Kapitel 33

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Kapitel 33

Moskau, Russland

Freitag, 15.November 2019

„Und er hat mich nicht blamiert", sagt Daria mit einem lieblichen Lächeln auf den Lippen.

Viktor und sie haben nach dem Kurzprogramm beschlossen, gemeinsam in der Innenstadt zu bummeln. Der russische Yuri, der von seinem grandiosen Lauf mehr als nur geschafft ist, und der japanische Yuri haben sich ihnen nicht anschließen wollen. Stattdessen sind sie im Hotel geblieben und entspannen sich vermutlich in der Sauna oder im beheizten Indoor-Pool.

Weder Viktor noch Daria haben den beiden übelgenommen, dass sie nicht mitkommen wollten. Es ist ihr sogar fast schon lieber, alleine mit Viktor durch die Moskauer Innenstadt zu flanieren. Dadurch kann sie sich ungezwungen mit ihm unterhalten, obwohl sie sich inmitten eines Bewerbs befinden. Doch ein wenig Entspannung muss selbst für Trainer sein. Ansonsten würde Daria früher oder später durchdrehen.

„Er hat dich ganz sicher nicht blamiert! Seine Darbietung war einzigartig. Ich habe Yurio noch nie so laufen gesehen! Du hast wahrlich das Beste aus ihm herausgeholt", schmeichelt ihr Viktor.

„Ach was. Wenn man erst einmal weiß, was er will und wie man ihn bändigen kann, dann ist er ein lernwilliger junger Mann."

„Mit einem miesepetrigen Gesichtsausdruck und Stimmungsschwankungen, die schlimmer sind als die einer Schwangeren", lacht Viktor auf.

„Gar nicht wahr!", kontert Daria. Doch in ihrer Stimme schwingt kein ernstzunehmender, sondern ein amüsierter Unterton, wodurch noch nicht einmal sie selbst ihren Worten Glauben schenken kann. Das, was Viktor gesagt hat, trifft nämlich zu. An manchen Tagen ist Yuri schwerer zu bändigen als eine schwangere Frau. Er hat Stimmungsschwankungen, die noch nicht einmal Daria innerhalb einer ganzen Woche durchlebt.

Doch sie hat sich mittlerweile daran gewöhnt – ja sie kann sich noch nicht einmal mehr vorstellen, ohne diesen seltsamen jungen Mann zu leben. Er bereichert ihr Leben auf eine Art und Weise, wie sie es sich niemals vorstellen konnte. Sie fühlt sich wohl in seiner Nähe, was aber keineswegs daran liegt, dass sie in Yuri verliebt ist. Sie schätzt ihn lediglich als tollen Sportler und selbsternannten kleinen Bruder. Und angesichts ihrer schweren Familienverhältnisse, tut es wirklich gut, so etwas wie Familie um sich zu haben.

„Aber Hut ab", reißt Viktor sie aus ihren Gedanken. „Diese Choreografie ist gewagt, einzigartig und wirklich erstklassig umgesetzt. Ich habe keine Ahnung, wie du das gemacht hast und wie Yuri sie so gut umsetzen kann, aber es würde mich nicht wundern, wenn sich in der kommenden Saison alle um dich als Choreografin reißen würden."

„Meinst du?"

„Ja. Du machst selbst mir und meinen Choreografien Konkurrenz. Das soll was zu bedeuten haben!"

„Ach was!", schüttelt Daria den Kopf und verstärkt den Griff um Viktors Arm. „Du hast ein paar Jährchen mehr Erfahrung als Trainer und Sportler. Ich habe noch viel zu lernen."

„Und genau das macht mir Angst!", erwidert Viktor. „Wenn du jetzt schon so gut bist, obwohl du Anfängerin bist, wie wird es dann sein, wenn du erst einmal alles Wichtige gelernt hast? Du hast eine strahlende Karriere vor dir und ich freue mich, dass du endlich etwas gefunden hast, das dir wirklich Freude bereitet und wo du so richtig aufblühen kannst."

Daria betrachtet Viktor. Er strahlt förmlich. Seine Augen leuchten und auf seinen Lippen hat sich ein herzförmiges Lächeln gebildet. Er wirkt ausgelassen, entspannt und ehrlich. In seinen Worten schwingt nichts mit, was in Daria Zweifel aufkeimen lassen könnten. Er steht zu dem, was er gesagt hat, und das wiederum bedeutet ihr wirklich viel. Sie lächelt sanft.

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