Mister X

Kapitel 2

Da wir die letzten auf der Liste waren, mussten wir dementsprechend auch lange warten, bis wir endlich an die Reihe kamen. Wir verbrachten die Zeit währenddessen damit, uns die ganzen Kandidatinnen anzuschauen. Und es war sehr amüsant, wie es sich herausgestellt hatte, wenn auch nur für den Anfang.
Vor uns saß eine Gruppe von fünf Frauen. Zwei von ihnen waren Zwillinge. Der einzige Unterschied zwischen ihnen war der Größenunterschied. Nebendran saß eine mit bunten Haaren und Tunnel in den Ohrläppchen. Während rechts von ihr die anderen zwei, die wie ich fand zu overdressed waren, ständig nur kicherten, saß sie nur gelangweilt da und starrte vor sich hin.

Von links bemerkte ich, wie der Moderator gefolgt von Kameras auf die Zwillinge zukam und sein Mikrofon nach ihnen ausstreckte.
,,Habt ihr vielleicht schon eine Vermutung, wer Mister X sein könnte?", fragte er die kleinere von den Zwillingsschwestern, die sogleich aufstand und ein breites Grinsen aufsetzte.

,,Oh, ich hoffe doch, es ist....", fing sie an, wurde jedoch schnell von ihrer Schwester zur Seite geschubst. Verwirrt blickte diese nun zu ihr.

,,Egal wer es auch ist, ich bin mir sicher, er ist es wert, dass man um ihn kämpft", antwortete sie schnell an ihrer Stelle und lächelte freundlich.

,,Nochmal gerettet", lachte Alisa leise neben mir, die das Szenario von gerade eben wohl auch beobachtet hatte.

,,Dennoch zu auffällig", kommentierte ich und stützte meinen Kopf mit der rechten Hand.
'Das wird ihnen doch keiner abkaufen'

Überall waren Frauen, die sich von der besten Seite präsentieren wollten, anstelle von sich einfach zu entspannen und mal keine ihrer einstudierten Rollen zu spielen. Das Ganze hier war doch fake. Es war für alle nur eine Show und es geht natürlich überwiegend um den Ruhm und das Geld. War hier überhaupt eine, die wirklich vorhatte, sich in Mister X zu verlieben, egal welchen Status er haben würde?
Wohl kaum. Aber das ist wohl auch der ganze Sinn der Sache. Diese Show ist nur dazu da, um den schon berühmten Mister X noch berühmter zu machen und die Kandidatinnen anzupreisen, damit sie uns später unbrauchbare und völlig sinnlose Produkte auf den verschiedensten Plattformen andrehen und davon erzählen wie toll diese sind, obwohl sie jene selber nach dem Werbespot in den Müll werfen.
Dieser Mister X wäre doch dumm, wenn er hier wirklich jemanden für sich finden wollen würde. Das ist doch absurd. Nicht mehr vorzustellen in unserer Zeit, wo die Medien eine noch größere Rolle spielten als sie sonst schon immer taten.

,,Wollen wir nicht doch einfach verschwinden?", flehend drehte ich mich zu Alisa, die weiterhin dabei war das Kamerateam zu beobachten. Meine Laune sank von Minute zu Minute. Alles, was ich wollte, war es wieder nach Hause zu fahren und diese Show aus einer sicheren Entfernung auf dem Fernseher anzusehen und nicht live mitzuerleben. Ganz besonders nicht als Kandidatin.
Als Antwort schlug sie mich leicht am Oberschenkel und schenkte mir nur einen genervten Blick.

Seufzend stand ich auf. ,,Ich gehe dann mal auf die Toilette".
Ein abwesendes Nicken ihrerseits folgte, woraufhin ich nur meinen Kopf schütteln konnte. Eigentlich habe ich gedacht, dass sie genauso einknicken würde wie ich, da sie jetzt mit im Spiel war. Doch Fehlanzeige. Wie es mir schien, zeigte sie nun nur noch mehr Interesse als zuvor.

'Richtig toll gemacht, Mira. Jetzt bekommst du sie erst recht nicht mehr früher weg von hier'

Ich betrat die Toilette und öffnete eine der unzähligen Kabinen. Als ich gerade dabei war mir meine Hose hinunterzuziehen, hörte ich wie die Toilettentür aufgemacht wurde und daraufhin Stimmen ertönen.

,,Und? Wie ist es gelaufen?", hörte ich eine Frauenstimme aufgeregt fragen. Jemand ließ den Wasserhahn laufen.

Ich horchte. Vielleicht hatte sie ja etwas Interessantes zu erzählen. Etwas was ich Alisa berichten könnte und sie sogleich ebenso keine Lust mehr haben würde länger hier zu sein.

,,Man wird von den zwei besten Freunden interviewt und beide tragen so kleine Earbuds im rechten Ohr. Dass jemand so etwas in einer Show trägt, habe ich noch nirgends gesehen. Mir kommt es so vor, als würden sie die Fragen stellen, die ihnen vorgesagt werden. Komisch, oder?", erzählte die andere skeptisch.

,,Vielleicht sitzt Mister X irgendwo vor einem Bildschirm und gibt Anweisungen?", vermutete die eine.

,,Aber dann hätte er doch auch selbst das Interview führen können, nicht?". Der Wasserhahn verstummte und man hörte nun das Rascheln der Papiertücher.

Ich runzelte die Stirn. Ich konnte nicht so ganz verstehen, wo sie ein Problem sah. Vielleicht wollte Mister X einfach nur sehen, wie sich die Kandidatinnen verhielten, wenn noch niemand wusste, wer er war, um die Teilnehmerinnen nicht zu beeinflussen. Es war ja schließlich so schon klar, dass er eine bekannte Persönlichkeit ist. Er wollte wohl nur auf Nummer sicher gehen.
Da ich das Gespräch zwischen ihnen inzwischen doch zu uninteressant fand, hörte ich auf, sie weiter zu belauschen. Stattdessen widmete ich mich wieder meiner vollen Blase, die inzwischen, anfing mir, unangenehm mitteilen zu wollen, dass sie dringend entleert werden wollte.