Rückfall °🎲° Sa. 5.12.2020

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Die zweite Woche dieses Jobs ist fast rum. Übermorgen kriege ich von Hansoo wieder Geld. Ich habe es geschafft, dass von der ersten Woche noch die Hälfte übrig ist, obwohl ich ein paar notwendige Anschaffungen gemacht habe. Aber Patrick versorgt uns so reichlich mit Essen, dass ich nicht oft einkaufen muss. Eine Woche noch, und dann muss das Geld ganz lange reichen. Ohne Patrick. Denn dann laufe ich da ja nicht mehr mit Flyern rum. Aber heute muss ich erstmal wieder Seokie ganz lange alleine lassen, und das behagt mir überhaupt nicht.

Nach einem Tütensuppen-Frühstück verabschiede ich mich von meinem Lieblings-Kleinen und trete meinen Marsch an. Dabei lasse ich meinen Gedanken freien Lauf. Wir haben gestern Abend wieder lange „Mensch, ärgere dich nicht" gespielt. Minseok ist ein echt ernst zu nehmender Trainingspartner. Er spielt intuitiv so geschickt, dass ich mich wirklich anstrengen und immer gut über den nächsten Zug nachdenken muss.

Vielleicht sollte ich Seokie in dem Pub spielen lassen ... ... ...
Schon klar, liebes Hirn, jetzt drehst du ganz durch. Du kannst nicht einen minderjährigen Schüler eine Stunde lang durch die Gegend schleppen, in eine Kneipe bringen und bis spät abends in einem rauchigen Raum gegen trinkende, fremde Erwachsene antreten lassen! Und dann wohlbemerkt mitten in der Nacht noch den ganzen Weg zurücklaufen lassen.

Ich schüttele über mich selbst den Kopf und beschleunige meine Schritte. Hansoo taucht gleichzeitig mit mir auf. Er sieht heute nicht so richtig glücklich aus.
„Alles klar bei dir?"
„Nö. Nich so richtig. Meine Eltern wundern sich, wo ich neuerdings auch am Wochenende immer so lange hin verschwinde. Ich weiß nicht, ob ich das am letzten Wochenende noch so durchziehen kann."
„Das wäre Mist, beide Straßenseiten abdecken kann ich nicht."
„Naja, ich hab ja noch'ne Woche Zeit, das zu organisieren. Aber ... Du, Jimin, ist das schlimm, wenn du dein Geld diesmal erst am Mittwoch kriegst?"
„Nö, passt schon, hab noch."

Gar nichts passt.
Sofort kriecht mir die Angst wieder das Rückgrat hoch, dass ich übers Ohr gehauen werde. Dass wir in Gefahr sind.
Und überhaupt - wie komme ich eigentlich an das Geld von der dritten Woche, wenn wir dann hier gar nicht mehr arbeiten???
Meine Gedanken rasen, und entsprechend bin ich heute beim Leute anquatschen und Flyer verteilen nicht wirklich bei der Sache. Patrick winkt mir zu. Aber ich bin so verwirrt, dass ich nur kurz zurückwinke. Das Lächeln ist mir grade vergangen.

Als Hansoo aus der Mittagspause kommt, frage ich ihn direkt.
„Sag mal, wie komme ich eigentlich an das Geld von der dritten Woche? Danach gehst du doch wieder zur Schule."
„Ach, das bring ich dir dann hier irgendwann vorbei."
Du mich auch.
„Das müssen wir aber verabreden, denn ich stehe hier ja nicht tagelang rum und warte auf dich."
„Mach dir nicht ins Hemd. Wir verabreden dann was."

Scheiße!
Mein Magen krampft sich zusammen, und ich würde am liebsten heulen.
Habe ich schon einmal in diesem Leben die Erfahrung machen dürfen, dass ich mich auf jemand verlassen kann? Nein! Wieso bin ich dann immer wieder so dumm? Keine Ahnung.
Ich erinnere mich an das Gefühl von letzter Woche, als ich mich am liebsten heulend in Patricks Arme geworfen hätte vor lauter Sehnsucht nach Geborgenheit und Beistand. Aber die Wahrheit ist: ich kann mich auf niemand verlassen.
Begreifs endlich, Jimin - niemand!

„Hei, ich hab 'ne Idee. Ich bringe das Geld spätestens an dem Mittwoch zu dem Iren ins Pub. Mit dem kannst du doch gut. Der ist bestimmt 'ne ehrliche Haut und gibt dir das. Und wir beide sind dann zeitlich nicht gebunden."
„Ja, o.k. - das is 'ne Idee. Dann machen wir das so."
Is ja sowieso egal, wer mich am Ende übers Ohr haut. ...

Weil ich mir nichts anmerken lassen will, gehe ich jetzt endlich rüber zu Patrick in die Kneipe. Der große gemütliche Raum ist fast schon meine zweite Heimat, aber heute wirkt er auf mich auf einmal wieder fremd und gefährlich. Ich muss mich zwingen, in den Raum reinzugehen und freundlich zu grüßen, als Patrick mich reinlässt. Aber er soll nicht merken, dass ich wieder Angst habe.

Mensch, ärgere dich nicht - Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt