Kapitel 46

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„Nun gut. Da solltest du wohl ran gehen. Ich wollte sowieso ins Bad.", sagte ich etwas spitz, wobei ich hoffte, dass er das nicht raus hören würde.

Harry war mir zu nichts verpflichtet, durfte und konnte tun, was er wollte. Er war ein freier Mann. Und ich sollte mir definitiv keinen Kopf darüber machen und vor allen Dingen, mich nicht über die Tatsache aufregen, dass Kendall Jenner ihn anrief.

Bereits bevor ich One Direction persönlich kannte, sind schon ständig Bilder von beiden zusammen im Umlauf gewesen. Verrückt, was das noch für Zeiten damals für mich waren, als das einfach nur meine Lieblingsband war.
Ich glitt von meinem Hocker und versuchte die aufkommende Hitze in meinen Wangen zu ignorieren.

„Avery, bitte warte.", bat mich Harry und hielt mich an meiner Schulter fest, um mich am Gehen zu hindern.

Ich verkrampfte mich automatisch und nahm eine geduckte Haltung ein, als ich seine große Hand an meiner Schulter spürte. Harry bemerkte dies und ließ mich seufzend los. Ich kniff enttäuscht meine Augen zusammen.
Ich hatte nicht vor, mich zu verkrampfen. Es war eine Reaktion, die leider ohne meine Zustimmung passierte. Und wenn ich so aufgebraust war wie jetzt, würde ich es nicht kontrollieren können.
„Es ist in Ordnung.", sagte ich, ohne mich zu ihm umzudrehen, bevor ich die Küche verließ und das Bad ansteuerte.

Wie dumm von mir! Wollte ich ihn wirklich gerade küssen? Ich spürte weiterhin die Hitze, die in mir aufstieg. Er hatte seine Lippen bereits auf meine gelegt! Wäre dieser Anruf nicht gekommen, hätten wir uns wirklich geküsst?
Zugegeben, für Harry war das so gesehen nicht der erste Kuss mit mir – und für mich ja irgendwie auch nicht? Er hatte mich bereits einmal geküsst. Aber irgendwie auch schon? Wie verwirrend war das denn bitte?

Alana hat sich einiges bald anhören zu dürfen, das stand fest.

Jammernd schmiss ich die Tür hinter mir zu, als ich im Bad angekommen war. Ich riss das Fenster auf, und ließ die kühle Luft hereinströmen. Anschließend ließ ich etwas kaltes Wasser in meine Hände laufen, um es mir anschließend ins Gesicht zu spritzen und meine Stirn zu kühlen. Nachdenklich ließ ich meine Hände wieder unter das kalte Wasser.

Aktuell passierte zu viel und ich hatte nicht wirklich Zeit, meine Gedanken zu ordnen.
Das Abendessen bei Hope und Niall, die seltsame Begegnung mit Harry, in der er mich eigentlich hartnäckig versuchen wollte zu ignorieren ... als Strafe dafür, dass ich ihn nicht sehen wollte.

Der Heimweg ... mit Josh. Und Harry, der mich rettete.

Und meine Panikattacke, die Harry irgendwie stoppen konnte und ich seine Berührungen zu ließ.

Die Nacht mit ihm, in der er mir so viel von uns erzählte.

Die Erinnerung, die urplötzlich wieder zurückkam. Würden noch mehr kommen?

Und jetzt dieser Fast-Kuss!

Ich hatte auch noch so viele Fragen. Woher wusste Hope Bescheid, dass ich hier bin? Hatte er was verraten? Was war das mit uns? Was war auf der Insel noch passiert? Ich vermutete, dass viel mehr passiert war, als er mir erzählte.

Wütend schnaubte ich und drehte mit meinen fast tauben Händen den Wasserhahn zu und ließ mich an der Kante des Whirlpools nieder, der hier mitten im Bad stand. Schluckend starrte ich dieses teure Ding an.
Tatsächlich ging es mir nicht darum, dass hier einfach so ein Whirlpool stand. Meine Eltern besaßen Unmengen an Geld – ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir so ein Ding nicht besaßen. Allerdings wollte ich nicht wissen, mit wem Harry hier schon alles drinnen war.

Jeder hat seine Vergangenheit und das war auch in Ordnung so. Aber wollte Harry denn jetzt alles ändern, was er sonst immer so machte? Wie er sonst lebte? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er sein jetziges Leben gegen, das austauschen wollen würde.

Ich zog den riesigen Sweater von Harry über meinen Kopf. Unter dem Sweater trug ich ein „Kiss"-Shirt von Harry, was mir immer noch viel groß war. Alles roch nach ihm, als ich an dem Kragen kurz roch.

Ich stockte, als ich aufsah. Gegenüber mir stand ein riesiger Spiegel, indem ich mein hitziges Gesicht sah. Und meinen geröteten Hals, der anfing blau zu werden. Zögernd trat ich vor den Spiegel und starrte auf die Stelle an mir, an der Josh gestern meinen Hals mehrmals so festgedrückt hatte, dass mir die Luft fast weggeblieben ist.

Ich zuckte zusammen, als ich über die gerötete Stelle rüber strich. Erst dachte ich, dass mir wieder Erinnerungen von Josh zukamen, allerdings kam mir stattdessen ein Bild von Harry entgegen, der vorsichtig meinen Hals, sowie meine Schultern entlang strich. Er berührte zärtlich jede Stelle meines Körpers, die so gerötet war.
Ich spürte kaum seine Hände, so federleicht glitten sie von einer Stelle zu Anderen.

„Avery?" Ich öffnete meine Augen, die ich inzwischen geschlossen hatte, um aus den Erinnerungen wieder heraus geschubst zu werden. Zögernd räusperte ich mich, weil ich von der Erinnerung gerade eben noch so angetan war, dass ich meiner eigenen Stimme nicht vertraute.

„Es ist offen.", sagte ich und machte mich zurück auf dem Weg zum Whirlpool, wo ich den Sweater hatte liegen gelassen.

Langsam öffnete sich die Türe und Harry, der dem Anschein nach einen Pulli übergezogen hatte, steckte seinen Lockenkopf durch die Türe. Seine Augen suchten nach etwas, bis er es gefunden hatte. Und das war ich. Dann weiteten sich seine Augen, und er kam weiter rein ins Zimmer.

„Dein Hals ...", seine Stimme war rau, etwas aufgebracht, als er auf mich zukam. Automatisch fasste ich mir dort ebenfalls hin. Ich brach den Blickkontakt zu Harry ab, weil die ganze Situation von gestern mir so unangenehm vorkam.

„Es tut mir nicht weh. Ich weiß, es sieht schlimm aus, aber es tut nicht weh.", versicherte ich ihm und sah wieder auf.
Mit einem Blick, der ziemlich klar aussagte, dass er mir kein Wort glaubte, blieb er vor mir stehen und forderte mich stumm auf, meinen Kopf hoch zu strecken. Mit verdrehten Augen folgte ich seiner Anweisung, während er meinen Hals betrachtete.

„Das sieht wirklich schlimm aus.", murmelte er, als ich nach ein paar Sekunden meinen Kopf wieder sinken ließ, so dass ich ihm in die Augen sehen konnte.

„Bloß nicht! Untersteh dich, Harry.", klaffte ich ihn an, als er mir mit der Idee anfing, ins Krankenhaus damit zu fahren. Wenn es geht, will ich in den nächsten Wochen nie wieder ein Krankenhaus sehen.

„Wenn ich früher da gewesen wäre,"- „Bitte sag so etwas nicht, ja?", unterbrach ich ihn und sah ihn ernst an.
Ich war auf die Idee gekommen, allein nach Hause zu laufen. Ich konnte von Glück sprechen, dass er mir gefolgt war.

„Das was passiert ist, ist passiert. Und es war meine Schuld. Also gib dir dafür ja niemals die Schuld. Stell dir mal vor, du wärst nicht gekommen!" Ich versuchte meine Position klar und deutlich klar zu stellen, doch ich hatte das Gefühl, dass ich nicht zu ihm durchdrang. Ich stöhnte. Na gut, dann musste ich es anders versuchen.

„Die Wahrheit ist, ich konnte es nicht ertragen, dich neben mir zu haben. Du hast mir Angst gemacht, okay? Also dachte ich, es wäre am besten, für uns beide, dich von mir weg zu stoßen.", sprach ich weiter, weil Harry immer noch den schuldbewussten Blick aufgesetzt hatte. Nach meinem Satz verzog sich sein Gesicht in ein verwirrtes.

„Avery... warum hattest du Angst vor mir?", wollte er wissen und sah mich verständnislos an.
Seufzend stieß ich mich ab von der Kante und drehte mich wieder zum ihm um.

„Deine Augen ... sie haben so viel Intensität ausgestrahlt, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Du hast mich angesehen, als ob du mich bis auf mein Innerstes kennen würdest. Und ich?" Verzweifelt sah ich ihn an und versuchte aus meinen Gedanken ganze Sätze heraus zu bringen.

„Ich kannte dich kein Stück! Stell dir vor, ein wildfremder Mensch meint auf einmal dich besser zu kennen, als du es jemals selbst begreifen könntest?", versuchte ich ihm zu erklären und gestikulierte dabei wild mit meinen Händen umher.

Langsam nickte Harry, wenn auch immer noch mit zusammen gezogener Stirn.

„Und deswegen wolltest du mich nicht sehen? Nachdem du aus dem Krankenhaus entlassen worden bist? Du konntest alle wiedersehen, nur nicht mich?", flüsterte er mit rauer Stimme und sah er mich wartend an. „Ja."
Meine Mundwinkel verzogen sich schuldbewusst nach unten, als ich sein verletzliches Gesicht sah.

In Harrys Miene zuckte irgendwas, aber ich war mir nicht genau sicher, was das zu bedeuten hatte.

„Es tut mir Leid, okay? Ich war in Panik. Hope hat mir so viel von ... dir ... und mir ... uns erzählt und das hat mir Angst gemacht. Seit zwei Jahren habe ich eine wirklich schlimme Berührungsphobie, bin in Therapie und habe wirklich ein schlimmes Vertrauensproblem, weißt du? Und auf einmal soll ich dich, Harry, den Harry Styles, an mich rangelassen haben? Unvorstellbar.", versuchte ich mich weiter zu erklären. Sein Gesicht verzog sich.

„Ist es das, was du von mir denkst? Der Harry Styles? Mehr nicht?", fragte er verletzt und das erste Mal sah ich eine unglaubliche Verwundbarkeit in seinen Augen. Anscheinend war das ein sensibles Thema.
Und anscheinend hatte er mich voll kommend falsch verstanden. Ich holte tief Luft, bevor ich zögerlich seine Hände in meine Hände legte.

„Nein. Nicht mehr. Und das hast du mir innerhalb nur eines einzigen Abends beweisen können! Du bist viel mehr als das. Du bist mein Retter. Mein persönlicher Retter. Und ich weiß gar nicht, wie ich dir dafür jemals danken kann, geschweige das auch nur im Ansatz gut machen kann.", sagte ich ehrlich und drückte seine Hand. Sein Blick blieb weiterhin nach unten gerichtet.

„Harry?", fragte ich vorsichtig und versuchte einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen.

Bevor es dazu kam, spürte ich auf einmal seine Lippen an meiner Stirn, die lange dort liegen blieben. Automatisch schloss ich meine Augen und konnte nichts anderes wahrnehmen als seine Lippen, die meine Haut berührten.

„Danke.", hauchte er gegen meine Stirn, auch wenn ich mir nicht ganz sicher war, wofür er mir dankte.

„Ich weiß, dass es noch so viel Unausgesprochenes zwischen uns gibt.", murmelte er weiter, als er von mir abließ und wieder in meine Augen sah. „Aber ich will dich nicht dazu zwingen, was du mir erzählen möchtest und was nicht.", fuhr er fort und lächelte.

„Also habe ich einen Vorschlag. Verbring den Tag heute bei mir. Lerne mich weiter kennen.", beendet er sein Vortrag und sah mich abwartend an. Mit großen Augen sah ich überrascht zurück.

„Aber ... aber heute ist Mittwoch?" Verwirrt spuckte ich als Erstes die Worte aus, die mir durch den Kopf flogen.

Harry lachte leise, so dass seine Grübchen erschienen und senkte seine Blick. „Und weiter?"
„Naja, hast du denn nichts zu tun?", fragte ich verwirrt.

Da ich aktuell noch nicht studieren konnte, war mein Tagesablauf weites gehend nicht geplant. Aber Harrys?
Er zuckte mit den Schultern. „Dann sag ich das ab. Ich würde liebend gerne den Mittwoch heute mit dir verbringen."
Seine grünen Augen blitzen mich an und ich schluckte.

Hatte ich etwas zu verlieren? Mir war aktuell nicht danach, allein daheim zu sein, wo ich in meinen Gedanken versinken würde. Ich war noch nicht bereit, mit jemanden über den vergangenen Abend zu reden.

„Aber nur, wenn ich etwas zu Essen bekomme.", antworte ich mit einem Grinsen.
„Ich sterbe vor Hunger." Und zog einen Schmollmund, als ich mir meinen Bauch anfasste.

„Ich denke, dieses Problem werden wir in den Griff bekommen." Glücklich strahlte er mich an, als er seine Hand an meine Wange legte und mich einfach nur kurz ansah. Kurz darauf ließ er wieder ab, und lief Richtung Ausgang. Nachdenklich fasste ich mir an meine Wange, die er bis gerade eben festgehalten hatte.
Ich war mir nun zu hundert Prozent sicher, dass Harry mir noch sehr viel von der Insel verschwieg.

Oh Avery. Was hast du nur damals verzapft?

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Hallo, ihr Lieben!

Ein kleines, aber feines Havery Kapitel ;)

Ein großes Danke an Weidenfrost, flower_direction, die so gut wie jedes Kapitel immer wieder kommentieren!

Ich würde mich auch wirklich über meine "stillen" Leser freuen, denn die Reads der Story steigen aktuell so sehr! Wahnsinn!

Bis zum nächsten Mal, ich freue mich auf Rückmeldungen! :)

xx

Unverhofft kommt oftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt