. Verzweifelt fasste ich mir an meine eigene Lippen und versuchte das Kribbeln zu ignorieren, was mir unbekannt war.

Hatte er mich grade wirklich geküsst? Und hatte ich ihn gerade wirklich gebissen?!

„Oh mein Gott! Was zur Hölle fällt dir ein, Harry Styles?", entwich es mir in einem viel zu hohen Tonfall, den ich nicht unter Kontrolle hatte. Entgeistert starrte ich ihn an, während er sich noch mit dem Rücken zu mir drehte.

Was sollte ich tun? Sollte ich jetzt schauen, ob es ihm gut geht und damit meinen Schatten überwinden? Oder es einfach sein Lassen und Verschwinden? Herzen gegen Kopf. Ersteres sagte mir mein Herz, Zweites sagte mir mein Verstand.
Leise ging ich rückwärts, in der Hoffnung, er würde mich nicht hören. Nachdem ich mir sicher war, drehte ich mich um.

„Meinst du, wenn du ständig weg rennst, entkommst du damit deinen Problemen?"

Ich blieb stehen und schloss wimmernd meine Augen. Warum? Warum ich?

Ich hatte das alles hinter mir, wollte es nicht erneut angehen. Ich hatte mir meine Mauer gebaut, die unzerbrechlich war.
Das glückliche Mädchen war vor der Mauer, so dass fast niemand in das Innere der Mauer hinein gucken konnte.
Und er? Fing an, die unzerbrechliche Mauer zerbrechlich zu machen.

„Du ... du begehst einen Fehler. Glaub mir.", flüsterte ich und war mir eigentlich sicher, dass er es nicht gehört hatte.

„Du auch. Indem vor deinen Problemen weg läufst. Ich hab zwar keine Ahnung, was dein Problem ist, aber ... du läufst davor weg."

Etwas neugierig von seinen Worten, drehte ich kurz mein Gesicht Richtung seinem Gesicht.
Der arme Kerl stand da, wie ein begossener Pudel und hielt noch seine eine Hand über seine Lippe.

„Avery, ich mag dich wirklich. Lass mich dich kennenlernen, bitte.", sprach er weiter, als er meine Aufmerksamkeit hatte und wurde zu Satzende immer leiser.

Langsam spürte ich, wie die Tränen sich ihren Weg bannten. Und zum zweiten Mal, musste ich feststellen, dass ich schon wieder weinte. Kein einziges Mal ist es mir auch nur in den Sinn gekommen, seit dem Absturz zu weinen.
Und jetzt sorgte er innerhalb zwei mal in einer Stunde dafür, dass ich weinte. Warum machte er das? Und wie machte er das?

„Du könntest es ändern. Ich weiß genau, dass du es willst, aber irgendetwas stimmt dich immer um.", sagte er und ich sah, wie er in meine Richtung zu lief.

Die Tränen wurden schlimmer und ich musste mir ernsthaft ein Schluchzen unterdrücken. Schnell drehte ich mein Gesicht wieder von Harry weg.

„Was ist nur los mit mir?", murmelte ich mir selbst zu und versuchte das alles zu unterdrücken.
Ich redete mir ein, dass das sich alles zusammen gestaut hatte. Ich musste weg. Weg von ihm.

„Oh nein. Du rennst nicht weiter weg." Ich spürte seine raue Hand an meiner Schulter und diesmal konnte ich es nicht zurück halten. Leise fing ich an zu schluchzen und guckte zu Boden. Er macht alles nur noch schlimmer.

„Ich werde es schon herausfinden.", hauchte er in mein Ohr.

Meine Verzweiflung fing sich an wieder in Panik und Wut zu verwandeln. Mein Schluchzen wurde unaufhaltsam und ich ballte meine Fäuste. Woher nahm er sich das Recht?

„Entweder du lässt mich los, oder" – „Oder was? Zeig es mir Avery. Zeig mir dein wahres Gesicht. Was würdest du machen?"

Und er hatte Recht. Würde ich es jetzt zu lassen, würde ich es ihm zeigen. Würde meine Verzweiflung an ihm aus lassen. Meine Wut. Meine Panik. Meine Ängste. Doch das wollte ich nicht. Ich würde damit meine eigene Mauer kaputt machen.
Meine Mauer, die ich mit jedem Tag aufgebaut hatte.

Mit einer geschmeidigen Bewegung hatte ich mich aus seinem Griff befreit und drehte mich zu ihm um.
Schnell strich ich mir über mein nasses Gesicht, in der Hoffnung, man würde die Tränen nicht allzu arg sehen. Harrys Gesicht wurde daraufhin weicher und sein Daumen näherte sich wieder meinem Gesicht. Keuchend zuckte ich zusammen, als er mir eine Träne weg wischte, die sich ihren Weg nach unten gebannt hatte. Vorsichtig wartete er darauf, dass ich ihn weg stieß.

Was sollte ich nur machen? Ich konnte es nicht. Nicht vor ihm. Nicht jetzt.

„Hey, Leute." Ich seufzte erleichtert auf.

„Louis? Zayn?", fragte Harry wütend, anscheinend darüber, dass sie ihn gerade unterbrachen.

„Ja, sieht danach aus.", schrie Louis und ich spürte, dass sie auf uns zukamen.
Ich ging langsam rückwärts und Harry sah mich warnend an. Ich wollte nicht, dass mich Zayn und Louis auch noch so sahen.

„Warum seid ihr denn hier?" Neugierig betrachtete Harry die beiden und ich richtete meinen Blick nach unten, als sie neben uns standen.

„Spazieren. Seit dem Feuer lagen wir nur herum. Aber ich vermute, dass das für heute schon echt reicht.", erklärte Zayn.
Das Feuer! Was war damit überhaupt? Wie ging es Hope? Ich musste sie sprechen. Jetzt!
In einem Zug drehte ich mich um und rannte Richtung Lager zurück.

„Mist!", fluchte Harry.

„Avery ... weinst du?", rief mir Zayn besorgt zu und fast wäre ich wirklich stehen geblieben. Und das nur wegen Zayn.
Aber ich durfte nicht. Nicht jetzt.

„Alter ... was hast du ihr angetan?", hörte ich Zayn böse sagen, doch ich bekam den Rest nicht mit.

Außer Atem kam ich bei Liam, Niall und Hope an. Schweratmend stützte ich mich auf meinen Oberschenkeln ab. Das mit dem Rauch von vorhin hatte ich anscheinend schwerwiegend unterschätzt.

„Hope!", zischte ich, als ich neben sie kniete. Müde schlug diese die Augen auf. Sie sah keineswegs gut aus. Anscheinend war sie mit den anderen baden gewesen, da sie für diese Verhältnisse relativ sauber aussah, aber ihr Gesicht und ihr Ausdruck darin sagten mir alles andere. Sie setzte sich auf und fuhr sich an ihre Schläfen. Kurz bekam ich es mit der Angst zu tun.

Was war, wenn wir uns hier eine Rauchvergiftung zugezogen hatten? Das wäre fatal.

„Avery – weinst du?", stockte Hope, als sie mich erblickte. Unweigerlich fing das Zittern an meiner Unterlippe an.
Verdammt, Avery, reiß dich zusammen.

„Ich brauche dich, jetzt.", hauchte ich nur und sie nickte zögerlich. Zügig verließen wir die schlafenden Jungs und schlugen eine Richtung Meer an, nicht zu zweit weg.

„Und jetzt erzähl es mir. Alles.", sagte sie, nachdem er außer Reichweite war und sie sich mit mir zu Boden gesetzt hatte.

Kurz schloss ich meine Augen und atmete lange aus. Dann sah ich in die neugierigen Augen meiner besten Freundin und erzählte ihr alles. Mit jedem Gedanken, den ich hatte.

„Wow.", murmelte sie, nachdem ich fertig und eine lange Schweigepause entstanden war.

„Wow?!", kreischte ich schon fast und wirbelte dabei wild mit meinen Händen umher.

„Was soll daran Wow sein? Hast du eigentlich gerade zugehört, was ich dir erzählt habe? Harry ist der erste Junge, nach ... nach Josh, der es sich erlaubt, mich so anzufassen! Und das, ohne meine Erlaubnis. Was ist, wenn ich dafür nicht bereit bin? Was ist, wenn er mir weh tut?", fragte ich sie verzweifelt, hatte Angst, dass sie meine Sorgen nicht verstand.

Hilflos nahm ich meinen Kopf in meine Hände. „Avery, merkst du es dann gar nicht?", fragte sie mich irritiert.

„Was denn?" Verzweifelt stieß ich Luft aus. „Was bekomme ich hier nicht mit?"

„Er meint es ernst. Er will dir helfen. Dich kennen lernen.", flüsterte sie und ich zuckte zusammen.

„Aber ... aber ich kann das nicht! Und er sicherlich auch nicht!", schluchzte ich und die Tränen kamen wieder.

„Avery, lass es zu. Ich denke nicht, dass er dir weh tun will." „Aber es tut mir weh! Er quält mich!"

„Nein. Avery, er hilft dir." Kopfschüttelnd sah ich sie an.

„Doch.", nuschelte Hope traurig. „Er holt die alte Avery zurück. Ich glaube, du weißt gar nicht mehr, was da ist, was er da tut. Du hast dich die letzten zwei Jahre so sehr verschlossen vor der ganzen Welt, dass dir anscheinend so eine Situation völlig fremd ist. Harry ist wirklich vollkommen in Ordnung, ich denke nicht, dass er dir was Böses will."

Etwas schüchtern blickte mich Hope danach an, um zu schauen, ob mich das verletzte. Ich gab ihr kurz ein trauriges Lächeln zurück, was zeigen sollte, dass es okay ist.

„Ich kenne aber so was nicht mehr. Josh ... Er, er hat alles kaputt gemacht und was noch heil war, hat dann ... hat dann Jill auch zerstört!", weinte ich und vergrub mein Gesicht erneut in meinen Händen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so tief gesunken war.

„Es stimmt. Vielleicht bist du zerbrochen. Aber Harry fängt an, dich wieder komplett zu machen. Du hast geweint. Und das in der Öffentlichkeit! Gott, Avery ... ", sagte sie verzweifelt und strich mir vorsichtig meine Haare zur Seite.

„Aber er kennt mich nicht mal, Hope.", wimmerte ich erneut und hatte auch nicht vor mich zu beruhigen.
Mitleidig sah sie mich an. Ich wollte und konnte es nicht verstehen.

„Dann lass es zu. Lass die Liebe zu.", flüsterte sie.
Dann nahm sie mich in eine Umarmung und ich ließ mich in sie rein fallen.

Am Besten wäre jetzt, dass wir einfach von dieser Insel runter kämen. Ich würde One Direction aus meinem Leben verbannen und könnte die Mauer wieder aufbauen. Geschockt riss ich meine Augen auf. Ich gab es schon selber zu, dass er sie kaputt machte. Er machte mich kaputt. Lange bleiben wir in dieser Position, doch Hope störte es kein Stück. Sie strich mir immer wieder durch mein Haar und irgendwann konnte ich mich auch beruhigen.

„Du versuchst es. Und wenn, ich bin immer da. Verstanden?", sagte sie und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Kurz zögerte ich.

„Verstanden?", fragte sie nochmal und ihr Blick glitt wieder in Verzweiflung über. Ich wusste, dass sie unglaublich glücklich wäre, wenn es Harry schaffen würde. Sie hatte es schon lange aufgegeben. Sie ist während der ganzen Depressionen bei mir gestanden, aber sie wusste so gut wie ich, dass nicht mal bis heute alles verheilt war.

„Verstanden." Ausdruckslos sah ich in die Ferne, während ich Hope missmutig folgte.
Die Sonne war nun langsam auf Aufgehen, als wir unseren Weg zurück zu den Anderen anbrachen.

„Shit, Harry. Was ist mit deiner Lippe passiert?", fragte auf einmal jemand und ich blieb augenblicklich stehen.

Mit großen Augen sah ich zu Hope, die verdeutlichte, still zu sein. Wir waren kurz vor dem Lager, sehen konnte es man noch nicht, doch hören. Hope hörte ebenfalls zu und ich war gespannt, was Harry sagen würde.

„Ich habe mir auf meine Lippen gebissen."

Erleichtert atmete ich aus. Für einen Moment hatte ich gedacht, dass er es sagen würde. Für einen kurzen Moment.
Aber er hatte es nicht getan. Wollte er mir wirklich helfen? Hope zog mich weiter und auf einmal wurde mir ganz mulmig.

Warum hatte ich ihn gebissen? Ich hatte Harry Styles gebissen. Eine Menge Mädchen würden mich bestimmt töten!
Ich konnte ihn nie wieder richtig ansehen. Plötzlich wurde mir etwas schwindelig und ich schluckte. Hope bemerkte meine Zweifel und atmete etwas entnervt auf.

„Komm schon!", flüsterte sie daraufhin und nahm mich bei der Hand und zog mich zu den anderen Anwesenden.

Nachdem wir die Jungs erreicht hatten, schaute sie mich nochmal kurz an, ließ meine Hand los und lief zu Niall, der sie in eine freudige Umarmung schloss. Danke, sogenannte beste Freundin! Böse starrte ich ihren Rücken und dann Niall an, der zusammen zuckte, als er meinen Blick sah. Oh. So war das nicht geplant.

„Avery, alles klar?" Panisch zuckte ich zusammen und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass es nur Zayn war.

Verwirrt neigte er seinen Kopf zur Seite und sah mich fragend an. „Ich bin doch es nur.", meinte er sanft.

„Du sahst nur vorhin so aufgelöst aus und wenn Harry-" „Nein, wirklich Zayn, alles okay. Nur kurzes Heimweh.", lächelte ich.

Er zögerte kurz, nahm dies dann so hin, und lächelte mich dann freundlich an. Er hatte es also auch nicht Louis und Zayn erzählt. Weiter gerichtet mit dem Blick auf dem Boden, ging ich zu den Palmen. Schlaf, das brauchte ich jetzt.

Vielleicht würde ich ja auch aufwachen und – „Hey Avery."

Ich schaute auf und zu meinem Bedauern auch noch in das Augenpaar, in die ich gerade nicht schauen wollte. Er sah mich wieder mit einem undefinierbaren Blick an und ich schluckte. Seine untere Lippe war blau und leicht angeschwollen.

Oh Gott, das war ich! Ich bin definitiv ein Monster. „Harry?", fragte ich unsicher und er nickte.

„Du hast da was verloren.", grinste er und ich blickte ihn etwas perplex daraufhin an.

Er angelte aus seiner Hosentasche mein Band hinaus. Verwirrt blickte ich auf mein Handgelenk und dann wieder auf mein Band in seiner Hand. Deswegen hatte er vorhin seine Faust geballt. Er hatte mein Band mit abgerissen.

Pah, von wegen, ich bereute es ihm in die Lippe gebissen zu haben.

„Danke ..., dass du es für mich gefunden hast.", sagte ich zögernd und wollte es mir schnappen, doch Harry zog es amüsant in die Höhe.

Wütend sah ich hoch in sein Gesicht. Mit meiner Größe würde ich so keine Chance haben.
Plötzlich beugte er sich runter zu meinem Ohr und nuschelte etwas hinein, was bei mir ein Schaudern entlockte.

„Das kriegst du, wenn du mir dein wahres Gesicht zeigst. Du wirst mich nicht so schnell los."

Unverhofft kommt oftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt