Kapitel 3

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Jungkook

Müde schaue ich die halb vertrocknete Aloe vera Pflanze auf meiner Arbeitsfläche an. Sie lässt schwach ihre Blätter hängen, die an ihren Enden bereits eine gefährliche Gelbfärbung angenommen haben. Lange wird das arme Ding nicht mehr aushalten. Der Zustand meiner Tischpflanze erinnert mich an die vergangene Zeit, die ich glücklicherweise hinter mir habe. Es ist schon der dritte Arbeitstag, nachdem ich mich aus dem Krankenhaus selbst entlassen habe. Wieder habe ich die Flucht ergriffen.

Nach fast zwei Wochen, gefesselt an ein Bett, dass nach jeder kleinsten Bewegung ein ächzendes Geräusch von sich gegeben hat, ist mir der Anblick meines vollen Terminplans und dessen dazugehörige Unannehmlichkeiten, um einiges attraktiver erschienen. Die Ärzte haben mir davon abgeraten, doch dieser sterile, leblose Ort hat mich beinahe erstickt. Die Gerüche, das Licht, die Menschen und die Laute. Es ist so gewesen, wie zwischen unzähligen Gästen einer Veranstaltung. Und die Gäste warten nur noch darauf, dass etwas passiert. Ihr Gejohle dröhnt förmlich in meinen Ohren.

Der Gedanke lässt mich erschaudern.

Träge stütze ich meinen Kopf auf meiner Hand ab, berühre dabei unbeabsichtigt eine krustige Stelle, die sich an meiner rechten Schläfe befindet. Sie ist verdeckt von meinem etwas zerzausten Haar. Zarge berühre ich die Stelle erneut und streiche bis runter an mein Kinn, auf den vor einigen Tagen noch ein Pflaster gehaftet hat.

Wenn ich mich nicht verzählt habe, liegt dieser eine, bestimmte Tag nun fast einen Monat Wochen in der Vergangenheit. Ich kann mich an kaum etwas erinnern. Es ist, als wäre diese Zeit nie geschehen.
Yoongi ist es gewesen, der mir alles schonend erklärt hat. Ich bin ihm dankbar, für alles. Wer weiß, wie es mir ohne ihn ergangen wäre.

Ich schüttele mich kurz, wie ein Kätzchen, dass vor dem Regen flüchtet. Die Erinnerungen an diesen Tag lösen etwas in mir aus, das ich nicht erklären kann. Es ist keine Angst, noch ist es etwas anderes. Vor allem ist es seltsam.

Ein und wieder ausatmen, Jungkook. Alles ist wieder gut.

Seit dem Tag, an dem ich wieder anständig zu Bewusstsein gekommen bin, haftet ein chronisches Unwohlsein an meinen Sohlen. Jede Erinnerung - ist sie auch noch so klein - lässt mich erschaudern. Ich bin empfindlicher geworden. Von Erzählungen weiß ich, was an diesem Abend geschehen ist und was danach passiert sein muss. Yoongi hat von einem Unfall gesprochen, als ich im Wald ziellos das Weite gesucht habe.
Nervös stellen sich meine Nackenhaare.

Warum bin ich nun so angespannt?

Selbst von einem Tier, das mich angeblich attackiert hat, ist die Rede gewesen.
„Das Letzte, woran ich mich erinnere, sind Federn... und Wasser", murmele ich.

Mit schwitzigen Händen greife ich nach meinem Kaffeebecher, der unauffällig neben dem aufgeklappten Laptop steht. Die Sonne scheint angenehm in das modern eingerichtete Büro, in welchem ich nun seit Beendenden des ersten Semesters arbeite. Ich bin stolz auf diese Anstellung, trotz der kräftezehrenden Überstunden.
Routiniert setze ich den Becher zum Trinken an und öffne dabei die unbearbeiteten Dateien auf meinem Laptop vor mir.
Ich erwarte den süßen Geschmack meines Getränks, welches ich diesen Morgen mit eindeutig zu viel Zucker fast erstickt habe.
Meine Augen weiten sich, als etwas Säuerliches auf meine Zunge trifft. Angeekelt zieht sich mein gesamter Magen zusammen. Schon ist die zuvor aufsteigende Nervosität zerfallen.
„Was zum...", brabbele ich unverständlich, als ich die sauer gewordene Flüssigkeit zurück in den Becher laufen lassen. Damit habe ich nicht in 1000 Jahren gerechnet. Mir ist schlecht und geblendet von den Sonnenstrahlen reibe ich genervt meine Augen. Dieser Kaffee ist frisch gebrüht gewesen, selbst die Milch ist von mir persönlich geöffnet worden. Meine Anwesenheit bringt wohl selbst die Milch dazu abzulaufen.

Mirror Demon | Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt