Jimin ist vor zwei Stunden hier zur Tür rausgerannt, aber ich schüttele immer noch innerlich den Kopf. Das war reine Intuition. Ich hab so gut ins Schwarze getroffen, dass ich den armen Kerl total erschreckt hab. Ein minderjähriger Straßenjunge mit einem kleinen Bruder. Er scheint sich wer weiß wie lange ziemlich gut geschlagen zu haben. Aber das war kein Scherz – dieser Winter wird ihnen den Garaus machen.
Ich hab mich so einsam gefühlt gestern Abend. In der letzten Zeit. Eigentlich – seit Jeongkwan tot ist. Ich hab ihn beerdigt, die Kneipe umgemodelt, meinen Aufenthalt legalisiert, besser koreanisch gelernt, weiter die Kneipe umgemodelt. Und mich immer ein bisschen einsam gefühlt. Vielleicht ist es das. Er hat mich damals von der Straße geholt. Und jetzt schlägt mein Herz für Jimin. Der Junge ist goldrichtig. Er und sein Bruder haben besseres verdient.
Aber er ist eine verdammt harte Nuss. Die muss ich erstmal knacken ...Viel habe ich nach dem Gespräch heute Nachmittag nicht mehr gebacken gekriegt. Ich habe die Kneipe so umgestellt, dass ich direkt am Fenster Platz für vier kleine Spieltische hatte. Darauf habe ich die Spiele aufgebaut, die ich extra jetzt gekauft habe.
Um 18.00 Uhr schließe ich die Tür auf und genieße die tägliche Routine. Immer dieselben Leute, immer dieselben Getränke, immer dieselben Sprüche. Ich lasse meinen Blick durch die ungewöhnlich gut besuchte Kneipe schweifen. Heute sind auch ein paar fremde Gesichter drunter.
Und der Schnösel.
Kurz vor 19.00 Uhr läute ich die Glocke. Meine Stammgäste wissen schon, dass ich jetzt was zu allen sagen will, und halten ihre Klappe. Alle anderen merken das und machen es ihnen einfach nach.
„Leute, heute startet das Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Turnier. Darf ich alle, die mitspielen wollen, zum Fenster bitten?"Sieben Leute setzen sich an zwei der Spieltische – und zwanzig Leute stellen sich drumrum. Auch der Schnösel steht.
Kapier ich nicht. Oder ... doch. Kapier ich.
„Ich freue mich, dass ihr heute miteinander spielen wollt. Ich erkläre einfach mal für alle die Regeln, damit auch die Zuschauer verstehen, was gleich hier passiert."
Es wird sehr still in der Kneipe, während ich die Spielregeln erkläre und ein paar Beispiele auf dem einen Spielbrett vorführe. Dann einigen sich die Spieler auf die Farben der Figuren und fangen an. Schnell zeigt sich, dass das Spiel den meisten nicht geläufig ist. Sie würfeln einfach und laufen drauflos. Bald gibt es viel Gelächter oder Geschimpfe, wenn jemand rausgeworfen wird. Es macht offensichtlich allen Spaß und läuft gut.Ich gehe wieder hinter meinen Tresen und werfe nur ab und zu einen Blick zum Fenster. Die Spieler selbst kann ich lange gar nicht sehen, weil so viele drumrum stehen. Aber nach einer Weile lichtet sich der Kreis der Neugierigen. Die Leute wollen doch lieber im Sitzen was trinken oder Billard spielen. Da sehe ich, dass auch draußen vor dem Fenster ein paar Leute stehen und zuschauen.
Na, dass die nicht festfrieren!
Lange bleiben die Zuschauer draußen nicht, es ist einfach zu kalt. Aber die allgemeine Neugierde ist geweckt. Der Schnösel steht so, dass er einen guten Blick auf beide Tische hat. In der Hand hat er sein Guinness, seine Augen sind auf die Bretter geheftet.
Ich versteh den Typ echt nicht.
Allmählich macht er mich neugierig.Nach einer halben Stunde zeichnet sich am Vierer-Tisch bereits der Sieger ab, weil die drei anderen nicht gut zusammenarbeiten. Am anderen Tisch gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die drei Kontrahenten schenken sich nichts, die Pöppel fliegen nur so im hohen Bogen raus. Aber gleichzeitig haben die Leute einen riesigen Spaß dabei, unterhalten sich gut und lachen viel. Weil die drei Leute bei aller guten Laune so konzentriert spielen und jedes Schlupfloch ausnutzen, dauert es eine ganze Weile, bis auch hier ein Sieger feststeht. Und das war wirklich ziemlich knapp. Aber die beiden anderen gönnen dem Sieger seinen Triumpf und sein hart erkämpftes Essen. Und der lädt seine Mitspieler ein, mit ihm zu teilen. Das gefällt mir.
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Mensch, ärgere dich nicht - Adventskalender 2020
FanfictionDer Ire Patrick O'Brien strandet in Südkorea und zieht in einer gut besuchten Einkaufsstraße eine irische Esskneipe auf. Als die Gewerbegemeinschaft beschließt, im Advent in allen Geschäften Sonderaktionen anzubieten, muss Patrick mitziehen. Er biet...