Ich bin heute morgen mehr oder weniger zurechnungsfähig erst nach Hause gefahren, unter die Dusche und in frische Klamotten gestiegen, dann mitsamt meiner Technik und Arbeitsunterlagen ins Büro geeiert und dort mit Woosungs Hilfe durch den Tag geschlittert. Der kranke Minseok, der verwirrte und verängstigte Jimin und diese grauenvollen, viel zu detaillierten Zeitungsberichte gehen mir ganz schön an die Nieren.
In meiner Mittagspause habe ich Patrick angerufen, der mir von der Begegnung mit der Tante, der Verabredung an Weihnachten und dem Bericht des Arztes erzählt. Dass der Kleine einfach nicht wach wird, macht uns schon Sorgen, aber ansonsten sind das lauter gute Nachrichten. Danach kann ich mich auch besser konzentrieren und schaffe am Nachmittag doch richtig was weg.
Unser Vorschussvertrauen in Rim Jong-Yul zahlt sich zum Glück aus. Er und Woosung sind ein faszinierendes Gespann, das jeden Tag wieder ganz viel bewirkt. Wir sind noch lange nicht im grünen Bereich, aber inzwischen haben wir die vage Hoffnung, dass wir in einem halben Jahr die Talsohle durchschritten haben. Seit dem überraschenden Erlebnis im Pub habe auch ich Vertrauen gefasst und ihn ein bisschen mehr von der Leine gelassen. Er hat mich wirklich beeindruckt. Die meisten anderen hätten sich an seiner Stelle hinter den Tresen geduckt und sich so schnell wie möglich verkrümelt. Er ist stattdessen aufgestanden und hat mich auf eine Weise verteidigt, wie ich selbst es nie gekonnt hätte. Ich kann mich dort tatsächlich immer noch völlig frei bewegen und mich wie ein normaler Mensch fühlen im Pub. Obwohl jetzt alle wissen, wer ich bin. Und das tut riesig gut.
Mein Makler ruft mich an. Das Preiskampf zwischen den beiden Interessenten scheint entschieden, und das durch den Verkauf der Villa und des riesigen Grundstücks frei werdende Kapital wird der Druckerei einen wesentlichen Schub nach vorn geben können. Die Übergabe des Hauses soll Ende Januar sein. Das heißt, dass ich genug Zeit habe, selbst auszuziehen, alles im Haus Verbleibende an Antiquitätenhändler zu verkaufen und gründlich die Jahrzehnte Leben meiner Eltern abzuarbeiten. Termine dafür stehen noch nicht fest, die sollen aber noch vor Weihnachten festgeklopft werden. Ich will erstmal alles für mich raushaben, damit die sich auf einen Blick ein gutes Bild machen können.
Also rufe ich nach dem Telefonat gleich noch mehrere Umzugsunternehmen an, mache ein bisschen Preispoker und handele für nächste Woche Montag einen Umzugstermin mit einer der Firmen aus. Das ist drei Tage vor Weihnachten, dann ist bis zum Fest das größte Chaos beseitigt. Es müssen bis dahin ja auch nur das Wohnzimmer, das Bad und die Küche fertig sein. Und die Jungs sind an Heilig Abend nicht alleine, wenn Patrick unten im Pub arbeitet.
Hoffentlich ist unser Minnie bis dahin wach und schon zu Hause. Sonst feiern wir eben im Krankenhaus. Alleine lassen werden wir ihn nicht!Als ich endlich Feierabend habe, bimmele ich bei Jimin durch.
„Hei, wie gehts dir?"
„Gut. Ich bin grade so happy. Bis vor kurzem war meine Tante hier. Tae, wir haben eine richtige Familie!"
„Das ist ja toll! Ist sie gleich hergefahren gekommen? Wie schön für euch."
„Ja, die Polizistin von gestern hat sie heute Morgen informiert. Tante Jeri hat sich aus ihrer Arbeit freigequatscht und sofort in den nächsten Zug gesetzt.
Und ... sie ist zwar ein bisschen traurig, aber trotzdem nicht böse, dass wir nicht bei ihr sondern bei euch leben wollen. Patrick war auch da und hat sie eingeladen, mit uns Weihnachten zu feiern und zur offiziellen Wiederanmeldung mit zu Seokies Schule zu gehen. Dann fühlt sie sich nicht so ausgeschlossen aus unserem Leben. Er meint auch, dass es ganz wichtig ist, dass wir zu unserer einzigen Verwandten einen richtig guten Draht aufbauen können."
„Das war eine gute Idee. Du – ich hatte dir das ja versprochen. Magst du, dass ich gleich noch vorbeikomme? Oder hattest du heute genug Besuch?"
Jimin überlegt nicht lange.
„Das ist lieb, aber du musst dich doch jetzt auch erstmal wieder um deinen Kram kümmern. Meinem Fuß gehts besser, Seokie ist inzwischen manchmal so halb wach. Vielleicht wacht er morgen ganz auf. Vielleicht magst du ja dann kommen."
„Gut, das mach ich. Dann schlaf gut. Bis morgen."Wie schön das ist, Jimin so gut gelaunt und entspannt zu erleben. Das ist echt kein Vergleich zu dem Getriebenen vor zwei Wochen, der so furchtbar dauerhaft unter Strom stand. Was bin ich froh, dass wir den beiden wirklich helfen konnten. Jetzt darf heilen, was zerschlagen wurde.
Ich checke noch meinen Planer für morgen, fahre den PC runter, knipse das Licht auf meinem Schreibtisch aus und fahre nach Hause. In das Haus, in dem ich groß geworden bin, das mir mit den Jahren fremd geworden ist, und das bald für mich Geschichte sein wird. Stattdessen starte ich eine Mehrgenerationen-Männer-WG in einem coolen Altbau mit Loft-artigem Dachausbau und somit ein echtes Abenteuer. Aber jetzt – geh ich erstmal in mein eigenes Bett!...........................................
17.12.2020 - 16.1.2021
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Mensch, ärgere dich nicht - Adventskalender 2020
FanfictionDer Ire Patrick O'Brien strandet in Südkorea und zieht in einer gut besuchten Einkaufsstraße eine irische Esskneipe auf. Als die Gewerbegemeinschaft beschließt, im Advent in allen Geschäften Sonderaktionen anzubieten, muss Patrick mitziehen. Er biet...