Kapitel 13

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Kapitel 13

St. Petersburg, Russland

Freitag, 08. Februar 2019

Darias neues Leben als Yuris Trainerin könnte nicht abwechslungsreicher sein. An manchen Tagen ist ihr Schützling gut gelaunt, während des Trainings sehr aufmerksam und unglaublich lehrfreudig. Dann versucht er das, was sie und Yakov ihm sagen, gekonnt umzusetzen. An diesen besonderen Tagen liebt Daria es, in die Eishalle zu kommen, mit Yuri zu arbeiten und ihm dabei zuzusehen, wie er an seinen Herausforderungen wächst. Es ist nämlich eine wahre Freude, seine Entwicklung zu beobachten.

Doch an anderen Tagen kann Yuri auch ein unausstehlicher Rotzlöffel sein, der insbesondere Yakov sämtliche Nerven abverlangt, die er besitzt. Im Gegensatz zu Yakov lässt sich Daria von Yuri nicht provozieren. Sie behandelt ihn selbst an seinen schlechten Tagen respektvoll und höflich, da das Training mit ihm an erster Stelle steht. Doch gelegentlich kann selbst sie verstehen, warum Yakov sich mit seinem Schützling streitet und ihn forsch auffordert, einfach die Klappe zu halten und das zu tun, was Yakov und sie von ihm verlangen.

Daria hofft, dass diese schlechten Tage in den kommenden Wochen und Monaten durch immer mehr positive und lernwillige Trainingsstunden ersetzt werden. So wird es für sie alle wesentlich einfacher werden, mit Yuri zusammenzuarbeiten.

Noch dominieren allerdings die Tage, an denen Yuri sie nervlich fordert, was wohl damit zusammenhängt, dass er noch immer in diesem heruntergekommenen Studentenheim lebt, in welchem ihm die Verbandsmitglieder ein Zimmer besorgt haben. Er beschwert sich täglich über seinen deutschen Nachbarn, der im Gegensatz zum österreichischen noch nicht ausgezogen ist und stattdessen das Vermächtnis seines germanischen Freundes wahrt. Nun dröhnt nämlich von der anderen Zimmerseite schlechter, deutscher Schlager durch die Wände, der Yuri nicht schlafen lässt.

Doch ab der kommenden Woche wird sich alles ändern. Denn Yuri und sie können endlich in ihre neue und hoffentlich ruhige Wohnung einziehen. In dieser werden sie keinen deutschen Schlager mehr hören, was auch bedeutet, dass sie sich schon bald über keinen verschlafenen und wütendem Yuri mehr ärgern muss. In nur wenigen Tagen wird es gesundes Essen, genügend Schlaf und viel produktivere Tage geben. Dessen ist sich Daria sicher.

Bis dahin muss sie sich einfach gedulden und die Zeit nutzen, um Möbel für ihre neue Wohnung zu suchen. Sie hat zunächst geplant, dies alleine zu machen, da Yuri sich voll und ganz auf sein intensives Training konzentrieren soll. Doch sie hat es sich schnell anders überlegt. Yuri wird nämlich ebenfalls in dieser Wohnung leben. Also soll er sich in dieser genauso wohlfühlen wie sie, wodurch er das Recht hat mitzubestimmen, welches Sofa sie sich zulegen werden und wie groß sein neues Bett sein soll.

Daher hat Daria beschlossen, heute mit Yuri gemeinsam einkaufen zu gehen. Insgeheim hat sie sich darauf gefreut, endlich etwas anderes als ihre mittlerweile langweilige Hotelsuite und die oftmals überfüllte Eishalle zu sehen. Allerdings hat sie schon am frühen Morgen, als Yuri aufgebracht in die Halle gestürmt ist, geahnt, dass dies kein angenehmer Einkaufsnachmittag werden wird.

„Ich habe keine Lust darauf, mir irgendwelche dummen Möbel anzusehen. Nimm einfach irgendwas", meckert Yuri, der neben ihr hertrottet. Die Kapuze seines Pullovers mit dem brüllenden Tigerkopf hat er sich tief ins Gesicht gezogen. Eine lange blonde Haarsträhne verdeckt die Hälfte seines Gesichts. Den Kopf hält er gesenkt, da er lustlos auf das Smartphone in seinen Händen schaut. Zumindest hat er die Höflichkeit besessen, seine Kopfhörer an diesem Nachmittag in seiner Trainingstasche zu verstauen, um ihr etwas Beachtung zu schenken. Seine Aufmerksamkeitsspanne scheint allerdings ziemlich kurz zu sein, da er mittlerweile nicht mehr auf das hört, was sie sagt, sondern er förmlich an seinem Handy klebt.

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