Kapitel 35

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„Mum, ich kann das alleine!", meckerte ich, als ich meine gewaschenen Klamotten die Treppe hoch bringen wollte.
Wozu ich allerdings keine Chance hatte, da Mum mir zu vorkam.

„Nein, nein. Am Ende überanstrengst du dich und dann? Musst du wieder ins Krankenhaus! Du bleibst erst einmal hier.", sagte meine Mum bestimmend, nachdem wir mein Zimmer betreten hatten. Ich war seit Tagen hier, jedoch fühlte es sich noch immer komisch an, hier drinnen zu stehen. Auf der Insel hatte ich manchmal gedacht, nie wieder in meinem Zimmer sein zu können.

„Moment mal. Können wir nochmal über den Teil reden „Du bleibst erst einmal hier?", sagte ich vorwurfsvoll und stellte mich mit verschränkten Armen vor meine Mum.

„Hope, du brauchst Bettruhe! Du ... du hast gerade einen Absturz hinter dir. Du musst einen Psychologen wöchentlich besuchen... Die ganzen Termine mit den Anwälten... Avery....", murmelte sie und setzte sich auf mein frisch bezogenes Bett.

Beim Gedanken an den Psychologen verzog ich mein Gesicht. Wir alle sollten nun einmal in der Woche zu ihm, um unsere traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass das irgendwas bringen wollte.

Seufzend ließ ich mein Blick durch mein Zimmer wandern und musste feststellen, dass alles unglaublich sauber war. Ich wollte nicht wissen, wie oft meine Mum hier drinnen gewesen war, während ich weg gewesen war. Seitdem ich wieder daheim war, war ich hauptsächlich auf meinem Bett gelegen und hatte an meine Wand gestarrt, aber kein Auge zu gekriegt.

Niall war in Irland und würde erst heute zurückkommen, aber ich vermisste ihn schrecklich. Und war hundemüde. Ich wusste nicht, wie ich richtig schlafen sollte, ohne dass er mich in seinen Armen hielt. Zu groß war die Angst, wieder auf die Insel zu kommen, in zu große Albträume zu geraten. Mein Blick glitt auf ein Bild von Avery und mir und ich strich schluckend darüber.

„Ich will doch nur zu Avery.", murmelte ich ebenfalls und ließ mich neben meiner Mum nieder und schlang einen Arm um sie.

„Ich bin so froh, dass ich dich wieder habe.", flüsterte sie in mein Ohr und drückte mir dann einen Kuss auf meinen Scheitel.

Während ich die wenigen Klamotten meines Krankenhausaufenthaltes in meinen Kleiderschrank einräumte und mit Entsetzen feststellen musste, dass ich eigentlich noch kaum Klamotten hatte, wurde ich immer wieder in die Geschehnisse der letzten Wochen zurück geschmissen. Oft wurde mir schwindelig und ich musste mich kurz abstützen.

Die Tatsache, dass wirklich niemand, niemand außer uns überlebt hatte, machte das alles nicht besser.

Die Ursache war inzwischen klar. Eine Turbine des Flugzeuges hatte während unserem Fluges irgendwann ausgesetzt und deswegen sind wir dann auch letztendlich irgendwo mitten im Ozean abgestürzt. Anscheinend hatten nur ein paar von uns das Glück an die Insel getrieben zu werden. Gerichtsprozesse würden folgen, eine Menge Schmerzensgeld und noch viel mehr. Mein Magen drehte sich bei den kommenden Wochen um.

Eine Gänsehaut breitete sich über meinen gesamten Körper aus und ließ mich auf die Knie sinken. Vorsichtig strich mir über meine noch immer dürren und trockenen Arme.

Oft wünschte ich mir, dass wir nie in dieses Flugzeug eingestiegen wären, dass Avery niemals die Reise gebucht hätte. Mein Handy gab das Zeichen, dass ich eine Nachricht bekommen hatte. Ich konnte sehen, dass sie von Niall kam.
Und dann dachte ich auch daran. Hätten wir niemals diesen Absturz gehabt, hätte ich nie Niall kennen gelernt. Ich hätte mich nie in ihn verliebt. Ich hätte nie Liam, Louis, Harry und Zayn kennen gelernt. Seufzend stand ich wieder auf und ließ mich auf meinen Schreibstuhl stattdessen nieder. „Na super.", murmelte ich, und strich mir eine Haarsträhne weg, als ich Nialls Nachricht las.

Niall: Sie werden es nächsten Mittwoch öffentlich machen.

Hieß ich hätte noch genau eine Woche, bevor mich die die sogenannte „One Direction"-Welt kannte. War ich denn dafür bereit?
Ich ließ das Handy sinken und sah lange aus meinem Fenster.

Niall: Alles klar?

Hope: Ja
Hope: Nein
Hope: Keine Ahnung
Hope: Nein
Hope: Definitiv nein.

Niall: Soll ich jetzt schon kommen?

Hope: Nein. Mir geht es gut. Keine Sorge. Komm erst morgen Abend. Das reicht.


„Wenn das nicht mal eindeutig war.", murmelte ich und ließ mich grummelnd in meinen Schreibstuhl nieder.

„Allerdings.", lachte Niall, als auf einmal meine Tür aufging.

Schmunzelnd drehte ich mich Richtung ihm, konnte jedoch nicht verhindern, dass mir Tränen über meine Wangen liefen.
Ganz genau war ich mir nicht sicher, warum ich ausgerechnet jetzt weinte. Erleichterung, dass Niall wieder da war? Die ganze Müdigkeit? Der Schmerz? Niall bemerkte dies und ließ mit einem mitleidigen Blick seine Tasche sinken. Müde stand ich auf und wischte mir über mein Gesicht. Mit offenen Armen kam Niall auf mich zu und ich ließ mich weinend in seine Arme fallen.

„Ich habe dich so vermisst", flüsterte ich in Nialls Shirt. Ich war so glücklich, dass er mich in seinen Armen fest hielt.

Wir hatten einen Flugzeugabsturz. Meine beste Freundin lag im Koma, mit inzwischen nur 60 Prozentiger Chance, dass sie jemals wieder aufwachen würde. Nächste Woche würde bekannt gegeben werden, dass ich von Niall Horan die feste Freundin bin. Ich musste zu einem Psychologen, weil ich aus Sicht der Ärzte psychisch noch zu traumatisiert wäre.

„Ich schaffe das nicht.", sagte ich tonlos, als mir all diese Gedanken durch den Kopf gingen und ließ mich mit Niall zusammen auf mein Bett sinken.

„Wie sagte Harry so schön: Du hast einen Absturz überlebt. Dann wirst du auch die nächsten Hürden schaffen.", flüsterte Niall und ich drückte mich noch ein Stückchen näher an ihn heran. Ich zog mir seinen Geruch ein und eine ungeheure Müdigkeit übertraf mich.

Gähnend legte sich Niall rücklings auf mein Bett und ich lag mit meinem Gesicht auf seiner Brust. „Müde?", flüsterte ich.

„Die letzten Tage kein Auge zu gekriegt.", brummte Niall zurück und ich sah noch wie er, genauso wie ich, grinsen musste, bevor ich in einen festen Schlaf fiel.

Durch sanfte Küsse an meinem Hals, wachte ich lächelnd auf. Ich suchte seine Hand, die an meinem Arm auf und ab streichelte.

„Guten Morgen." murmelte er und ich schmiegte mich noch weiter an ihn. Am liebsten würde ich mich einfach hier verkriechen. Ich hatte das Gefühl, dass ich hier beschützt wurde. Mir niemand was antun konnte. Aber ich wusste, dass das nicht ewig ging.

Ich drehte mich um, so dass ich in Nialls Gesicht blicken konnte. „Hey."
Grinsend nahm er mein Gesicht in seine Hände und verteilte angefangen bei meinem Haar, über meine Stirn, Wangen und Hals, federleichte Küsse, um dann wieder hoch zu kommen zu meinem Mund. Lächelnd erwiderte ich den Kuss und ließ meine Hände über seine Brust wandern. Kurz zuckte er zusammen. Fragend ließ ich ab.

„Du hast eiskalte Hände.", schmunzelte er und zog mich noch ein Stück weiter an sich und ließ seine Hände an meinem Rücken auf und herab wandern. Ich lehnte mich wieder seiner Wärme entgegen, während sein Atem mich nun am Ohr streifte. „Ich liebe dich."

„Ich liebe dich, Niall." Ich sah auf, um in die blauen Augen zu sehen, die langsam wieder das Funkeln zurück bekamen, was ich unter anderem so sehr an ihm liebte.

Nach einem langen Frühstück mit Mum, fuhren wir ins Krankenhaus zu Avery. Niall fuhr mit seinem eigenen Wagen und legte immer wieder eine Hand auf mein Knie, während ich müde aus dem Fenster starrte. Meine Gedanken versuchte ich einfach mal für einen einzigen Moment abzuschalten.

Wir hatten inzwischen Oktober und der Herbst in London kam zum Vorschein. Heute regnete es ausnahmsweise mal nicht und dies machte sich auch in den Parks bemerkbar. Als mir dies irgendwann zu langweilig wurde, nahm ich mein Handy heraus und wollte es eigentlich direkt wieder zurück legen.

„Hope?" Fragend sah mich Niall an, als wir in einer Kreuzung standen.

„Ich glaube dein Management muss sich bald nicht mehr die Arbeit machen, es noch irgendwie öffentlich zu machen."

Wortlos gab ich ihm daraufhin das Handy. Mitleidig verzog Niall sein Gesicht, als ob er schon wüsste, was los ist, bevor er überhaupt sehen konnte, was Twitter ihm anzeigte. Bilder vor dem Krankenhaus. Bilder am Flughafen. Bilder vor meinem Haus. Von mir. Von mir und Niall. Überschriften, die auf die angebliche, traumatisierte Freundin hindeuten, auf Dates, auf die Niall mit mir aus Mitleid aus geht, weil meine Freundin tot ist. Kommentare und Drohungen, die mir den Magen verdrehten.

„Tut mir Leid.", murmelte er, als die Ampel auf gelb schaltete und er wieder das Handy zurück gab.

„Was tut dir Leid?" Verwirrt steckte ich es ganz tief in die Tasche zurück, so dass ich am besten nie wieder darauf schauen musste.

„Das ist alles nur meinetwegen.", murmelte er und nahm seine Hand von meinem Knie, um zu schalten. Kopfschüttelnd legte er daraufhin diese ans Lenkrad und umklammerte es wütend. „Ich liebe unsere Fans, aber warum können sie das nicht akzeptieren?"

„Weil sie dich doch auch alle lieben, Niall." Sanft versuchte ich, seine Fans irgendwie in Schutz zu nehmen, doch Niall blockte mich ab.

Eine lange Zeit erwiderte er daraufhin nichts.
Kurz darauf parkten wir direkt vor einem der größten Krankenhäuser in London. Während Niall schon fast aus dem Auto sprang, packte ich sämtliche Sachen wie Portmonees, Handys und restliches Zeug in meine Tasche. Niall öffnete währenddessen meine Tür und gab mir seine Hand. Ich musterte sein schwarzes Shirt und seine verwaschene Jeans und dann wieder sein blasses Gesicht, indem noch immer deutlich die Wangenknochen hervor stachen.

Sanft sah er mich an, als er die Autotür zuschlug und seinen Arm um meine Taille legte, so dass er mich ruckartig zu ihm ziehen konnte. Kein Blatt Papier hätte zwischen uns gepasst. Etwas irritiert und grinsend sah ich ihn an.

„Ich liebe sie auch, unsere Fans, aber dich liebe ich auch. Also werden sie damit leben müssen, denn du sollst nun ein Teil meines Lebens werden.", sprach er liebevoll und legte seine Lippen auf meine. Lächelnd erwiderte ich den Kuss. Dieser war jedoch anders als sonst. Er war sowohl leidenschaftlich, als auch verlangend.

„Ich wüsste nicht, wie ich das ohne dich schaffen würde."

Außer Atem lehnte ich mich gegen seine Brust, während er sich weiter zu meinem Ohr vor arbeitete, um nur daran sanft herum zu knabbern. Seufzend ließ ich dies zu, bis ich auf einmal ein Knipsen hörte.

Dieses vermehrten sich schnell und Niall stöhnte leise auf. Ich verharrte in meiner Position, blieb versteckt hinter Niall stehen, der augenblicklich seine Aktion stoppte. Ich merkte, dass er sich anspannte und seine Hand um meine Taille sich verkrampfte.

„Lass uns rein gehen, ja?", flüsterte er und zog sein Gesicht zu mir, so dass er mich ansehen konnte.

„Niall, ist das deine neue Freundin?" - „Wie geht es dir nach so einem Absturz?" - „Wie heißt du?" - „Stimmt es, dass Sie ihre Freunde beim Absturz verloren haben?" - „Wie fühlen Sie sich, nachdem Sie von so vielen Fans angegriffen wurden?"

Wütend drehte sich Niall um, legte schützend einen Arm um mich und schritt voran Richtung Eingang des Krankenhauses.
Ich senkte meinen Blick und versuchte die Fragen auszublenden. Mitleid überkam mich, als ich daran dachte, dass das Alltag für ihn sein musste.

„Ich habe derzeit kein Interesse, ihre Fragen zu beantworten. Danke." Lächelnd drehte sich Niall nochmal kurz um, bevor wir im Inneren des Krankenhauses standen, wo uns die Paparazzis in Ruhe ließen.

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Hallo ihr Süßen :)

Zurück zu Hause - ob es da für alle ein bisschen ruhiger wird? Mal sehen! :)

Einen großen Dankes-Kuss an Weidenfrost und flower_direction, danke für eure Rückmeldungen!

Und auch danke für die Votes an Alle! :)

P.S. - wer von euch hat denn Golden von Harry gesehen? ❤


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Unverhofft kommt oftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt