Kapitel 26

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Taehyung

Zwei verwirrte Augen mustern uns, als Jungkook voller Stolz in die Box deutet.
Entsetzt erwidert der Jüngere den verständlichen Ausdruck, die Stimme verschlagen.

„Nein. Menschen halten sie hier nicht. Noch nicht." Die Person auf der anderen Seite der Gitterstäbe brummt uns eine klare Antwort entgegen. Die Stimme des Mannes, dessen Statur etwas kleingeraten erscheint, näselt ein wenig. Kein Wunder. Eine Nase so rot wie frische Tomaten und einen dicken Schal um den Hals, das kann nichts Gutes bedeuten. Er zieht die Nase hoch, anschließend räuspert er sich noch, bevor er sich wieder an die Arbeit macht.

„Was tust du hier, Yoongi? Musst du nicht arbeiten? Oder zur Uni? Bist du krank?"

Fragen, die ich mir ebenfalls stelle, stellt Jungkook dem jungen Mann kurzerhand laut, dessen Name mir zuvor schon bekannt vorgekommen ist. Ist Yoongi nicht sein bester Freund? Jungkook und Jimins bester Freund aus Kindheitstagen.

Auf seine Fragen entgegnet der Kleinere einzig mit einem minimalen Kopfschütteln.

„Ich bin krankgeschrieben", fügt er an. Der nächste Ruck mit der Mistgabel lässt ihn verstärkt husten. In seinem Zustand sollte man wirklich nicht den Mist von irgendwelchen Tieren beseitigen.

Meine Meinung.

„Und warum stehst du - stehen Sie dann in dieser Box?", frage ich ins Grüne hinaus und verstumme augenblicklich, als ich meinen Fehler erkenne. Die Person ist mir fremd. Jungkook hat er mir gestattet so mit ihm, zu sprechen. Das gilt aber auch nur für ihn. Innerlich verrolle ich die Augen meinetwegen.

„Darum", ist die Antwort dieses Yoongis, dessen dunkles Haar leicht unter dem Bund seiner Strickmütze hervorlugt „Ich wollte sowieso nach Zen schauen, doch ist Gons Stallbursche ausgefallen. Einer muss sich ja um ihn kümmern."

Die Boxentür scheppert, als der Mann mit den dunklen Strähnen aus der Box getreten kommt, eine vollbeladne Schubkarre vor sich her befördernd.

„Ja... Stimmt. Einer muss' ja tun." Die Stimme des Jüngeren ist nichts mehr als ein niedergeschlagenes Hauchen. Er lässt den Kopf hängen. Yoongi scheint seine harsche Antwort unverzüglich zu bereuen. Der zuvor grummlige Ausdruck in seinem Gesicht verweichlicht sich. Stumm beobachte ich die beiden.

„Dafür hast du aber mich, verstanden Koo? Ich hab' dir versprochen, dass ich auf ihn Acht gebe, solang du... Ja." Der Kleinere wuschelt dem Erkrankten aufmunternd durch das Haar, ein warmes Lächeln auf den Lippen tragend. Ich entspanne mich beinahe augenblicklich, aber ich habe nicht einmal bemerkt, dass sich mein gesamter Körper versteift hat.

„Schon gut. Danke dir, Yoon. Wirklich. Nur wo ist er jetzt denn genau?", erkundigt sich Jungkook und blickt seinem Freund fragend entgegen. Seine Hände sind in den Taschen seiner Jacke verschwunden.
Ein einfaches Deuten nach draußen - den Weg, von welchem wir zuvor erst gekommen sind - beantwortet die Frage meines Patienten.

„Komm schon, Tae! Gon wird sich freuen, dich kennenzulernen." Glücklich geht Jungkook bereits vor. Das Lächeln auf seinem Gesicht macht mich zufrieden. So ein Lächeln steht ihm hundertfach besser, als das vor Angst und Sorge verrunzelte Gesicht.

Mein Blick bleibt auf dem Freund meines Schützlinges hängen der, genauso wie ich, dem freudigen Jungen hinterherschaut. Als er die Schubkarre wieder zur Hand nimmt, darauf bedacht seine Arbeit wohl endlich an den Nagel zu hängen, möchte ich ihn am liebsten ansprechen. Er kennt Jungkook bereits so lange. Er kennt den Jungkook, von dem heutzutage nicht mehr viel übrig zu sein scheint.

Ob er mir einige Fragen über den kranken Jeon beantworten kann?

„Wenn ich du wäre, würde ich ihn nicht so lange warten lassen."

Die Aussage seitens des Kleineren lässt mich alle meine Fragen den Abfluss herabschütten. Schluckend wende ich mich von ihm ab - den Rücken hat er nir sowieso schon gekehrt - und trabe Jungkook nach, der das Ende der Boxengasse längst erreicht hat.

Nachdem ich ihn eingeholt habe, führt er mich um das enorme Stallgebäude, das an eine Art Reithalle anschließt. Einige Meter weiter kommen wir an einer weiten Koppel an, auf der ein graues wie auch ein rabenschwarzes Pferd grasen.
Ein erfreutes Lachen entkommt dem Jüngeren und er wird von seinem eigenen Strahlen beinahe übermannt.

„Der Rappe da, das ist Gon", spricht er und nimmt anschließend zwei seiner Finger an die Lippen, um dem Tier zu pfeifen. Kaum ist der Ton erklungen, heben die Tiere ihre Köpfe. Als sich die Augen zwischen Besitzer und Tier kreuzen, beginnt Jungkook freudig zu winken. Er kichert.

„Gon! Komm' her, Großer!" Wiehernd kommt das wortwörtlich große Huftier angaloppiert. Seine Mähne weht dabei im Wind. Es kommt kurze Zeit später vor uns zum Stehen, seine Ohren sind aufgerichtet. Er scheint neugierig zu sein.

„Darf ich vorstellen, Gon. Taehyung, Gon."

„Sehr erfreut", antworte ich etwas geplättet und betrachte das anmutige Tier mit geweiteten Augen. Derweil streicht der Besitzer seinem Freund zutraulich über die Stirn. Tiefblaue Augen - so eine bemerkenswerte Farbe habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen - beobachten ihn dabei.

„Isst du auch immer brav dein Futter?"

~•~

„Ich bin wirklich erleichtert, dass er nicht beleidigt war", kichert Jungkook, als er einen letzten Blick auf Gon wirft, bevor wir wieder nach drinnen gehen. An den Ort, an dem er vermeintlich nichts zu befürchten hat.

Der wolkenverhangene Himmel scheint den überflüssigen Regen, langsam loswerden zu wollen. Einzelne Tropfen landen mir bereits im Gesicht.

„Wie kommst du darauf?"

Er seufzt „Naja... ich habe ihn über zwei Monate lang nicht mehr besucht. Als ich ihn das letzte Mal gestreichelt habe, daran kann ich mir gar nicht mehr erinnern. Und im Sattel habe ich schon seit über einem Jahr nicht mehr gesessen."

Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Er scheint so vieles aus seinem Leben verbannt zu haben. Freiwillig oder unfreiwillig. Doch spielt das überhaupt eine Rolle?

„Dem hast du doch jetzt ein Ende gesetzt", erwähne ich. „Darauf kannst du wirklich stolz sein." Er zuckt nur mit den Schultern. „Wenn du meinst. Ich muss bis Ende des Jahres fit sein. Das heute war das Mindeste."

Warum ist er auf einmal so streng mit sich?

Wir kommen an der Hintertür des Hauses an. Von den Gummistiefeln haben wir uns schnell befreit. Unsere Vorhaben, wieder in das Haus zurückzukehren, wird von den Geräuschen eines Motors unterbrochen. Ein großer Wagen, der mir ziemlich bekannt vorkommt, hält auf unsere Höhe an. Das Fenster fährt herunter.

„Koo, denk bitte daran, dass ich morgen früh nicht für dich da sein kann. Die Klausur ließ sich nicht verschieben."
Der Angesprochene zuckt zusammen, doch nickt er anschließend bloß und tritt dann in das Haus ein, die Stiefel lässt er draußen im Regen stehen. Verwundert schaue ich zwischen den beiden hin und her. Es herrscht auf einmal eine ganz seltsame Stimmung.

„Tae— kommst du? Lass' und bitte endlich reingehen."

Mirror Demon | Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt