Regeln lernen °🎲°Do. 3.12.2020

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Patrick schreit gradezu danach, dass ich ihm vertrauen soll. Er macht einfach alles richtig. Und alleine diese Tatsache macht mich schon wieder total misstrauisch. Gestern hab ich echt gedacht, ich kann da nie wieder rein. Ich hab wieder auf meiner Seite Flyer verteilt und ihm in seinem Schankraum auch mal zugenickt, als er wirklich spät für seine Verhältnisse dort aufgetaucht ist. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass er mir immer noch helfen will. Ich mein' - irgendwann MUSS doch seine Geduld mit mir mal erschöpft sein.

Aber als Hansoo aus seiner Pause kam und mir zugewunken hat, dass ich dran bin, da muss Patrick das wohl gesehen haben. Schneller, als ich die Straßenseite wechseln konnte, um ins Lager zu gehen, was er raus aus der Kneipe und hat mich einfach nur angeschaut. Echt! NUR angeschaut. Ganz neutral. Aber es ging mir durch und durch. Das war wie ein Blitzstrahl aus grell leuchtenden Buchstaben: ich tu dir nichts, komm einfach her!

Also bin ich wie ferngesteuert zu ihm hin und rein in die warme Kneipe. Auf dem Tisch stand schon mein dampfendes und verführerisch duftendes Essen, daneben eine größere Plastikdose. Ich blieb unschlüssig an der Tür stehen.
„Lass es dir schmecken. In der Dose ist was für deinen Bruder. Nur Tütensuppe macht auf Dauer doch nicht satt!"
Verdammte Axt – woher weiß der das!?!
Ich hab mich geschlagen gegeben, mich an den Tisch gesetzt und anfangen an zu essen.

Patrick hat die Kneipe geputzt, ich hab gegessen, wir haben kein einziges Wort miteinander geredet. Er hat es ausgehalten, dass ich mich nicht entscheiden kann, was ich mit seinem Angebot machen soll.
Ich sag ja – er macht alles richtig. Und mich damit verrückt.

Heute morgen ist er wieder zur gewohnten Zeit unten und räumt auf. Er winkt mir zu, ich winke zurück. Und ich kann gar nicht anders. Ich verbringe wieder meine Mittagspause bei ihm.
 „Jimin, soll ich dir jetzt mal die Spielregeln beibringen?"
„Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt brauche. Eine weitere warme Mahlzeit am Tag kostenlos würde unsere Kasse entlasten. Aber ich kann Ss... ... meinen Bruder nicht den ganzen Abend alleine lassen. Er ist sowieso das ganze Wochenende allein."

Der Ire macht den Mund auf ... und dann macht er ihn wieder zu.
Was auch immer der da jetzt runtergeschluckt hat.
Ich esse weiter. Aber es macht mich wahnsinnig. ER macht mich wahnsinnig.
„Patrick?"
Er wischt grade den Tresen ab.
„Was ... hast du da grade runtergeschluckt?"

Stille.

„Das, was du sowieso nicht hören willst. Weil du mir nicht traust. Weil du zu viele schlechte Erfahrungen gemacht hast und zu viel Verantwortung trägst."
Hmmmm, klasse! Jetzt weiß ich mehr ...
„Patrick?"
„Hm."
„Was ... hast du da grade runtergeschluckt?"
„Sturer Bock."

Stille.

Noch ein Löffel, kauen.
„Patrick?"
„Hm."
„Was ..."
„Nerv nicht. Ich sags ja gleich. Aber ich möchte es richtig sagen. Gib mir einen Moment."

Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf unsere Gesichter. Ich stecke den nächsten Löffel in den Mund und warte einfach ab.
„Was du nicht hören willst? Dass ich ein einsamer Mann bin, der sich halb tot freuen würde, wenn er zwei Jungs bei sich aufnehmen und ihnen ein normales Leben bieten könnte. Dass ich so gerne deinen Bruder kennen lernen möchte. Und dass ich ihn dann nicht nur mit Ssss... anreden muss."
Ich halts nicht aus. Ich kann echt NICHTS vor ihm verbergen!

Und trotzdem muss ich laut auflachen, weil es so komisch klingt, wie er das sagt.
Und dass ich ihn dann nicht nur mit Ssss... anreden muss."
Mist, jetzt hab ich mich verschluckt vor lauter Lachen.
Patrick kommt zu mir rüber und klopft mir auf den Rücken, bis ich wieder normal Luft bekomme. Dann setzt er sich neben mich.
„Jimin, ich ... bin gestern Morgen erst um 4.00 Uhr ins Bett gegangen. Weil ich da oben an meinem Fenster gestanden, auf die Straße gestarrt und an dich und deinen Bruder gedacht habe. Ganz ehrlich – ich habe Angst um Euch."

Mensch, ärgere dich nicht - Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt