Die ersten drei Abende mit den Spieltischen sind rum, und - ja - irgendwie hatte der Schnösel recht. Der Umsatz ist deutlich hoch gegangen, und zwar, WEIL die Leute so viel Spaß haben. Gestern Abend waren wieder drei Tische besetzt. Und zum ersten Mal hat auch der Schnösel mitgespielt. Er war wieder unauffällig gekleidet, nicht so bürofein wie vorgestern. Er hat ruhig, freundlich und konzentriert gespielt, haushoch verloren und dann in der Endrunde den Sieger seines Tisches angefeuert. Das hat die Stimmung gehoben, weil dadurch alle Zuschauer viel mehr innerlich beteiligt waren als sonst. Und er selbst hat dabei so entspannt gewirkt, wie ich ihn bisher noch nicht gesehen habe.
Ich merke allerdings auch, dass ich mehr putzen, aufräumen, Müll wegtragen und Verbrauchsmaterial nachlegen muss als sonst. Heute trage ich drei weitere Tische und zwölf Stühle aus dem Keller hoch. Mehr kriege ich oben einfach nicht unter, ohne den Billardtisch zu bedrängen und die vorgeschriebenen Fluchtwege zu verstellen. Ich ächze grade mit dem zweiten Tisch hoch, als es an die Scheibe klopft und Jimin in die Kneipe lunzt. Das passt. Heute nehme ich seine Hilfe auch gerne an. Ich lasse ihn rein, und wir tragen zügig gemeinsam die Möbel hoch.
„Magst du mir noch ein bisschen mehr helfen, nachdem du was gegessen hast? Ich finde übrigens, dass du inzwischen deutlich gesünder aussiehst als vor zwei Wochen."
Jimin reagiert nicht auf diese Bemerkung, aber er strafft die Schultern ein bisschen. Wir essen gemeinsam, und dann schaut er mich an.„Patrick, gibt es hier jetzt noch was schnelles zu tun für die letzten fünf Minuten? Und darf ich dir was erzählen?"
Ich platze fast vor Neugierde, denn es ist das erste Mal, dass wir beide ganz normal miteinander umgehen. Ich hole schnell die Körbe mit sauberem Besteck und die Papierservietten. Jimin versteht und geht hinter den Tresen, um sich gründlich die Hände zu waschen. Dann rollen wir gemeinsam Besteck in Servietten ein, weil ich gestern Abend nämlich restlos alles Besteck verbraucht hatte. Und das hat uns zum Teil ganz schön aufgehalten.
„Erzählst du's mir jetzt? Es ist nicht mehr viel Zeit."
Ein Strahlen geht über sein Gesicht, und ich verkneife mir ein „WOW", weil er so glücklich dabei aussieht.„Ssss ..."
Wir müssen beide schmunzeln.
„... und ich haben uns gestern Abend auf ein altes Brett ein „Mensch, ärgere dich nicht" gemalt. Dann hat er draußen acht kleine Steine gesucht. Und irgendwann hatte ich mal einen Würfel gefunden. Wir haben uns in unsere Decken gemummelt, ich habe ihm die Regeln erklärt - und dann hat er mich nach Strich und Faden abgezogen."
Grinsend greift er nach der nächsten Serviette und wickelt Messer und Gabel ein.„Aber weißt du, was das Schönste war?"
„Na?"
„Ssss ... hat die ganze Zeit glücklich gekichert. Jedes Mal, wenn er mich rausgeworfen hat, haben seine Augen geleuchtet wie Sterne. Und ich hätte die ganze Zeit heulen können vor Glück."
Ich wische mir schnell und möglichst unauffällig über die Augen. Denn alleine die Vorstellung, dass ein kleiner Junge alles andere um sich herum vergisst, einfach, weil er glücklich ist - das berührt mich ganz tief.
„Erst die dritte Partie hab ich dann gewonnen. Und da hat er sich dann auch total gefreut drüber."Plötzlich klappt Jimin zu wie eine Auster. Sein letzter Satz hängt bedeutungsschwer in der Luft. Nach einer sehr stillen Minute atmet er endlich aus, dann wieder ein, dann zieht er sich all seine warmen Sachen an. Ich habe Angst, dass er nun wieder einfach davonläuft. Aber er schaut mich doch nochmal direkt an.
„Danke, Patrick. Du tust mir gut. Du tust uns gut. Ich bin froh, dich kennen gelernt zu haben."
Und weg ist er.Als er nach seiner Schicht wieder vor dem Haus steht, möchte ich jubeln. Ich hatte mir eine ruhige Essenspause in meiner Wohnung gegönnt. Dann war ich noch eine Treppe weiter nach oben gegangen und hatte einfach mal geschaut, was man da alles tun müsste, damit die Wohnung wieder bewohnbar ist. Außer Putzen. Und Putzen. Und Putzen. Die Heizungen gluckern ganz heftig, eine Fensterscheibe ist gesprungen, eine Küche müsste rein. Und überhaupt Möbel. Eine Tür schließt nicht richtig, und die Eingangstür ist so verzogen, dass unten drunter durch ganz kalte Luft in die Wohnung zieht.
DU LIEST GERADE
Mensch, ärgere dich nicht - Adventskalender 2020
FanfictionDer Ire Patrick O'Brien strandet in Südkorea und zieht in einer gut besuchten Einkaufsstraße eine irische Esskneipe auf. Als die Gewerbegemeinschaft beschließt, im Advent in allen Geschäften Sonderaktionen anzubieten, muss Patrick mitziehen. Er biet...