Kapitel 6

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Jungkook

„Was meinst du damit?" Ich werfe dem jungen Mann an meiner Seite einen verwunderten Blick zu. Yoongi zuckt bloß unschuldig mit den Schultern. So schweigsam, wie in den vergangenen Tagen, kenne ich ihn gar nicht. Man muss ihm förmlich alle erhofften Antworten aus seiner Nase ziehen. Verunsichert beiße ich mir auf die Unterlippe und lehne meinen Kopf auf seine Schulter. Er rückt nicht ab, sondern neigt seinen Kopf sachte gegen den meinen.

„Du bist heute wirklich sparsam mit deinen Dialogen. Davon sollte sich Jimin ab und an eine Scheibe abschneiden."

Ich, wie auch Yoongi, können uns ein gehässiges Kichern nicht verkneifen. Meine Aussage entspricht der Wahrheit, worüber sich mein bester Freund äußerst im Klaren ist. Nun kommt auch ein Laut aus seiner Kehle, was mich beruhigt seufzen lässt.

„Jetzt aber mal Spaß bei Seite. Was meinst du damit 'Ich muss mehr auf mich acht geben'?"

Sein Brustkorb hebt und senkt sich stark, als er durchatmet, um mir zu antworten. Wie ich es von ihm gewohnt bin, bekomme ich von ihm die Wahrheit, und zwar nur die Wahrheit zu Gehör.

„Ein professioneller Betreuer wird ab heute meine Pflicht dir gegenüber abnehmen. Ich kann also nicht mehr auf dich aufpassen, falls etwas passiert. Ich bin besorgt..." Gegen Ende sind Yoongis Worte zu einem einzigen Nuscheln zerflossen. Es ist mir kaum möglich, ihn noch zu verstehen, denn es fällt ihm sichtlich schwer, über sein Unbehagen zu sprechen.

„Du machst dir Sorgen um mich?" Yoongi nickt zaghaft, während sein Kopf noch immer an meinem ruht.
„Mach' ich schon immer. Auf dich ist ja kein Verlass", hängt er noch beiläufig hinten an.
Das saß aber so richtig, murre ich innerlich. Meine Augen weiten sich und ich stoße, als Racheakt, bedacht mit meinem Ellenbogen in seine Seite.

„Sei nicht so fies... Ich tu' wirklich mein Bestes." Ich spüre, wie ein Schmunzeln seine Wangen verzieht. Sanft legt er seine Hand auf meine Schulter und tätschelt sie sachte.

Was er wohl denkt? Stille Wasser sind bekanntlich tief.

Das Wiehern eines der zwei Pferde vor uns, lenkt meine Aufmerksamkeit von Yoongi ab. Wir stehen, angelehnt an dem Gatter der Koppel, welche sich geschützt hinter dem Stallgebäude befindet, und verbringen unseren Morgen an der frischen Luft. Yoongi ist der Meinung gewesen, es würde mir guttun. Mit einem wankenden Lächeln betrachte ich das schwarze Tier, das verspielt mit den Hufen scharrt und die graue Stute vor sich mit der Schnauze anstupst. Da der Raureif noch auf dem knöchelhohen Gras haftet, rutscht der Wallach auf dem feuchten Untergrund etwas ungeschickt nach vorn. Rasch bekommt er die Quittung der Stute, die ihn genervt anschnaubt.

„Wie es aussieht, haben die Beiden sich etwas in den Haaren", bemerke ich mit einem zarten Lächeln auf den Lippen.

Es ist das erste Mal seit langem, dass ich mich wieder zu den Tieren wage, ohne auf dem Absatz kehrt zu machen. Ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass mir der Kontakt zu Gon und den anderen Tieren nicht weiterhelfen wird. Dank Yoongis Hartnäckigkeit, stehe ich nun dennoch an Ort und Stelle. Die beiden Pferden beim Toben zu beobachten, erinnert mich an die Zeit davor. Würde Yoongi hören, was ich so denke, würde er mich mit weiterem Schweigen strafen. Es hat ihn viel Überredungskunst gebraucht, um mich umzustimmen. Beinahe trug er mich aus dem Haus, durch den Hof und vor das hohe Gatter.

Ich habe ihn ziemlich viele Nerven gekostet.

Seit dem gemütlichen Frühstück, das mein alter Freund und ich gemeinsam verbracht haben, nachdem er mir bei meiner Morgenroutine zur Hand gegangen ist, lehnen wir an dem weißen Holzzaun der Weide vor uns. Zu Beginn fröstelte es mich noch etwas, da dicke Regenwolken die Sonne daran gehindert haben, die Temperatur etwas anzuheizen. Dicht habe ich mich an den jungen Mann geschmiegt, der eine angenehme Wärme ausstrahlt.

Mirror Demon | Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt