Der schweigsame Fremde °✨° Do. 24.12. 21.00 Uhr

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Ich halt es selbst kaum aus, aber - das ist das letzte Kapitel

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Ich halt es selbst kaum aus, aber - das ist das letzte Kapitel.
Für mich könnte es noch ewig so weitergehen.
Ich wünsche Dir diese Freude im Herzen,
Ganz egal, wo Du grade bist.
Und ich vermute, dass ich am St.Patricks-Day
noch ein Kapitel raushauen werde -
Patrick zu Ehren.

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Die Stimmung im Pub wird immer lustiger, es wird noch manches Lied gesungen, und das Bier fließt in Strömen. Lauter wildfremde Menschen prosten sich zu. Es wird getanzt und gelacht und sich umarmt, und auch ich werde immer lustiger. An den vier Spieltischen herrscht konzentrierte Stille, weil es heute doch um etwas mehr geht als um ein Abendessen. Der Kämpfer ist ja nie wieder gekommen. Es sind heute nur Leute da, die schon hier mitgespielt haben. Und sie wussten vorher nicht, dass es heute das Spiel zu gewinnen geben würde. Trotzdem spielen sie heute alle mit mehr Überlegung und trotz des Würfelglücks mit mehr Taktik. Es ist spannend, ihnen zuzusehen.

Die meisten anderen Gäste sitzen bunt gemischt an den Tischen im großen Kreis, unterhalten sich und verstehen sich gut. Nur der Fremde, der das Stille Nacht angestimmt hatte, sitzt schweigsam an seinem kleinen Tisch und hält sich an seinem zweiten Jeju fest. Sein Blick geht in weite Ferne, und er hat sich schon mehrfach über die Augen gewischt. Am liebsten würde ich ihn ansprechen. Er hat ganz normale Winterkleidung an, und ein Schlüsselbund mit Autoschlüssel liegt neben seinem Bier auf dem Tisch. Also hat er wohl auch ein Zuhause. Aber innendrin scheint es zappenduster, eisekalt und leer zu sein.

Alle vier Vorrunden gehen sehr knapp aus. Die Sieger atmen tief durch und freuen sich. Für die zwölf anderen Spieler hat Changbin Muffins in Würfelform gebacken als Trostpreis. Natürlich mit einer Sechs aus Smarties obendrauf. Es gibt großen Applaus für sie, und sie freuen sich echt. Nach einer kleinen Pause setzen sich die Vier für die Endrunde an einen der Tische, die anderen Tische werden an den Rand in den großen Kreis geschoben. Und dann startet eine höchst spannende Endrunde. Die Vier schenken sich nichts, die Pöppel fliegen im hohen Bogen, die Würfel werden beschworen und der Ausgang ist lange Zeit ungewiss.

Irgendwann steht Tae in der Tür. Er hat grade den Eltern von Chen das Gästezimmer gezeigt und die Küche in meiner Wohnung, damit sie bald ins Bett gehen und morgen mit einem Frühstück im Bauch zur Arbeit starten können. Die schlafen jetzt. Die beiden Racker schlafen schon lange, und Tae erzählt, wie rührend es war, als die Tante und die Eltern die beiden in den Schlaf gesungen haben. Also ist die Runde zusammengeschrumpft auf Jimin und Frau Park, und da wollte er nicht stören.

Erst gegen 22.00 Uhr zeichnet sich eine Siegerin ab. Tae kennt sie, hat mehrfach gegen sie gespielt und freut sich darüber.
„Die ist 'ne Nette. Ich gönn's ihr."
Am Schluss geht es mal wieder darum, wer als erstes die entscheidende Eins würfelt. Inzwischen schaut fast die ganze Kneipe zu. Vor jedem Würfelwurf gibt es Trommelwirbel auf den Tischen, und das Ergebnis wird mit lautem „Oooooooooo" quittiert. Das geht eine ganze Weile so, und ein weiterer Mitspieler holt nochmal auf. Aber schließlich gelingt der netten Frau endlich die ersehnte Eins, und das Spiel ist entschieden. Strahlend nimmt sie ihren Gewinn entgegen und lässt sich feiern. Dann gibt sie ihren Endrunden-Mitspielern ein Bier aus und feiert mit ihnen gemeinsam.

Um zwanzig vor elf rufe ich die letzte Runde aus. Changbin räumt schon das Schlachtfeld in seiner Küche auf, damit er auch pünktlich rauskommt. Sein Nachbar lässt die Spülmaschine dauerlaufen. Nach und nach trinken die Gäste ihre Getränke aus, bezahlen und gehen nach Hause. Um kurz vor 23.00 Uhr sind nur noch Taehyung und ich da - und der schweigsame Mann.

Ich schmeiße ungern jemand raus. In der Regel reichen auffordernde Blicke, zumal die überhöflichen Koreaner dann sofort das Weite suchen. Aber dieser Mann ignoriert mich völlig. Misi kassiert bei ihm ab, schließt die Kasse und verabschiedet sich als letzte der Angestellten nach Hause. Kaum ist sie zur Tür raus, hebt der Fremde den Kopf und schaut mich direkt an.
„Darf ich Ihnen meine Geschichte erzählen, bevor ich gehe?"
Ich bin etwas überfordert, weil ich das so tatsächlich noch nie erlebt habe. Aber Taehyung setzt sich neben ihn an den Tisch und schaut ihn grade an.
„Schieß los, Kumpel."

„Ich ... weiß nicht, wer ich bin. Ich weiß aber, dass ich nicht der bin, der ich heute bin. Ich war fünf Jahre alt, als ich durch ein Unglück in eine neue Familie kam. Ich wusste nur meinen Vornamen, mein Alter und, dass das nicht mein Zuhause war. Meine Pflegeeltern haben sich redlich Mühe gegeben. Aber in mir war immer eine Unruhe, eine Sehnsucht.
Als ich mit der Schule fertig war, ging ich ins Studium. Und nebenher fing ich an zu forschen. Ich hatte keinen einzigen Anhaltspunkt, denn meine Pflegeeltern haben mir all ihre Liebe und Geborgenheit und Bildung und überhaupt geschenkt. Aber diese eine Frage haben sie mir nie beantwortet: 'Was war das für ein Unglück, durch das ich zu euch kam?'
Ich weiß es bis heute nicht.
Wir haben uns entfremdet, ich bin ein ziemlicher Einzelgänger. Aber ich habe eine Sehnsucht in mir nach meiner echten Familie, das brennt und brennt und ..."
Dem Mann kommen die Tränen, und er schweigt einen Moment, um sich wieder zu fassen.
„Ich finde sie einfach nicht. Ich bin jeden Tag auf der Suche. Auch heute. Immer. Ich habe das Internet durchforstet nach Unglücksfällen in dem in Frage kommenden Jahr. Schiffsunglücke, Autobahn-Massenkarambolagen, Flugzeugabstürze - es gab sogar den gruseligen Fall, dass irgendwo auf freier Strecke zwei voll besetzte Züge ineinander gerast sind. Aber ..."

Taehyungs Glas zerschellt auf dem Boden. Seine Hände verkrampfen sich an der Tischkante.
„Du ... das ... Wie heißt du?"
„Jung Haejoon. Warum?"
Tae zuckt zusammen.
„Das ist der falsche Familienname. Bist du sicher?"
„Das ist der Name meiner Pflegeeltern. Ich weiß nur, dass ich anders hieß, weil ich echt lange gebraucht habe, mich an Jung zu gewöhnen. Mein Vorname stimmt aber. ... Was ist mit dir?"
Tae ist käsebleich im Gesicht geworden.
„Welches Jahr war das Unglück?"
Der Fremde muss nicht lange überlegen.
„1996 - Vor vierundzwanzig Jahren."

Ich wollte zu den beiden gehen und die Scherben wegbringen. Ich komme grade mit einem Eimer und einem Lappen dazu, um alles aufzuwischen, als Taehyung in Tränen ausbricht.
„Komm! Komm mit!"
Er springt auf und zerrt den Fremden beinahe zur Hintertür. Er beantwortet keine Frage mehr, er rennt praktisch. Ich schließe einfach die Vordertür ab, lösche die Lichter und sprinte hinterher. Ich habe das Gefühl, ich sollte die beiden jetzt nicht alleine lassen.

Tae steigt hoch bis zur oberen Wohnung, öffnet hastig die Tür und biegt zu seinen Zimmern ab. Der verwirrte Fremde immer hinterher. Tae geht in sein zukünftiges Arbeitszimmer und greift nach einem Bilderrahmen. Stumm hält er Jung Haejoon das Bild unter die Nase. Es scheint ein altes Foto zu sein.

Dem Mann entfährt ein Schrei, als er nach dem Bild greift.
„Woher hast du das? Das ... das kenne ich. Das ... hing immer neben Mamas Bett. Das ... sind meine Eltern! Ich ..."
Tae schwankt und hält sich an der Wand fest. Dann zeigt er auf das Bild.
„Das da, ... das bin ich."
Für einen stummen Augenblick schauen die beiden jungen Männer sich an. Dann fallen sie sich in die Arme und lachen und weinen und jubeln.

Ich lächele und gehe einfach raus. Die beiden haben sich nun viel zu erzählen. Im Wohnzimmer der Jungs ist es dunkel, also sind Jimin und seine Tante schon im Bett. Und ich? Ich gehe eine Etage tiefer, stelle mich im Dunklen an mein Fenster, schaue auf die verschneite Straße und genieße diesen Zauber der Weihnacht, diese Zufriedenheit in meinem Herzen, das Glück all der Menschen um mich herum. DAS ist Weihnachten! Nach Hause kommen ...

Ich wünsche Dir von ganzem Herzen ein gesegnetes Weihnachtsfest,
ich wünsche Dir, dass Du im Herzen nicht alleine bist.
Ich wünsche Dir Zuversicht für das nächste Jahr, die kommende Zeit.
Bleib gesund und achte gut auf Dich und Deine Mitmenschen!
Ich wünsche Dir die Gewissheit, dass Jesu Geburt die Welt,
DEINE Welt grundsätzlich zum Guten verändert
und Dir den Weg in Dein Leben frei macht.

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24.12.2020 - 28.1.2021

Mensch, ärgere dich nicht - Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt