erst die Arbeit, dann das Vergnügen °✨° Mi. 2.12.2020

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Es gibt immer noch viel zu tun, und das ist eigentlich das Beste, was uns passieren kann. Aber durch diesen Apothekenkalender haben meine Leute in den letzten zwei Wochen so irrsinnig viel gearbeitet, dass ich ihnen heute einfach mal einen halben Tag frei gegeben habe. Die Auftragslage ist gut, im Dezember brauchen alle dauernd noch „mal eben" irgendwas Gedrucktes. Eigentlich würden sie also auch heute gebraucht. Aber so ein kleines Zeitgeschenk hebt die Stimmung, damit weiter alle bei der Stange bleiben.
Ich will die Leute auf keinen Fall direkt vor Weihnachten auf Kurzarbeit setzen müssen. Aber im Januar kommt dann wahrscheinlich ein Loch. Und das könnte uns endgültig das Genick brechen. Ich bin nunmal kein Wirtsschaftsnerd sondern Model. Ich fühle mich hinter diesem Schreibtisch eigentlich ununterbrochen wie ein Fisch, der versucht, auf einen Baum zu klettern.

Gestern hab ich mir einfach keinen anderen Rat gewusst und zum Hörer gegriffen. Und so werde ich diesen Nachmittag nutzen, um mit Papas langjährigem Freund und früherem Marketingmann Chen Woosung zu analysieren, was hier eigentlich schief gelaufen ist, dass der Laden so abgerauscht ist. Ich freue mich fast darauf. Der Mann hat mich schon als Kind auf den Knien sitzen gehabt. Wenn ich das bisher richtig rausgefunden habe, hat die Misere erst angefangen, als er in Rente ging und der Neue eingestellt wurde. Auch mir gegenüber verteidigt der seine Ideen mit Zähnen und Klauen und versucht, meine Unerfahrenheit zu nutzen, um seine Interessen zu wahren. Ich würde ihn lieber gestern als heute in die Wüste schicken. Aber ganz ohne irgendeinen Marketingmenschen KANN ich das nicht schaffen.

Es klopft an der Tür, und Chen Woosung lässt sich gleich selbst rein.
„Taehyung, mein Junge. Gut siehst du aus. Wenn man mal von den unschönen Sorgenfalten absieht. Darf ich doch nochmal ran?"
„Chen Woosung, was bin ich froh, dass Sie sich meiner erbarmen. Was mir da vor einem halben Jahr in den Schoss gefallen ist, ist eine einzige Katastrophe. Und ich traue jetzt niemand anderem mehr zu, den Karren noch aus dem Dreck zu ziehen."
„Das mache ich gerne, mein Junge. Dein Vater und ich haben diese Firma zusammen aufgebaut. Hier steckt mein Herz drin. Hat dein Buchhalter dir die Akten gegeben, um die ich gebeten hatte?"

Wir treten gemeinsam an den runden Besprechungstisch. Er betrachtet die Aktenordner, zieht sehr zielstrebig einige davon hervor und fängt an, einzelne Papiere oder Vorgänge rund um den Tisch zu verteilen.
„Pass auf, Junge. Du hast bisher wahrscheinlich nichtmal deine private Steuererklärung selbst gemacht. Um zu kapieren, worum es hier geht, was schief gelaufen ist und wo du jetzt ansetzen kannst, erkläre ich dir erstmal den Kreislauf des Geldes, der einen Betrieb wie diesen am Laufen hält."
Die folgende Stunde bringt mein Hirn zum Rauchen. Aber er beantwortet mir jede Zwischenfrage, gibt mir immer wieder Zeit, das Gehörte in meinen Worten zu notieren, und wählt sehr gute Beispiele aus der Praxis, um mir das Wesentliche zu erklären.

„Das ist Betriebswirtschaft und Marketing, wie ich es mal gelernt und dann im Laufe der Jahrzehnte den Umständen entsprechend immer wieder angepasst habe. Was in den letzten fünf Jahren am Markt passiert ist, habe ich nur ungefähr verfolgt. Aber ich gebe mich erst geschlagen, wenn hier an der Tür der Kuckuck klebt. Und jetzt zeig mir doch mal die Akten und Jahreswirtschaftspläne der letzten fünf Jahre. Da muss es doch Protokolle und sowas geben. Ich will versuchen herauszufinden, wie der Mann tickt und was er da für einen langfristigen Plan gehabt hat."

In den nächsten beiden Stunden herrscht konzentrierte Arbeitsatmosphäre in meinem Büro. Die einzigen Geräusche sind das Schlürfen der Kaffeemaschine, das leise Klackern meiner Tastatur und das Rascheln von umgeblättertem Papier. Ich checke die Auftragslage und richte mein Augenmerk dabei auch auf langfristige Projekte und auf Anfragen für die Zukunft. Aus lauter Jux und Dollerei rufe ich bei der Homepage der Stadt den Veranstaltungskalender fürs nächste halbe Jahr auf und trage die Termine, die mit Sicherheit druckerzeugnislastig sind, in einen Jahresplaner ein.

Mensch, ärgere dich nicht - Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt